© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/13 / 12. April 2013

Eiserne Einzigartigkeit
Nachruf: Mit dem Tod von Margaret Thatcher verliert Britannien eine streitbare Kämpferin wider Zeitgeist und Sozialismus
Thorsten Hinz

Das Echo auf den Tod Margaret Thatchers ist groß. Es wird beherrscht von der Empfindung, daß eine Große ihre irdische Laufbahn vollendet hat. Ihr Charisma strahlte über das Ende ihrer Amtszeit im November 1990 hinaus. Einer ihrer Nachfolger im Parteivorsitz der Konservativen, der heutige Außenminister William Hague, berichtete, er habe Thatcher – inzwischen Mitglied des Oberhauses – einmal in den Tearoom des Parlaments mitgenommen. Viele seiner Fraktionskollegen hätten panisch die Flucht ergriffen, als hätte er eine Cruise Missile zum Tontaubenschießen mitgebracht. An Margaret Thatcher schieden und scheiden sich nun mal die Geister.

Jacob Burckhardt hat die historische Größe nicht als Makellosigkeit oder Widerspruchsfreiheit, sondern als „Einzigkeit, Unersetzlichkeit“ definiert. Ohne die große Persönlichkeit erscheine die Welt uns unvollständig, „weil bestimmte große Leistungen nur durch (sie) innerhalb (ihrer) Zeit und Umgebung möglich waren und sonst undenkbar sind“.

Was waren Thatchers Leistungen? Sie hatte die Kraft und den Mut, sich einer populären, aber zerstörerischen Zeittendenz entgegenzustellen, indem sie den Gewerkschaftssozialismus in ihrem Land beendete, marode Industrien stillegte, den Sozialstaat verschlankte. Das brachte ihr den Vorwurf ein, sie praktiziere einen kalten Wirtschaftsliberalismus, der sich um die gesellschaftlichen Folgekosten nicht schere. Mit manchen steilen – und von den Medien zudem absichtsvoll verkürzten – Äußerungen hat Thatcher diesen Verdacht genährt.

In Wahrheit hauchte sie, nachdem sie 1979 Premierministerin geworden war, dem kollabierten englischen Patienten wieder Leben ein. Das geben selbst ihre Gegner zu. Sie verfügte über ein gesellschaftspolitisches Leitbild, das sie aus Friedrich Hayeks Buch „Der Weg in die Knechtschaft“ ableitete. Für Hayek führte die Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit auch zur politischen Unfreiheit. Von Hayek lernte sie allerdings auch, daß der Nationalsozialismus seine Wurzel in der Sozialgesetzgebung Bismarcks habe. Ein Dogma, das auch manchen dogmatischen Zug in ihrer Privatisierungspolitik erklärt.

Die 1925 geborene Thatcher entstammte, anders als das Establishment ihrer Konservativen Partei, nicht aus der Oberschicht, sondern aus der Mittelklasse. Das prägte ihren Politikstil. Weil der Staat auf den Schultern der tüchtigen, gesetzestreuen, steuerzahlenden Mittelschicht ruhte, konnte diese zu Recht erwarten, daß er in Gegenleistung ging und für Sicherheit und Ordnung sorgte. Und wer zur Selbstverantwortung fähig sei, habe die Pflicht, sie auch wahrzunehmen, ehe er auf die Hilfe anderer zurückgreife. Davon war Thatcher überzeugt. Doch gerieten der promovierten Chemikerin die gesellschaftlichen Fliehkräfte zunehmend aus dem Blick. Das zeigte sich, als sie gegen Ende ihrer Amtszeit eine Kopfsteuer durchsetzte, die für Arm und Reich gleich hoch war. Das verletzte ein elementares Gerechtigkeitsgefühl und trug zu ihrem Sturz bei.

Auch in der internationalen Arena wurde die überzeugte Antikommunistin zu einer Leitfigur. Im Rückblick erscheinen die Ereignisse von 1989 als folgerichtig, doch aus der Perspektive der siebziger Jahre war der Sieg des Westens alles andere als sicher.

Die Führungsmacht USA hatte sich in Vietnam eine blutige Nase geholt und wirkte demoralisiert. Das aufgelöste portugiesische Kolonialreich geriet in die Einflußsphäre der Sowjetunion, die auch Afghanistan besetzte und generell auf dem Vormarsch zu sein schien. Dem Expansionsdrang des Ostens und der westlichen Verzagtheit setzte Thatcher ihren eisernen Willen und eine ebensolche Rhetorik entgegen, die politisch wirksam wurden, als Ronald Reagan, ihr Bruder im Geiste, 1980 zum US-Präsidenten gewählt wurde.

Sie mochte die Deutschen nicht und hätte die Wiedervereinigung gern verhindert. Sie stand damit in der Tradition der britischen Nachkriegspolitik, welche die deutsche Teilung – allen Verträgen und Lippenbekenntnissen zum Trotz – am liebsten auf Dauer gestellt hätte. Sie nahm für sich in Anspruch, nur auszusprechen, was die anderen europäischen Politiker ebenfalls dächten.

Ihr Maßstab blieb das traditionelle britische Gleichgewichtskonzept, das wegen der zweitrangigen Position Europas in der Welt längst anachronistisch geworden war.

Dabei zeigte sich, wie beschränkt die britische Macht trotz Thatcherismus und gewonnenen Falklandkriegs geblieben war. Weder Thatcher noch der französische Präsident Mitterrand verfügten über Instrumente, um den Zug zur Wiedervereinigung aufzuhalten. Die Amerikaner wünschten sie aus machtpolitischen Erwägungen, und auch in der russischen Kosten-Nutzen-Rechnung überwog schließlich der Nutzen. 1990 war Thatcher sowohl innen- als auch außenpolitisch an die Grenze ihrer Möglichkeiten gekommen.

Die entschiedene Gegnerin eines europäischen Superstaates – ihre Brügge-Rede und ihr zorniges „No! No! No“ im Unterhaus sind legendär – war aber fair und klarsichtig genug, um den Deutschen in der Frage der Gemeinschaftswährung einen guten Rat zu erteilen: „Wenn ich Deutsche wäre, würde ich die Bundesbank und die DM auf alle Fälle behalten.“ Hätten unsere Funktionseliten den Ratschlag beherzigt, stünde es besser um das Land und den Kontinent. Margaret Thatcher war eben doch eine Politikerin von historischer Größe!

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