© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

CD: Knuckleduster
Vibrierende Klangräume
Sebastian Hennig

Das polnische Label „gustaff records“ im niederschlesischen Grünberg präsentiert die neue Platte des deutsch-indischen Duos „Knuckleduster“. Die poetischen Klangraum-Architekten Robert Lippok und Debashis Sinha firmieren also unter der Bezeichnung „Schlagring“. Der Titel des Albums „Nuukoono“ klingt eher nach der Sprache der Inuit oder Aborigines.

Lippok ist ein Veteran der alternativen Musikszene Ost-Berlins. Mit seinem Bruder Ronald bildete er von 1983 bis 1994 den Kern des offenen Musik-Performance-Projektes „Ornament & Verbrechen“, benannt nach dem apodiktischen Essay des Wiener Architekten Adolf Loos von 1911. Unbeirrt wurden Wege verfolgt, auf denen man der Kulturbürokratie nicht ins Gehege geriet. 1988 glückte ihnen via West-Berlin das Husarenstück der ersten legal auf dem Gebiet der DDR vertriebenen Independent-Schallplatte mit der Single „Local Moon“, die einer originalgrafischen Zeitschrift beigelegt war.

Derart unanfechtbar und ästhetisch-autistisch bewegt sich immer noch „Knuckleduster“, die in Großbritannien berühmt sind. Lippok, Typ sonnenlichtscheuer Bastler, schaltet und regelt an der Elektronik, die zumeist in kurzen, trockenen Sequenzen hackt oder wabert, derweil sein Partner mit archaischer Würde an seinem Schlagwerk steht. Debashis Sinha wäre derart auch am Hofe eines Mogul-Statthalters oder eines Rajputen-Fürsten vorstellbar und Lippok als ein portugiesischer Kaufmann oder Jesuit, der die Magie des Abendlandes vorführt: Dschinni in der Schachtel, reagierend auf die Beschwörungen ihres Meisters. Komplett wird die Vorführung erst im Konzert.

Letzten Herbst im Festspielhaus Hellerau bekam das überschaubare Publikum kleine Filmchen zum Klang präsentiert. Zu beobachten war, wie sich das Unterholz eines ganz gleichgültigen Stückchens Erde durch Begrünung des Bodens und Vortrieb der Sträucher ruckartig verwandelte. Etwas von dieser geheimnisvollen visuellen Tapezierung der Klangräume von „Knuckleduster“ spiegelt die Verpackungsgestaltung der Platte wider. Die befindet sich eingelegt in ein kunstvoll gefaltetes, mehrfach geschlitztes Plakat mit Fotografien von Wolken, Schnee und Gewächs, die oftmals durch Kunstlicht aus ihrer Umgebung herausgerissen werden.

Die Musik selbst ist zu unheimlich für eine spekulative esoterische Klangdusche, und von der nihilistischen Fraktur unterscheidet sie ein komplex-harmonisches Wesen. Auch die Titel deuten auf kosmische Ordnung: „The Animal Dream“, „Curve“, „Night Call“ oder „Dark Loop“. Man genügt sich selbst und spendet anderen damit Freude. Manches klingt wie verspielte Instrumentalstücke im Stil der „Can“ oder anderer elektrifizierter Krautrocker. Nur Stimme hat hier kein Recht. Die wenigen Beiträge der Baßklarinette (Roberto Paci Dalò) und des nonverbalen Gesangs (Caroline Sheehan) bestätigen als Ausnahmen die Regel.

Die schrillen auf- und abschwingenden Bögen hinter dem treibenden samtigen Rhythmus von „Marigold“ klingen wie eine ferne dörfliche Kreissäge: Der Ackerbürger vermehrt seine Holzvorräte für ausstehende Winter. Ein Clubbesucher in Soho wird wieder ganz etwas anderes, doch ebenso Archetypisches für unser Dasein, herauszuhören vermögen.

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