© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Sprung in die Wirklichkeit
„Alternative für Deutschland“: Vor ihrem ersten Bundesparteitag sieht sich die Euro-kritische Partei einem beispiellosen Ansturm gegenüber
Marcus Schmidt

Würde die Bundestagswahl im Internet entschieden, hätte Bernd Lucke schon jetzt die besten Aussichten, im September in den Bundestag einzuziehen. Die Facebook-Seite seiner „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist derzeit eine der aktivsten Seiten überhaupt und hat wenige Wochen nach dem Start schon mehr Anhänger als etwa der Facebook-Auftritt der CSU. Doch Lucke und seine Mitstreiter wissen, daß die Bundestagswahl nicht im Internet, sondern auf den Straßen, Plätzen und in den Fußgängerzonen entschieden wird.

Am kommenden Wochenende setzt die AfD daher im vornehmen Berliner Hotel Interconti zum Sprung in die Wirklichkeit an. Dort, wo sich jedes Jahr im November Politik und Journalisten zum Bundespresseball treffen, soll der Grundstein für einen erfolgreichen Antritt der Euro-kritischen Partei bei der Bundestagswahl am 22. September gelegt werden.

Der noch im Aufbau befindlichen Parteiorganisation und den Mitgliedern, die sich in Scharen angekündigt haben, steht dabei ein wahrer Kraftakt bevor. Zunächst gilt es, überhaupt die Grundlagen für eine funktionierende Partei zu schaffen: Parteisatzung, Geschäftsordnung sowie die „Finanz- und Erstattungsordnung“ stehen ganz oben auf der Tagesordnung des Parteitages. Dann müssen die Führungspositionen der Partei neu besetzt werden, und das kann dauern – allein für die Plätze als Beisitzer im Vorstand kandidieren 90 Parteimitglieder. Nicht nur nach Einschätzung von Parteisprecherin Frauke Petry ein „sportliches Programm“.

Hinzu kommt ein beispielloser Ansturm von Parteimitgliedern. Als der Veranstaltungsraum vor vier Wochen angemietet wurde, ging die Parteiführung noch von bis zu 400 Teilnehmern aus. Nun lagen bis Anfang der Woche 1.800 Anmeldungen vor. Der Saal faßt indes nur 1.300. „Die haben uns überrollt“, heißt es in einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen aus der Partei, die noch immer nicht fassen kann, von welcher Sympathiewelle sie seit ihrer Gründung im Februar getragen wird. Nicht wenige fürchten, daß der Parteitag angesichts des Ansturms und der teilweise politisch völlig unerfahrenen Parteiführung unkontrollierbar wird und im Chaos enden könnte. In der Partei blickt man daher mit wachsender Sorge auf die Veranstaltung, von der so viel abhängt. „Ich habe ganz große Bauchschmerzen“, sagt ein Landeskoordinator. Hinzu kommt der äußerst knappe Zeitplan. „Es wäre wohl schlauer gewesen, sich zwei Tage Zeit zu nehmen.“

In der Parteiführung wurde daher in den vergangenen Tagen händeringend nach einem Ausweg gesucht und sogar erwogen, zeitnah einen Sonderparteitag einzuberufen, um das Programm zeitlich etwas zu entzerren. Nun soll zumindest versucht werden, das Platzproblem zu lösen, indem der Parteitag per Video-Übertragung auch in Nachbarsälen verfolgt werden kann. „Wir wollen vermeiden, daß Parteimitglieder, die nach Berlin gereist sind, abgewiesen werden müssen“, heißt es aus dem Vorstand.

