© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Nichts ist unmöglich
34. Evangelischer Kirchentag: Mit einem zum Teil bizarren Programm startet am 1. Mai in Hamburg das größte protestantische Laientreffen
Thorsten Brückner

Soviel du brauchst“ lautet das recht mißverständliche Motto des diesjährigen Evangelischen Kirchentags, der vom 1. bis 5. Mai in Hamburg stattfinden wird. Das herangezogene Versfragment aus dem Buch Exodus taugt dabei kaum als eine Erklärung für das aufgeblähte Programm, bei dem selbst hartgesottene Kirchentagsgänger die Orientierung verlieren dürften. An Programmpunkten mangelt es dem Kirchentag 2013 also wahrlich nicht. Dies kann man über die biblische Tiefe wohl nicht behaupten. Wer an Bibelarbeit, theologischen Vorträgen oder gar christlicher Apologetik interessiert ist, muß das Programmheft schon ganz genau studieren, um auf seine Kosten zu kommen.

Freunde eines bunten Öko-Christentums werden hingegen vermutlich Probleme haben, sich aus der Vielzahl der Veranstaltungen das Passende herauszusuchen. Auf dem „Markt der Möglichkeiten“ können sich die Besucher an über 800 Ständen informieren. Der Bundesverband Lebensrecht hat hier ebenso einen Stand wie die linksradikale, vom Verfassungsschutz beobachtete Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen. Neben Programmpunkten, die man typischerweise auf einem Kirchentag erwarten würde, tummelt sich allerlei Skurriles.

Einer der bunten Höhepunkte ist dabei das „Feierabendmahl unterm Regenbogen“ am Freitagabend „mit Lesben, Schwulen und allen, die das Leben lieben“, wie das Programmheft ankündigt. Zu denen, die das Leben lieben, gehört auch der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, der an diesem Freitagabend zu den liturgischen Klängen des Organ-Theaters Regenbogen und dem gemischten Frauenchor „Miss Klang“ Oblate und Rotwein genießen will.

Unerwünscht sind Juden, die an Jesus glauben

Auch unabhängig davon bietet das Programm Freunden schwul-lesbischer Lebensweisen wieder ein breites Forum. So zum Beispiel bei den Workshops „Aus dem Schrank auf die Vitrine – Lesben schreiben Kirchengeschichte“ oder „Lesbe und Mutter – für frauenliebende Frauen mit Kinderwunsch“.

Nicht nur etwas für Theologiestudenten ist auch das „biblische Training gegen Homophobie“. Welche biblischen Texte hierfür herangezogen werden sollen, bleib eine Überraschung bis zum Schluß. Daß das Thema mittlerweile auch bei manchen evangelikalen Gemeinden angekommen ist, verdeutlicht die Veranstaltung „lesbisch-schwul-fromm – Wertewandel in den Freikirchen“.

Auch der „Kampf gegen Rechts“ kommt nicht zu kurz. Unter dem Motto: „Ist das schon rechts? Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft“, wird es ein interaktives Planspiel geben. Die Szene hat der Veranstalter bereits in seiner Ankündigung umrissen: „Ein heiteres Dorffest entpuppt sich als völkische Sonnwendfeier. Dorfbewohner schlagen Alarm. Der Gemeindekirchenrat tagt. Ab wann sind Nachbarn Nazis?“

Weitere gesellschaftlich brisante Themen haben ebenfalls Eingang ins Programm gefunden. Die Veranstaltung „Treibhaus Hamburg – ein Stadtrundgang“ möchte das Kirchentagspublikum für den Klimawandel sensibilisieren. Der Gottesdienst „Wall Street – Geld schläft nicht“ beschäftigt sich mit den Auswüchsen des Finanzmarktkapitalismus.

Auch für die Freunde spiritistischer Alternativen bietet der Kirchentag ein breites Programm. Egal ob Yoga, Feldenkrais („Bewegungslehre“) oder meditatives Malen. Der Kirche kann man dabei wahrlich nicht vorwerfen, nicht mit der Zeit zu gehen. Ein zentraler Punkt ist auch in diesem Jahr wieder der interreligiöse Dialog, zu dem vor allem Juden besonders willkommen geheißen werden. Mit einer Ausnahme allerdings. Juden, die an Jesus als ihren Messias glauben, sind nicht erwünscht. Dem messianisch-jüdischen Verein Beit Sar Shalom wurde auch in diesem Jahr wieder der Zugang zum Kirchentag verweigert. Messianische Juden sind von der Abstammung her Juden, die aber glauben, daß Jesus der im Alten Testament verheißene Messias des jüdischen Volkes ist. Am Kirchentag dürften nur solche Gruppen teilnehmen, die dialogorientiert seien und andere nicht verletzten, betonte Kirchentagsgeneralsekretärin Ellen Ueberschär gegenüber dem christlichen Nachrichtenmagazin idea.

