© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Wenn der Norden weint
Mali: Im Kampf zwischen Dschihadisten, Legion und Zentralregierung drohen die Tuareg zerrieben zu werden*
Marc Zöllner

Baba Salah fällt das Singen schwer. Bis letztes Jahr hatte er noch Liebeslieder komponiert, erwarb mit seinen volkstümlichen Balladen als der „Jimi Hendrix Afrikas“ selbst über die Grenzen des afrikanischen Kontinents hinaus Bekanntheit. Doch was von ihm derzeit in den Radios im Süden des Mali auf und ab gespielt wird, mag so recht nicht zu seiner sensiblen Ader passen. „Wo ist die Armee, wo die tapfere Jugend?“, säuselt er beklommen ins Mikrofon, umspielt von Tänzern in den Farben der malischen Nationalflagge. „Der Tod ist besser als die Schande. Mali ist unteilbar!“

Wenn Baba von Krieg und Terrorismus singt, weiß er, wovon er spricht. Der Musiker ist vom Stamme der Songhai, einer ethnischen Minderheit, deren Siedlungsgebiet sich fatalerweise an der Grenze des schwarzafrikanischen Mali zur abtrünnigen Tuareg-Republik Azawad im Norden des Landes befindet. Seine Heimatstadt Gao gehörte seit April 2012 zum Hoheitsbereich der Separatisten, bis diese kurz darauf von radikalen Islamisten der Ansar Dine sowie von Al-Qaida-Dschihadisten wieder vertrieben worden sind. Seitdem war in Gao nicht nur Babas Musik verboten, sondern das Singen an sich. Es war der Tag, als Baba sich den Kämpfen anschloß, wenn auch nur jenen um die Herzen des Landes. „Denn wenn der Norden weint“, so Baba, „kann auch der Süden nicht lachen.“

Kriegsbegeisternde Lieder wie die Baba Salahs werden derzeit von der Interimsregierung in Bamako gern protegiert. Zu bitter wären die Nachrichten, welche sonst die Bevölkerung aus dem Norden erreichten, gäbe es noch eine freie Presse im Lande. Doch die Zensur der Medien, die mit der Nachrichtensperre der eintreffenden französischen Truppen begann, erreicht mittlerweile auch im vom Krieg noch unberührten Süden Malis ihren Höhepunkt.

Kritische Kommentare erhalten keine staatliche Druckerlaubnis, Journalisten wird die Einreise in die Krisengebiete verweigert. Immer wieder kommt es zu Inhaftierungen unter fadenscheinigen Begründungen, wie kürzlich im Falle des Le-Républicain-Redakteurs Boukary Daou, dem von den Behörden „anstachelnder Ungehorsam“ sowie die „Verbreitung falscher Informationen“ vorgeworfen wird. Sein Vergehen: die Veröffentlichung eines offenen Briefes der Tuareg-Rebellen zu Menschenrechtsverletzungen in Azawad. Politische Oppositionsarbeit ist in Mali aufgrund der Kriegsvorbereitungen gänzlich unmöglich geworden.

Über Repressalien kann auch Attaye Ag Mohamed ein Lied singen. Der 27jährige Jurist zählte 2011 zu den Gründern der säkularen „Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad“ (MNLA). Als diese im April letzten Jahres die einseitige Unabhängigkeit des Azawad von Mali erklärte, ging für den jungen Tuareg ein Traum in Erfüllung. Doch feiern durfte er nur in der Ferne: Bereits im Februar 2012 entkam er nur knapp seiner Verhaftung durch den Geheimdienst in Bamako. Seitdem koordiniert er die Arbeit der MNLA von seinem Exil in Mauretanien, wo neben ihm mittlerweile Hunderttausende weitere vertriebene Tuareg auf ihre Rückkehr in den Norden Malis hoffen (JF 29/12).

Wie viele seiner Landsleute kann auch Attaye sich nicht für den Krieg und die Gewalt in seiner Heimat begeistern. Doch für eine Unabhängigkeit des Azawad weiß er recht viele gute Gründe zu benennen. „In den 52 Jahren der Besetzung unserer Heimat durch Mali hat dieser gerade einmal zehn Prozent der Kosten für uns wichtige Infrastrukturprojekte, für Schulen, Krankenhäuser und Behörden übernommen“, erklärt Attaye in akzentfreiem Französisch im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Die anderen 90 Prozent stammen aus Spenden von Nichtregierungsorganisation und Menschen mit gutem Willen.“ Und er fragt: „Wie viele wichtige Projekte, deren Finanzierung im Ausland freigegegeben worden ist, wurden klammheimlich von der Zentralregierung in Bamako in den Süden umgeleitet und so zweckentfremdet?“

Dabei könnte Azawad für seine kargen natürlichen Verhältnisse recht wohlhabend und von Entwicklungshilfe gar unabhängig sein. Im Wüstensand der Tuareg-Republik finden sich nicht nur reiche Goldadern, davon allein nahe der Stadt Kidal über 160 bestätigte Tonnen. In der bislang nur schwer zugängigen Taoudenni-Senke zwischen Mali und Mauretanien werden auch große Öl- und Gasvorkommen vermutet. Doch die Regierung in Bamako betrachtete diese Ressourcen bislang lediglich als Anlagen für künftige lukrative Lizenzgeschäfte im Handel mit französischen und chinesischen Unternehmen. Regionale Explorationen der Bodenschätze waren nie geplant.

Hinsichtlich einer Lösung des Konflikts sieht Attaye wenig Kooperationsbereitschaft des Südens. Er erzählt von der großen Dürre von 2011 im Sahel, davon, wie sich der Staat vom Leiden der Nomaden abwandte. Das Desinteresse Bamakos an den Menschen im Norden ist für ihn die Ursache des neu eskalierten Konfliktes, die humanitäre Katastrophe vor zwei Jahren der eigentliche Auslöser. „Unsere Generation hat immer den politischen Dialog gesucht, bevor wir zu den Waffen griffen“, erklärt Attaye. „Wir erkennen ja selbst die territoriale Integrität Malis an, fordern lediglich einen besonderen Status des Azawad.“

Auch ein Eingreifen von UN-Truppen wünscht sich der Tuareg-Rebell. „Die Zahl der Opfer ist jetzt 50mal größer als noch letzten Sommer. Wir sehen Hinrichtungen, Folter, Plünderungen und Vergewaltigungen. Die Menschen fliehen in Scharen vor der Rückkehr der malischen Armee.“ Mali, so Attaye Mohamed, betreibe „ethnische Säuberungen im Azawad, und Frankreich schaut schweigend zu. Unser Volk, die Tuareg, wir sind die Vergessenen dieser Erde.“

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