Den Tod verweigern
DVD: „Das grüne Zimmer“ von François Truffaut
Werner Olles

Zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg lebt Julien Davenne (François Truffaut) still und zurückgezogen als Mitarbeiter einer dahinsiechenden Zeitung in einer Provinzstadt Ostfrankreichs. Im Krieg hat er seine Freunde verloren, und er leidet darunter, selbst unversehrt übriggeblieben zu sein. Wenig später stirbt seine über alles geliebte Frau Julie, auf die er mit der ganzen Kraft seiner Empfindungen fixiert war.

Doch diesem größten Verlust verweigert Davenne die Anerkennung: Im ersten Stock des Hauses, in dem außer ihm nur eine Haushälterin und ein taubstummer kleiner Junge leben, richtet er für Julie das „grüne Zimmer“ ein. Niemand außer ihm darf diesen Gedenkraum voller Bilder und Gegenstände aus dem Besitz der Toten betreten. Hier hält Davenne täglich stundenlang Zwiesprache mit ihr, hier lebt sie für ihn weiter – dem Tod wird seine Macht bestritten.

Cecilia (Nathalie Baye), eine junge Frau, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat, seinen Totenkult fasziniert beobachtet, ihn aber dem Leben zurückzugewinnen trachtet, animiert Davenne durch ihre sanfte Präsenz zu neuem Antrieb. Mit Erlaubnis des Bischofs restauriert er eine verfallene Friedhofskapelle zum kerzenlichtdurchfluteteten Weihetempel für seine Toten, deren Bilder die Wände schmücken. Doch der Konflikt zwischen den beiden („Sie leben die Toten gegen die Lebenden!“) ist unvermeidlich …

„La chambre verte“ (1978) ist Truffauts irritierendster Film, weil er sich gegen jeglichen Kompromiß wendet. Ein weiteres Mal setzt der Cineast Truffaut hier gegen den üblichen Bilder-Informations- und Gefühlsverbrauch kultisch Bilder des Bewahrens, des Nichtvergessens, des Widerstands gegen Vergänglichkeit. Sein Horror vor der ablenkenden Überinformation und dem Verlust des Geheimnisvollen führt hier zu Bildkompositionen von beklemmend-mysteriöser Intimität.

In schattigen Bildern enger, durch Fensterscheiben und Spiegel beobachteter Räume evoziert der Film eine Atmosphäre hermetischer Abgeschiedenheit von allem, was Zeitablauf signalisieren könnte. Wie sehr Truffaut selbst sich dessen bewußt ist, zeigt die Ausschmückung des Erinnerungsaltars mit den Bildern der ihm Nahestehenden: von Oscar Wilde über Proust zu Jean Cocteau.

DVD: Das grüne Zimmer. Koch/Media, 2013. Laufzeit etwa 91 Minuten

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