© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Fortdauerndes Versagen der Justiz
„Bodenreform“: Viele Opfer warten auf Wiedergutmachung
Klaus Peter Krause

Noch immer nicht hat die bundesdeutsche Rechtsprechung schwerste Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der sogenannten „Bodenreform“ aufgearbeitet, jedenfalls nicht in rechtsstaatlich zwingender Weise. Zu diesen Verbrechen gehören die politischen Verfolgungen nach stalinistischen Terrormethoden in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) 1945 bis 1949. Getarnt waren sie zumeist mit den Bezeichnungen „Bodenreform“ und „Wirtschaftsreform“. Die Opfer dieser Verbrechen warten nach wie vor auf die Wiedergutmachung. Diese ist nicht nur möglich, sondern nach den gesetzlichen Regelungen auch geboten. Aber Justiz und Behörden verkennen, was diese Regelungen besagen, und verfälschen sie.

Auf dem Kongreß der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE) am vergangenen Wochenende in Potsdam hat der Jurist Johannes Wasmuth den Gerichten „Versagen“ vorgeworfen. Ebenso versagt wie schon beim Aufarbeiten von NS-Unrecht habe die bundesdeutsche Rechtsprechung nun abermals beim Aufarbeiten von SED-Unrecht. Die rechtsstaatlichen Defizite seien vergleichbar: Tatsachen der politischen Verfolgung würden systematisch verdrängt, die gesetzlichen Maßstäbe zum Nachteil der Opfer verkannt, Wiedergutmachungen häufig unterbleiben, Bestrafungen der Täter unterlassen. Überdies lägen im Fall der repressiven Verfolgungsaktionen gegen die Opfer der „Boden- und Wirtschaftsreform“ die bisherigen Klageverfahren neben der Sache. Wasmuth ist Rechtsanwalt und Cheflektor des rechtswissenschaftlichen Fachverlages C. H. Beck in München, die ARE ein Zusammenschluß von vierzehn Opfer- und Geschädigtengruppen.

Wasmuth führte vor, was für diese Verfahren die rechtlichen Maßstäbe sind und daß es sich um repressive Verfolgungsaktionen nach dem Muster der „stalinistischen Säuberungen“ gehandelt hat. Er zerpflückte Fehlentscheidungen der Gerichte, die leider meinungsbeherrschend geworden seien. Er beschrieb den immensen wirtschaftlichen Schaden der unterbliebenen Wiedergutmachung und zeigte auf, welche rechtlichen Möglichkeiten zur Wiedergutmachung bestehen. Hierbei sei zu unterscheiden zwischen bloßen Enteignungen (zwar Unrecht, aber nicht verbunden mit schwersten Menschrechtsverletzungen) und repressiven Vermögenseinziehungen (als ein ständiger Bestandteil solcher Verletzungen, wenn es – ob schuldig oder nicht – eine extreme Bestrafungsaktion war).

Wichtig hierfür: Vermögenseinziehungen seien keine Enteignungen. So gehe es zum Beispiel in der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 nur um Enteignungen. Daher schließe sie eine Wiedergutmachung der Verbrechen durch Rehabilitierung und Rückgabe der eingezogenen Vermögenswerte gerade nicht aus. Das sei ein völliges Fehlverständnis.

Hat es sich „nur“ um Enteignungen gehandelt, ist für die Vermögensrückgabe, wie Wasmuth weiter darlegte, das Vermögensgesetz zuständig. Fanden Enteignungen unter sowjetischer Hoheit statt, ist das Ausgleichsleistungsgesetz einschlägig, und die Opfer erhalten nur minimale finanzielle Ausgleichsleistungen. Handelte es sich um eine Bestrafungsaktion mit einer Vermögenseinziehung, haben unschuldig Schwerstbestrafte den Anspruch auf Rehabilitierung durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG). Die Strafmaßnahme ist dann aufzuheben (Rehabilitierung), und die Vermögensrückgabe vollzieht sich nach dem Vermögensgesetz.

Ebenso besteht der Anspruch bei außergerichtlichen Repressionsmaßnahmen, also wenn sogenannte Kommissionen oder andere Verwaltungsorgane sie verfügt haben. Das StrRehaG ist für alle Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen einschlägig, die (sei es gerichtlich, außergerichtlich oder extralegal) als Strafmaßnahmen zwischen dem 8. Mai 1945 und 2. Oktober 1990 stattfanden. Anträge auf Rehabilitierung können bis zum 31. Dezember 2019 gestellt werden.

Formal waren die Bestrafungen gegen „Nazi- und Kriegsverbrecher“ gerichtet; im Westen fanden solche Bestrafungen ebenfalls statt, denn solche Verbrecher gab es durchaus. Aber die Kommunisten in der SBZ mißbrauchten die Bestrafungen, um im „Klassenkampf“ eine ganze Bürgerschicht politisch wie wirtschaftlich zu vernichten. In der Landwirtschaft gaben sie sie als „Bodenreform“ aus und außerhalb davon als „Wirtschafts- oder Industriereform“. Auch deren Strafcharakter belegte Wasmuth im Detail. Vorbild waren die stalinistischen Säuberungen in der Sowjet-union. Die Rechtsgrundlage und den Strafzweck lieferten die Kontrollratsdirektive Nr. 38 als das Strafgesetz und der SMAD-Befehl Nr. 201 als das Strafprozeßrecht.

Besonders gut dokumentiert sind die Verfahren, die in Ost-Berlin stattfanden: Anklage durch die „Deutsche Treuhandverwaltung“, keine Beteiligung der Beschuldigten am Verfahren, keine Verteidigung, die zur Last gelegten Vorwürfe galten als Tatsachen, entschieden wurde in Sammelterminen, die Entscheidungsergebnisse in Listen eingetragen, es gab keinen Rechtsschutz. Die verhängte Strafe: Freiheitsentzug (Straflager, Haft, Verschleppung), Einziehung des betrieblichen und privaten Vermögens, Berufsverbot, öffentlicher Tadel als NS- und Kriegsverbrecher und Registrierung als solcher in Listen als plakative Brandmarkung mit Prangerwirkung. Die Zahl der Deutschen, die allein durch die Sowjets interniert wurden, bezifferte Wasmuth nach den bisher bekannten Schätzungen mit 380.000 bis 390.000. Ein Drittel von ihnen habe die Internierung nicht überlebt.

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