© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

Pekings nützlicher Pufferstaat
Korea-Konflikt: Eskalation vorerst abgewendet Kommen „gleichberechtigte“ Verhandlungen des Kim-Regimes mit dem Erzfeind USA?
Albrecht Rothacher

Es war einmal mehr das immer gleiche Spiel der Kim-Dynastie. Man droht mit Angriff ohne Vorwarnung, mit der Invasion des Südens, mit Atomangriffen auf die USA, mit Raketen auf Japan – und genießt es, im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit zu stehen. Das nordkoreanische Regime versucht Nahrungsmittel vom Westen und Öl von China zu erpressen und die eigene Generalität, Nomenklatura und Bevölkerung durch eine dauernde Kriegsstimmung in ständiger Mobilisierung zu halten und zu öffentlichen Loyalitätsbekundungen zu zwingen, und so die eigene Despotie in der dritten Generation fortzusetzen.

In der mehr als zweitausendjährigen koreanischen Geschichte ist das Schaukelspiel, mächtige Nachbarn, China, Japan, die Mongolen oder Rußland, gegeneinander auszuspielen, durchaus üblich gewesen. Die Dynastien akzeptierten eine lose Souveränität des chinesischen Kaisers und taten dann, was sie wollten. Meist stellte der nichtkoreanische Rest der Menschheit das Feindbild dar.

Seit der vor der japanischen Armee aus der Mandschurei nach Sibirien geflüchtete Partisanenführer Kim Il-Sung 1945 von den Sowjets in Pjöngjang als Kollaborateur inthronisiert wurde, haben es die Kims nicht anders gehalten. Ihre Juche-Doktrin der nationalen Autarkie steht für Nordkorea gegen den Rest der Welt. Hungersnöte und Massenelend waren die Folge. Die russische Unterstützung haben sie nach dem Ende der Sowjetdiktatur verloren. Doch noch ist Nordkorea für Peking ein nützlicher Pufferstaat, der die Amerikaner von der Grenze am Fluß Yalu (Amrok) fernhält und nach der Devise „Teile und herrsche“ ein mächtiges, nationalbewußtes wiedervereinigtes Korea verhindert.

Bis zu fünf mobile „BM25 Musudan“-Raketen (Weiterentwicklung der sowjetischen R-27), die mit 3.000 Kilometern Reichweite die US-Stützpunkte auf Guam und Okinawa hätten treffen können, hatten die Nordkoreaner bis zum 15. April, dem 101. Geburtstag ihres „Großen Führers“ und „Ewigen Präsidenten“ Kim Il-sung in Stellung gebracht. Dann wurden die BM25 jedoch wieder sang- und klanglos abgebaut, und statt dessen schöne Freudenfeste mit Tänzen und Blumenschauen in Pjöngjang veranstaltet.

Die Welt darf nun weiter rätseln: Wird es doch noch zu einem Abschuß kommen? Wer führt das Kommando? Der pubertär wirkende Kim Jong-un, sein mächtiger Onkel Jang Song-thaek, der Geheimdienst oder eine Generalsclique, bei der es jüngst viele „säuberungsbedingte“ Ausfälle gegeben hat? Falls der in einem Schweizer Internat erzogene Kim (mit 30 Jahren jüngster Staatschef der Welt, mit der noch jüngeren Ehefrau Ri Sol-ju) die Macht hat, ist sein martialisches Auftreten nur Getue, um seine Herrschaft zu konsolidieren und um dann sein eigentliches Ziel – Wirtschaftsreformen nach chinesischem Muster einzuleiten – zu verfolgen? Immerhin hat er den von seinem Vater Kim Jong-il abgesetzten und in Ungnade gefallenen Wirtschaftsreformer Pak Pong-ju wieder zum Regierungschef ernannt.

Zunächst reagierten die USA, Südkorea und Japan nach dem durchaus erfolgreichen Drehbuch des Kalten Krieges: Keinen Millimeter weichen. Vorgesehene Militärmanöver wurden in Südkorea unbeirrt durchgeführt. Die Tarnkappenbomber B2 und die ebenfalls atomwaffenfähigen B52-Bomber sowie F22-Kampfjets wurden eingeflogen. Raketenabwehrstellungen – von Alaska bis Guam – wurden mit Abschußbefehlen in Alarmbereitschaft versetzt und ein Zerstörerverband mit neuesten Aegis-Abwehrraketen ins ostchinesische Meer geschickt. Die neue südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye (Tochter des Generals und autoritären Präsidenten Park Chung-hee) befahl ihrem Militär, „nordkoreanische Provokationen“, also Artillerieangriffe, sofort zu vergelten.

