© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Die Wahrheit in den mythischen Symbolen
Richard Wagner und die Religion der Zukunft: Die Erlösungshoffnung im Werk des Komponisten
Karlheinz Weissmann

Die Formel „Religion der Zukunft“ lief in Deutschland seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um. Titelgebend war sie für eine kleine, zuerst 1843 erschienene Schrift des Philosophen Heinrich Feuerbach, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Ideen seines berühmten Bruders Ludwig zu popularisieren, vor allem dessen Vorstoß gegen das Christentum und die Religion überhaupt. Hinter dem Entwurf einer „Religion der Zukunft“ stand aber nicht nur die in der Aufklärung wie der protestantischen Bibelkritik wurzelnde Wendung gegen den tradierten Glauben, sondern auch die Überzeugung, daß eine Existenz ganz ohne Religion (oder ein Äquivalent) unmöglich oder kaum wünschenswert sei. Ein Gedanke, der sich unschwer im romantischen Projekt der Kunstreligion oder den Kirchenreformideen des Vormärz wiederfinden läßt.

Auch in den Frühschriften Richard Wagners, der damals intellektuell zum „Jungen Deutschland“ und politisch zur revolutionären Demokratie zählte, gibt es eine ganze Reihe von Bezugnahmen auf diesen Zusammenhang. Ohne feste Bindung an das Luthertum seiner Herkunft und nachhaltig beeindruckt von den geistigen Strömungen seiner Zeit, griff er den Begriff „Religion der Zukunft“ auf, den er in Beziehung zu einem zweiten setzte, der „Kunst der Zukunft“.

Beider Verknüpfung sollte gewährleisten, daß die schöpferische Entfaltung des einzelnen und mit ihr die Gründung einer harmonischen sozialen Ordnung gelang: „In der freien Selbstbestimmung der Individualität liegt daher der Grund der gesellschaftlichen Religion der Zukunft, die nicht eher in das Leben getreten sein wird, als bis diese Individualität durch die Gesellschaft ihre förderndste Rechtfertigung erhält.“

In der Folge hat sich Wagners Weltanschauung dramatisch verändert, nicht zuletzt unter dem Einfluß der Lektüre Schopenhauers und Gobineaus. Aber seine besondere Vorstellung vom Zusammenhang zwischen Kunst und Religion blieb erhalten. Das ist vor allem an den „Regenerationsschriften“ der Jahre 1879 bis 1881 zu erkennen, in denen der Pessimismus Schopenhauers (in bezug auf die menschliche Existenz überhaupt) wie Gobineaus (in bezug auf das Schicksal der „arischen Rasse“) zurückgedrängt werden, zugunsten einer – formell christlichen – Erlösungshoffnung, die zeitlich parallel ihre ästhetische Gestaltung im „Parsifal“ fand.

Der besondere Rang, den dieses „Bühnenweihfestspiel“ als eine Synthese der religiösen Vorstellungen Wagners haben sollte, ist keinesfalls zu trennen von dessen oft skurril anmutenden weltanschaulichen Entwürfen, die er parallel erarbeitete. Wagner jedenfalls betrachtete seine Sympathie für Sozialismus, Pazifismus, Tierschutz, Vegetarismus und Abstinenz wie seine Judenfeindschaft als Teile eines Konzepts, das sich auch in seinem künstlerischen Schaffen manifestierte und als Therapie jener kollektiven Erkrankung verstanden werden sollte, die, durch die Modernisierung verursacht, Leib, Seele und Verstand der Menschheit ergriffen hatte.

Heilung schien nur möglich, wenn auf totalen Verfall mit totaler Erneuerung reagiert wurde, deren Ausgangspunkt ein innerer im Einzelnen, die Entsagung im Sinne Schopenhauers, sein mußte. Deshalb kehrte Wagner auch zur Vorstellung vom notwendigen Zusammenhang zwischen „Religion und Kunst“ zurück. Unter dieser Überschrift veröffentlichte er 1880 einen programmatischen Aufsatz, der einleitend feststellte: „Man könnte sagen, daß da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche die erstere im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werthe nach erfaßt, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.“

Wie der zitierte Text deutlich macht, verwarf Wagner den Gedanken eines Zurück zu älteren Formen der Religiosität ausdrücklich und verteidigte wie in seinen ersten Schriften die Vorstellung, daß es um religiöse Individualität und Sublimierung der Kernvorstellungen – vor allem der Mitleidsethik und des Reinheitsgedankens – gehe, während Mythos und Symbol ihre Bedeutung durch die Kunst behielten, aber eben nicht mehr Gegenstand des Glaubens an sich sein könnten.

Wagner hat in einer Art Nachwort zu „Religion und Kunst“ die Leseranfrage, ob er eine neue Religion stiften wollte, ausdrücklich verneint, aber doch in einem außerordentlichen Maß Einfluß auf die religiöse Entwicklung am Ende des 19. Jahrhunderts genommen. Dabei spielte die „furchtbare Ausdruckskraft“ (Thomas Mann) des Parsifal eine entscheidende Rolle, die sogar in England, Belgien, Frankreich oder Spanien zu einer Exaltation führte, die sich kaum anders als mit religiösen Begriffen beschreiben ließ.

Allerdings entstand nur in Deutschland nach dem Tod Wagners eine Bewegung, die nicht nur das künstlerische Vermächtnis bewahren wollte, sondern darüber hinaus die Vorstellungen Wagners systematisch auszubauen versuchte. Das Spektrum reichte dabei von jenen Männern im „Bayreuther Kreis“ wie Heinrich von Stein, Houston Stewart Chamberlain und Hans von Wolzogen („Bund für deutsche Kirche“), die an der konsequenten Entwicklung eines neuen Weltbildes arbeiteten, zu dessen wichtigsten Elementen ein „germanisiertes“ Christentum gehörte, über eher am Rande stehende Ethiker und Lebensreformer wie Eduard Baltzer („Deutscher Verein für naturgemäße Lebensweise“) und Ernst von Weber („Internationaler Verein zur Bekämpfung der wissenschaftlichen Tierfolter“) bis zu Vertretern des an Einfluß gewinnenden Okkultismus, etwa Wilhelm Hübbe-Schleiden („Theosophische Societät Germania“), und den Völkischen, für die die Wagner-Vereinigungen eine wichtige organisatorische Basis bildeten.

Damit ist das Wirkungsfeld bei weitem nicht vollständig erschlossen. Denn neben dem direkten gab es auch einen indirekten Einfluß der Ideen Wagners, bezogen auf die kollektive Imagination der Deutschen. Der fruchtbare Anstoß jedenfalls, den Wagners Werk für Künstler des Wilhelminismus wie Max Klinger, Fritz von Uhde, Hans Thoma, Hugo Höppener („Fidus“), Ludwig Fahrenkrog, Franz Stassen oder Rudolf Maison bedeutete, kann gar nicht überschätzt werden und ist auch an der Menge von Reproduktionen ihrer Bilder abzulesen.

Daß bei der Rezeption aller möglichen Motive, die letztlich auf Wagner zurückgingen, Vorstellungen eine Rolle spielten, die wie das Nibelungenlied oder die Gralssage schon länger zum Fundus nationaler Bildwelten gehörten, hat dem Vorgang noch mehr Gewicht verliehen und erklärt außerdem etwas von der in Glaubensfragen eigenartig produktiven Atmosphäre der Jahrhundertwende, als die „Religion der Zukunft“ zum Gegenstand massenhafter Sehnsucht geworden zu sein schien.

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