Geht der Parteitag am Wochenende einigermaßen unfallfrei über die Bühne, kann sich die Partei nach Ansicht der Demoskopen Hoffnung auf eine erfolgreiche Zukunft machen. Laut einer Umfrage im Auftrag der Welt am Sonntag können sich 24 Prozent der Deutschen vorstellen, bei der Bundestagswahl die AfD zu wählen. Dieses sogenannte Wählerpotential sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie viele Wähler am 22. September dann tatsächlich das Kreuz bei der Euro-kritischen Partei machen würden. Doch die Zahlen sind vor allem für Union und FDP eine deutliche Warnung, die „Professorenpartei“ nicht zu unterschätzen. Schon wird im Konrad-Adenauer-Haus an einer Gegenstrategie gebastelt, mit der potentielle AfD-Wähler unter den Unions-Anhängern wieder eingefangen werden sollen. So wurde in den vergangenen Tagen auffällig oft darauf hingewiesen, daß für den Machtwechsel in Niedersachsen 335 fehlende Stimmen für Schwarz-Gelb verantwortlich waren. Die angebliche Ursache wurde gleich mitgeliefert: Die Freien Wähler, die zu diesem Zeitpunkt noch von Lucke unterstützt wurden, hätten den bürgerlichen Parteien die entscheidenden Stimmen weggenommen. Die Botschaft ist klar: Das dürfe sich bei der Bundestagswahl nicht wiederholen, heißt es aus der CDU mit Blick auf die AfD.

Doch dort glaubt man nicht, daß diese Strategie unter dem Motto „Augen zu, CDU“, die in früheren Jahren so mancher bürgerlichen Alternative zur CDU das Leben schwergemacht hat, angesichts der dramatischen Folgen der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung noch verfängt. Zudem erhält die neue Partei längst nicht nur Zulauf aus dem schwarz-gelben Lager. Auch wenn sich unter den Gründern der AfD vor allem ehemalige Mitglieder von CDU und FDP befinden, gelingt es der Partei offenbar, auch Bürger zu mobilisieren, die sich bislang nicht parteipolitisch engagiert haben.

Eine Analyse der Mitgliederstruktur der AfD hat ergeben, daß rund 50 Prozent der mittlerweile mehr als 7.000 Mitglieder vorher noch nie einer Partei angehört haben. Der Rest setzt sich ziemlich gleichmäßig aus früheren Mitgliedern von Union, FDP und SPD zusammen.

Unterdessen versuchen einige Medien im Zusammenspiel mit Linksextremisten immer wieder, die Partei in den Ruch des Rechtspopulismus oder gar -extremismus zu bringen. So sah sich Parteichef Lucke erst Anfang der Woche in einem Interview mit dem Magazin Cicero dem massiven Vorwurf ausgesetzt, in der AfD gebe es „mitunter populistische Tendenzen, am rechten Rand zu fischen“. Schon beim ersten Auftritt der Partei vor den Hauptstadtkorrespondenten in Berlin mußte sich der Vorstand im März gegen ähnliche Vorwürfe wehren.

Auf linksextremistischen Internetseiten werden zudem regelrechte Dossiers über führende AfD-Politiker angelegt, um vermeintlich belastendes Material zusammenzutragen, mit dem die Personen in die Nähe des Rechtsextremismus gerückt werden sollen. Journalisten bedienen sich nur zu gerne aus derlei „Materialsammlungen“, die bislang zur Enttäuschung so mancher Aktivisten allerdings äußerst mager ausfallen. Derzeit, so scheint es zumindest, gelingt es der Partei, sich gegen Provokateure und Glücksritter mit einer „zweifelhaften“ politischen Vergangenheit erfolgreich abzuschotten.

An der Parteibasis hat man derweil ganz andere Sorgen. „Ich kenne viele, die mitunter 16 bis 18 Stunden pro Tag für die Partei arbeiten“, berichtet ein Mitglied von seinen Erfahrungen. Um möglichst zügig die notwendigen Parteistrukturen aufzubauen, opfere so mancher seinen Urlaub und zahle das notwendige Büromaterial teilweise aus der eigenen Tasche. „Der Aufbau eines Landesverbandes ist für die meisten ein privates Hobby“, berichtet ein Landeskoordinator. Auch aus diesen Gründen richten sich viele Hoffnungen auf einen erfolgreichen Verlauf des Parteitages und damit auf eine weitere Professionalisierung der Partei.

 

Programm

Die AfD geht mit den drei Hauptthemen Währungspolitik, Europapolitik und Demokratie in den Bundestagswahlkampf.

