© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/13 / 19. April 2013

Wiedergeburt im Konzertsaal
Abschluß des Berliner Wagner-Zyklus unter Marek Janowski: „Götterdämmerung“ konzertant
Sebastian Hennig

In der Berliner Philharmonie vollzogen sich ungewöhnliche Erscheinungen. In der letzten halben Stunde des alten Tages zeigte sich der „ganze Bühnenraum nur noch von Feuer erfüllt“. Dann „verlischt plötzlich der Glutschein, so daß bald nur noch Dampfgewölk zurückbleibt“ und „am Horizont sich als finstere Wolkenschicht lagert“. Darauf bricht „ein rötlicher Glutschein mit wachsender Helligkeit aus“.

Zuletzt wurden vor den Augen der zweieinhalbtausend Zuschauer des ausverkauften großen Saals die Götter „von den Flammen gänzlich verhüllt“. Eine stille Ergriffenheit folgte dem Verklingen der letzten Töne. Ein freudig-heller „Danke“-Ruf von der Empore bahnte den begeisterten Beifallsbekundungen den Weg.

Was in den zurückliegenden fünf Stunden zu erleben war, kann mit der Wiedergeburt des Wagnerschen Musikdramas aus dem Geiste des Konzertsaals beschrieben werden. Zugleich gestaltete es sich als eine Art Schülerkonzert für Erwachsene. Die offene Aufstellung des Orchesters offenbarte dem Publikum in jedem Augenblick, wie der spezifische Wagnerklang erzeugt wird. Die Dramatik der Musikerzeugung erwies sich als weit fesselnder als die meisten Inszenierungen. Die synästhetische Gewalt dieser Klangdramatik, ihre absolut präzise Ambivalenz zwangen Bilder herauf, wie sie die Inszenierungen in der Regel vergeblich zu verdecken suchen.

Die bei schlankeren Instrumentierungen schnell unangenehm steril wirkende Tonstudio-Akustik des Philharmonie-Gebäudes brachte unter der Dirigierkunst Marek Janowskis eine dreidimensionale Fülle hervor. Die englische Sängerkollegin auf dem Nebenplatz ließ ihr Textbuch unumgeblättert, der Schluß trieb ihr die Tränen in die Augen.

Vierzehn Tage zuvor war „Siegfried“ zu hören. Damit ist die audiophone Nationalausgabe der Hauptwerke Richard Wagners zu seinem Jubiläum abgeschlossen. Die letzte der elf CD-Boxen wird im November ediert.

Wer das Glück hatte, einer der Aufführungen beizuwohnen, der kann sich hörend zurückversetzen. Wem es versagt war, der kann zumindest die „Götterdämmerung“ an diesem Samstag (20. April) ab 18.05 Uhr im Deutschlandradio Kultur hören und dabei einen Eindruck gewinnen von dem Widerklang jenes einmaligen Erlebnisses. Es ist gefährlich, so etwas provozieren zu wollen. Oft geht es daneben. Aber ein so unprätentiöser wie gewissenhafter Kapellmeister wie Marek Janowski, der vor genau dreißig Jahren mit der Dresdner Staatskapelle bereits einen bemerkenswerten konzertanten „Ring“ einspielte, weiß dieses Risiko zu steuern.

Der Auftritt und Abgang der Sänger und ihre wechselnde Stellung im Raum waren dazu angetan, die Abwesenheit von Kostüm und Kulisse völlig vergessen zu machen. Die sängerische Leistung ereignete sich insgesamt auf einem Niveau, das Vorbehalte zu einem snobistischen Luxus werden läßt. Wann, wo bekommt man dergleichen zu hören? Doch selten genug, um direkte Vergleiche anbringen zu können. Einzelne fast schon sportliche Betätigungen im Wagnergesang, monologisch schmetternd à la Jonas Kaufmann, kommen wohl öfter vor, aber eine Aufführung von so homogener Kraft hat Seltenheitswert.

Einzig Matti Salminen, der schon der Hagen von Janowskis letzten Plattenaufnahmen in den Achtzigern war, schwächelt unüberhörbar. Das hat inzwischen biologische Gründe. Warum die Entscheidung auf ihn fiel, wird erst ab dem zweiten Aufzug sinnfällig: Die reinen Schwarzalben-Sänge, der Mannen-Ruf und das Zwiegespräch mit Mime geraten ihm beispiellos. Darauf wirkt dann selbst der vitale Siegfried (Lance Ryan) fast monoton. Soll Hagen sich jedoch auf den höfischen Ton von Gunther und Gutrune einlassen muß er mit schönen Stimmresten leichte Brücken über den Abgrund seiner Ermüdung schlagen. Das wirkt traurig. Man hätte den unkonventionellen Weg einer Doppelbesetzung einschlagen sollen, um nicht das eine um die Preisgabe des anderen erwerben zu müssen.

Eine tatsächlich tief besorgte Waltraude, ihre „endlose Angst“ klingt lange noch im Ohr und im Herzen nach, dunkel ahnend, schwer aber nicht gepreßt, gab Marina Prudenskaja. Den König in seiner vertraglichen Gebundenheit stellte Markus Brück ausgewogen dar. Petra Lang als Brünnhilde und Edith Haller als Gutrune vermittelten leibhaftig zwei Pole des weiblichen Genius, dem Wagner in seinen letzten Tagen über dem unvollendeten Manuskript „Über das Weibliche“ nachsann. So kurzweilig und spannend ist „Götterdämmerung“ selten.

Deutschlandradio Kultur überträgt das Konzert am 20. April ab 18.05 Uhr.

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