© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Hang zur Nabelschau
Bundestagswahl: Angesichts der anhaltenden Schwäche der SPD brechen bei den Grünen alte Konflikte wieder auf
Christian Schreiber

Die Grünen haben eine ganze Generation von Politikern mit ökologischen Themen vor sich hergetrieben, der Republik eine Energiedebatte aufgedrückt und vor zwei Jahren nach dem Reaktorunglück in Japan als Oppositionspartei den Atomausstieg quasi erzwungen. Zeitgleich eroberten sie Rathäuser im Südwesten Deutschlands und erklommen den Chefsessel in der Stuttgarter Staatskanzlei. Und bei der kommenden Bundestagswahl geht die Partei mit glänzenden Perspektiven ins Rennen. Mindestens 15 Prozent der Stimmen sagen ihnen die Meinungsumfragen voraus, ein Rekordergebnis scheint ihnen bereits jetzt sicher.

Und dennoch wirkt die Partei, die sich am Wochenende auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Berlin ein Wahlprogramm geben will, in diesen Tagen erstaunlich orientierungslos. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, daß sich der potentielle Koalitionspartner SPD bedenklich der 20-Prozent-Marke nähert und ein rot-grünes Bündnis damit in weite Ferne rückt. Doch auch innerhalb der Partei läuft es derzeit nicht rund. So staatstragend die Grünen sich mittlerweile geben, so ausgeprägt ist ihr Hang zu innerparteilichen Debatten immer noch. Die SPD habe ja bloß 160 Änderungsanträge zu ihrem Wahlprogramm zu beraten gehabt, während die Grünen sich mit 2.600 Änderungswünschen auseinandersetzen müßten, berichtete Parteichefin Claudia Roth mit einer Mischung aus Genervtheit und Stolz. Katrin Göring-Eckardt, neben Jürgen Trittin Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, stellte unlängst denn auch süffisant fest, daß sich die SPD nur eine Stunde mit programmatischen Fragen beschäftigt habe. Die Grünen würden sich in Berlin dagegen drei Tage mit Inhalten auseinandersetzen. Dieser Hang zur Nabelschau kommt offenbar an.

Inhaltlich Neues wird es allerdings kaum geben. Die Grünen beschränken sich derzeit wieder auf ihre Kernkompetenzen, zumal die SPD mit Spitzenkandidat Peer Steinbrück bei den Themen „ökologische Modernisierung und Energiewende“ keine Meinungsführerschaft im rot-grünen Lager anstrebt, wie es Göring-Eckardt formuliert. Doch zum Regieren sind die Öko-Themen ein bißchen zu wenig und so offenbaren sich beim Thema Steuern und Finanzen die Bruchlinien innerhalb der Partei. So haben sich führende Mitglieder wie Roth oder Fraktionschef Trittin für eine „einmalige, befristete Vermögensabgabe ab einem Betrag von einer Million Euro“ ausgesprochen. So steht es auch im vorläufigen Wahlprogramm.

Doch einigen Mitgliedern, allen voran aus dem traditionell linken Landesverband Nordrhein-Westfalen geht dies nicht weit genug. „Umverteilung und eine bessere Finanzierung öffentlicher Haushalte ist die Voraussetzung für mehr Gerechtigkeit“, heißt es fast schon drohend in einer Mitteilung des Verbands, der sich für massive Steuer-erhöhungen ausspricht. Daß sich die Partei mit solchen Forderungen zurück an den äußerst linken Rand des Parteienspektrums bewegt, stört dabei einflußreiche „Realo“-Kreise um den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und den Oberbürgermeister von Tübingen Boris Palmer: „Es gibt derzeit eine Neigung bei uns, das Programm ohne Rücksicht auf Unternehmen zu verändern, weil es der Wirtschaft gerade so gut geht“, sagte Palmer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und fügte hinzu: „In der Summe machen wir damit die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes komplett rückgängig, auf die wir früher zu Recht stolz gewesen sind.“

Noch einen Schritt weiter ging Kretschmann, der in einer bemerkenswerten Aktion gemeinsam mit seinem Wirtschaftsminister Niels Schmid (SPD) einen Brief an die Vorstände der beiden potentiellen Koalitionspartner schrieb und vor einer Gängelung des Mittelstands warnte. Ein Zurück zu wirtschaftspolitischen Fundamental-Positionen sei geeignet, die neu gewonnenen Hochburgen im Südwesten wieder zu verspielen, heißt es aus Kretschmanns Umfeld warnend mit Blick auf die Bundestagswahl.

Foto: Spitzenkandidat Jürgen Trittin im Grünen: Der Parteitag muß über 2.600 Änderungswünsche der Mitglieder zum Wahlprogramm verhandeln

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