Kernforderung ist dabei die „geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes“. Stattdessen fordert die Partei die Wiedereinführung nationaler Währungen wie etwa der D-Mark oder „die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde“.

In der Europapolitik setzt sich die Partei für ein Europa souveräner Staaten ein. Zudem sollen Gesetzgebungskompetenzen zurück zu den nationalen Parlamenten verlagert werden. „Über Glühbirnen und Gurkenkrümmungen kann der Bundestag allein entscheiden“, heißt es im Wahlprogramm.

Zudem tritt die AfD für eine Stärkung der Demokratie in Deutschland ein. Hierzu sollen Volksabstimmungen und -initiativen nach Schweizer Vorbild eingeführt werden. Auch soll der Einfluß der Parteien beschnitten werden.

 

Gliederungen

Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Antritt bei der Bundestagswahl ist für die AfD ein möglichst flächendeckender Antritt in allen Bundesländern. Hierfür müssen möglichst rasch Landesverbände gegründet und Kandidaten aufgestellt werden. Die Zeit drängt: Bis zum 15. Juli müssen den Landeswahlleitern die notwendigen Unterstützungsunterschriften vorliegen, je Bundesland bis zu 2.000 Stück.

Bislang verfügt die AfD über drei Landesverbände. Am vergangenen Wochenende wurde der Landesverband Hamburg gegründet, zuvor haben bereits die Landesverbände in Bayern und Sachsen-Anhalt ihre Arbeit aufgenommen.

Nach dem Willen der Parteiführung sollen die restlichen 13 Landesverbände möglichst rasch in den kommenden Wochen folgen. Spätestens Mitte Mai, so die Vorgabe, soll der Gründungsprozeß abgeschlossen sein. Dann sollen sich die Mitglieder auf das Sammeln der Unterstützungsunterschriften und auf die Vorbereitung des Wahlkampfes zum Bundestag konzentrieren.

 

Personen

Unbestrittenes Aushängeschild der „Alternative für Deutschland“ ist derzeit ihr Sprecher Bernd Lucke, der sich in den vergangenen Wochen durch mehrere Fernsehauftritte und Interviews deutschlandweit einen Namen gemacht hat. Der Hamburger Professor für Volkswirtschaftslehre teilt sich die Führungsposition mit dem Publizisten Konrad Adam und der Münchner Unternehmerin Dagmar Metzger.

Lucke engagiert sich seit Anfang 2011 gegen die Euro-Rettungspolitik und gründete das „Plenum der Ökonomen“, in dem sich mehr als 300 Volkswirtschaftsprofessoren zusammengeschlossen haben.

Auf dem Parteitag in Berlin wird die komplette Parteiführung neugewählt. Zudem wird festgelegt, über wie viele Sprecher, sprich Vorsitzende, die AfD künftig verfügen wird. Sowohl Lucke, dessen Wiederwahl als sicher gilt, als auch Adam kandidieren erneut. Zudem hat neben sieben weiteren Kandidaten unter anderem auch die bisherige stellvertretende Sprecherin Frauke Petry ihre Bewerbung um die Spitzenposition eingereicht.

Gleich 25 Kandidaten bewerben sich um einen der Posten als stellvertretende Sprecher. Für einen Posten als Beisitzer haben sich sogar 90 Parteimitglieder beworben. Wie viele stellvertretende Sprecher und Beisitzer es am Ende geben wird, entscheidet der Parteitag erst unmittelbar vor der Postenvergabe.

Um zu vermeiden, daß der Zeitplan des Parteitages gesprengt wird, wenn sich jeder der mehr als 100 Kandidaten in einer kurzen Rede persönlich vorstellt, wird in der Partei überlegt, das Bewerberfeld durch eine Vorwahl deutlich auszudünnen. Auch die Lösung, Kandidaten erst zuzulassen, wenn sie 20 Unterstützungsunterschriften vorlegen können, stand zur Debatte.

Foto: Die „Alternative für Deutschland“ fordert einen Ausweg aus der Euro-Politik der Bundesregierung: Die CDU bastelt schon an einer Gegenstrategie

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