© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/13 / 05. April 2013

Die Grüne Hölle
Nach Rambo ist noch lange nicht alles erzählt: Karl Marlantes romanhaftes Kriegsbuch über das Schicksal im Vietnamkrieg
Paul Leonhard

Matterhorn und Eiger sind in diesem Buch keine Berge in der Schweiz, sondern eigentlich namenlose Anhöhen in Vietnam, die der amerikanischen Armeeführung wichtig genug erscheinen, sie von einen Trupp US-Marineinfanteristen besetzen zu lassen. Eine Aufgabe für die Bravo-Kompanie. So schlagen sich die Marines durstig und hungrig einen Pfad durch den Dschungel.

Sie leiden unter Malaria, Dschungelfäule, Fußbrand, Blutegeln und Munitionsmangel. Mit sich schleppen sie neben Maschinengewehren und Mörsern auch ihre Verwundeten und Toten. Auch die Gefallenen werden nicht dem Feind überlassen, so will es der Kodex. Im Urwald lauern die Soldaten der nordvietnamesischen Armee mit Maschinenpistolen, Handgranaten und Sprengfallen, aber auch hungrige Tiger. Second Lieutenant Waino Mellas ist einer der Männer. Der 19jährige Reserveoffizier träumt anfangs noch von Orden, später, desillusioniert, begreift er, nur ein namenloses Rädchen in einer Kriegsmaschinerie zu sein. Damit haben sich seine Kameraden längst abgefunden. Sie fragen nicht nach dem Sinn von Einsätzen, sondern besetzen Berge, befestigen sie, räumen sie auf Befehl und stürmen anschließend die einst selbst gebauten Bunker.

In seinem Roman „Matterhorn“ singt der ehemalige Marineinfanterist Karl Marlantes auf knapp 700 Seiten das Hohelied auf die Kameradschaft im Vietnamkrieg 1969. Während sich im Kampf Weiße und Schwarze helfen, droht der unterschwellige Rassismus in den Kampfpausen zu eskalieren. Lieutenant Mellas, das Alter ego des Schriftstellers, beginnt zu begreifen, daß sie gegen die von Haß erfüllten, für ihre Heimat kämpfenden Nordvietnamesen keine Chance haben. Auch, weil das amerikanische Volk nicht hinter seinen Soldaten steht.

Ein „kaputtes Lenksystem für vierzig Gewehre, drei Maschinengewehre, ein paar Mörser ...“ ist Mellas für die Krankenschwester auf dem Lazarettschiff, wo er doch nichts anderes will, als „den Kopf an ihre Schultern legen, ihre Haut riechen, ihre Weiblichkeit in sich aufnehmen“. Leichtverwundete wie er werden als erste zusammengeflickt, damit sie so schnell wie möglich wieder in den Kampf geschickt werden können. Mellas ist nach fünf Tagen zurück, um sich mit seinen Kameraden durch den Busch zu schlagen und dabei so wenig Spuren zu hinterlassen „wie das Kielwasser eines Schiffes im Meer“. Als die letzten der Kompanie das Matterhorn erneut bezwungen hatten, klatschen die Stabsoffiziere, die den Opfergang im Feldstecher verfolgt haben, vom Nachbarberg Beifall. Mellas nimmt sich sein Gewehr und legt auf den Colonel an ...

Dreißig Jahre hat Marlantes an diesem unpathetischen Kriegsbuch gearbeitet. Die in Vietnam mitgekämpft haben, dürfte es wegen der Realitätsnähe begeistern. Bundeswehrsoldaten sollten es vor ihrem Auslandseinsatz lesen, um zu wissen, wie Militär im Kriegeseinsatz funktioniert und was sie von Politikern zu erwarten haben.

Karl Marlantes: „Matterhorn“. Ein Vietnam-Roman. Übersetzt von Nikolaus Stingl. Arche Verlag, Hamburg 2012, gebunden, 672 Seiten, 24,95 Euro

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