Ein Beschluß des Kirchentagspräsidiums aus dem Jahr 1999 schließe zudem messianische Juden grundsätzlich aus. In Übereinstimmung mit dem Rat der EKD und dem Zentralrat der Juden in Deutschland lehne man eine auf Bekehrung zielende „Judenmission“ aus theologischen und historischen Gründen ab. Messianische Juden würden den christlich-jüdischen Dialog stören. „Wir sind ein Reizfaktor“, betont der Rabbiner der messianischen Organisation Beit Sar Shalom in Berlin, Wladimir Pikman im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Durch uns wird die Kirche mit Jesus als König der Juden konfrontiert.“ Pikman zeigte sich von dem erneuten Auschluß sehr enttäuscht. „Man diskriminiert uns aus einem einzigen Grund: weil wir Juden sind und an Jesus als den Messias glauben.“

Bei anderen Gruppen, die ähnlich diskriminiert werden, hätte man schon längst von Rassismus gesprochen, sagt er. Zwar verstehe er die schwierige Lage, in der sich die Leitung des Kirchentag befände, die die konventionellen Juden nicht vor den Kopf stoßen will. „Aber wir sind doch auch Juden“, äußert er seine Enttäuschung.

Bisher durften messianische Juden erst einmal an einem Kirchentag teilnehmen, dem ökumenischen Kirchentag 2010 in München. Die damals für den Abend der Begegnung zuständige Landessynode München hatte dabei unabhängig von der Kirchentagsleitung eine Beteiligung von Beit Sar Shalom befürwortet.

Beit Sar Shalom ist die einzige messianische Organisation, die es Jahr für Jahr immer wieder probiert. Auch 2014 wolle man sich wieder anmelden, sagt Pikman. Hoffnungen, daß die Veranstalter noch vor Beginn des Kirchentags 2013 zu einem Umdenken kommen, hat der Rabbiner nicht mehr. „Man spricht im Vorstand des Kirchentags über uns. Leider aber nur sehr selten direkt mit uns.“

„Ohne uns“, ist sich Pikman sicher, „würde die Kirche bezüglich messianischer Juden einfach einschlafen. Ich habe die Hoffnung, daß durch unser Engagement sich auch Christen wieder stärker zu ihrem Glauben bekennen“, sagt er.

Allein deshalb sei es wichtig, weiterhin für einen Platz zu kämpfen. Ein anderes Gemeindemitglied wird noch deutlicher: „Wären wir eine Gruppe homosexueller Juden, wir hätten längst unseren Stand auf dem Markt der Möglichkeiten. Nur Juden, die Jesus als ihren Messias bekennen, sind dort nicht erwünscht.“

 

Rechtsextremismus

Interaktives Planspiel: „Ist das schon rechts? Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft. Ein heiteres Dorffest entpuppt sich als völkische Sonnwendfeier. Ab wann sind Nachbarn Nazis?“

 

Homosexualität

Feierabendmahl „unterm Regenbogen“: Mit „Lesben, Schwulen und allen die das Leben lieben“. Gäste sind unter anderem Volker Beck (Grüne) und Reinhard Höppner (SPD).

 

Religiöse und kulturelle Vielfalt

Podiumsdiskussion: „Grenzen dicht! Wie ethisch ist die europäische MIgrationspolitik?“ Unter anderem mit Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne)

 

Soziales

Ideenbörse zum Thema: „Armut hier! Der kleine Kreis für Gleichgesinnte. Themen: Recht auf Auskommen, Recht auf Aufenthalt, Recht auf Bildung, Recht auf Wohnen.“

 

Frauen

„Lesben und Spiritualität im Alltag“ – Ein Workshop nur für Frauen

Podiumsdiskussion: „Frauen, Männer, Gender oder ganz neue Wege.“

 

Sexualität im Alter

Podiumsdiskussion: „Ohlala! Frühlingserwachen. Sexualität im Alter (k)ein Problem.“

„Filmisch Tabus brechen – Kulturschaffende als Tabubrecher.“

 

Geschlechtergerechtigkeit

Podiumsdiskussion über „geschlechtergerechte/ geschlechtersensible Theologie“ und die Gemeindepraxis.

Thema unter anderem: „Das Geschlecht des Messias im Neuen Testament und geschlechtergerechte Praxis“

 

„Diversity“

Podiumsdiskussion zum Thema „Evangelisch: verwirrend und verheißungsvoll bunt! Gemeinde als Diversity Management?“

 

Messianische Juden

Obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen, glauben messianische Juden an Jesus Christus als den von Gott gesandten Retter und Erlöser. Sie benutzen dabei allerdings an Stelle von „Christus“ das hebräische Wort Messias, aus dem sich auch ihre Selbstbezeichnung ableitet. In Deutschland leben derzeit etwa 5.000 messianische Juden. Davon sind etwa 1.000 in messianischen Gemeinden organisiert, die teilweise sehr großen Wert auf die Einhaltung der alttestamentlich-jüdischen Tradition legen und auch die jüdischen statt der christlichen Feste feiern. Bei einem Großteil dieser Gläubigen handelt es sich um Kontingentflüchtlinge oder Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion.

 

Kirchentag

Der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) findet vom 1. bis 5. Mai in Hamburg statt. Dieses Jahr steht das Treffen der evangelischen Laienbewegung unter dem Motto „Soviel du brauchst“ (2. Mose 16,18). Außer den gemeinsamen Gottesdiensten und Diskussionsveranstaltungen (siehe Ausrisse) erfreut sich vor allem der sogenannte „Markt der Möglichkeiten“ besonderer Aufmerksamkeit. Hier präsentieren sich über 800 Organisationen den rund 100.000 Besuchern, die erwartet werden. Kirchentage finden seit 1949 alle zwei Jahre statt. Geleitet wird das Treffen von einem aus 15 Personen bestehenden Präsidium um den Trierer Verfassungsrechtler Gerhard Robbers.

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