Denn Südkorea hat nicht viel Zeit. Die Hauptstadt Seoul, mit ihrer Elf-Millionen-Bevölkerung, allen Ministerien und Firmensitzen, liegt in 50 Kilometer Reichweite der nordkoreanischen Fernartillerie und Raketenwerfer. Diese sind in 60jähriger Tunnelarbeit gut geschützt und getarnt in Gebirgsbunkern eingegraben und könnten wohl aus 12.000 Rohren pro Stunde 400.000 Granaten und Raketen abfeuern. Es würde einige Zeit und Mühe kosten, sie effektiv auszuschalten. Kims veraltete Luft- und Panzerwaffe und die Marine dürfte den technisch massiv überlegenen Amerikanern und Südkoreanern dagegen kaum schlaflose Nächte bereiten.

Gleichwohl hat das nordkoreanische Militär in seiner asymmetrischen Strategie neben der Artillerie und der Atomwaffe (die trotz einer alarmistischen Einschätzung des schon im Irak schlecht informierten US-Militärgeheimdienstes DIA noch nicht für einen Raketeneinsatz miniaturisiert worden zu sein scheint) in seiner 1,1-Millionen-Mann-Armee noch ein drittes As im Ärmel: 180.000 Elitesoldaten, die für Kommandoeinsätze hinter der feindlichen Front als Fallschirmjäger oder mit amphibischen Landungen eingesetzt werden können. Nach den Szenarien der Clinton-Regierung, die 1994 (dem Todesjahr Kim Il-sungs) einen Präventivschlag plante, würden angesichts der feindlichen Feuerkraft – trotz eines Sieges bei einem Drei-Tage-Krieg – eine Million Südkoreaner und Tausende US-Soldaten in der Demilitarisierte Zone um den 38. Breitengrad umkommen. Wohl deshalb unterblieb damals der Angriff.

Je stärker die Kriegsgefahr auf der Koreanischen Halbinsel anwuchs, desto mehr deeskalierten in der Vorwoche plötzlich die USA und Südkorea. Außenminister John Kerry bot auf seiner Asientour die Wiederaufnahme der gescheiterten Sechs-Parteien-Verhandlungen an, die dem Norden für die Aufgabe seiner Atomrüstung internationale Energiehilfen ermöglichen sollten. Präsidentin Park versprach Dialog und humanitäre Hilfen. US-Tests der interkontinentalen „Minuteman 3“-Rakete wurden abgesagt, eine Propaganda-Ballonaktion nordkoreanischer Exilanten im Süden verboten. Denn falls Kim Jong-un nicht wahnsinnig, sondern nur offensichtlich etwas extrovertierter und egozentrischer ist als sein Vater, dann wird es auch ihm nur um eines gehen: die Anerkennung als Atomstaat und um gleichberechtigte Verhandlungen mit dem Erzfeind, den USA. In seiner Logik ist nach dem abschreckenden Schicksal der Diktatorenkollegen Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi nur der Besitz von Atomwaffen eine Überlebensgarantie.

Angenommen, die nordkoreanischen Raketenabschüsse bleiben weiter aus, wer hat bei diesem Nervenkrieg gewonnen? Kim junior wird seinen gläubig-ungläubigen Untertanen verkünden, er habe die bevorstehende Invasion der US-Imperialisten und ihrer südkoreanischen Verräter-Lakaien erfolgreich verhindert. Am meisten Kredit jedoch scheint China zu gewinnen. Zwar ist seine Strategie des sanktionsfreien beziehungsweise unterlaufenden „Dialogs“ mit Nordkorea bislang spektakulär gescheitert. Auf die letzten Provokationen des Kim-Regimes reagierte Peking nur mit verschärften Grenzpatrouillen und Zollkontrollen.

Der neue Präsident Xi Jinping wandte sich öffentlich gegen Länder, die Asien destabilisierten und forderte eine atomwaffenfreie Koreanische Halbinsel. So entschieden sich die USA unter der neuen Obama-Regierung in letzter Minute doch, sich in der Stunde der Not trotz aller militärischen Überlegenheit an die Schutzmacht Peking zu wenden. Das wird man in Asien, das ein gutes historisches Gedächtnis hat, lange nicht vergessen. Peking drosselte die Öllieferungen, und die Abschüsse blieben vorerst aus.

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