© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Nach den Anschlägen von Boston stand sofort, aber wohlweislich unausgesprochen, die Vermutung im Raum, daß Islamisten verantwortlich sein könnten. Dann die fast körperlich spürbare Erleichterung angesichts der Meldung, die Täter seien „hellhäutig“, dann die Einsilbigkeit, als klar wurde, daß das gar nichts zu bedeuten hatte, angesichts ihrer tschetschenischen Herkunft. Jetzt bleibt eigentlich nur noch das Gerede über die Unmöglichkeit totaler Sicherung und den „homegrown terrorism“, den hausgemachten Terrorismus, der keiner ist, sondern ein eingeschleppter, unabhängig von sozialer Lage, Bildung und äußerlicher Integration – das Ergebnis einer Entfremdung, die wir dem Globalismus verdanken und der „Vielfalt“.

Der größte Vorteil der „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist ohne Zweifel, daß sie die Mitte der Gesellschaft repräsentiert. Ihr bürgerlicher Habitus und auch das reife Alter ihrer Mitglieder oder doch der Führung sprechen dafür, daß sie als seriös betrachtet wird, tatsächlich „wählbar“ (Jürgen Falter) ist und gewisse Chancen hat, auf Anhieb die Fünfprozenthürde zu überspringen und in den Bundestag einzuziehen.

Der größte Nachteil der „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist ohne Zweifel, daß sie die Mitte der Gesellschaft repräsentiert. Denn diese Positionierung bedeutet auch einen Mangel an überschießender Kraft, den jede neue politische Bewegung braucht, die mehr sein will als eine Wiederauflage älterer Modelle oder ein Mehrheitsbeschaffer für die Etablierten (die sich solcher Hilfskräfte bei Gelegenheit zu entledigen wissen, Beispiele gibt es von der Deutschen Partei bis zur Schill-Partei).

Die Abhängigkeit des historischen Wissens von der Zeitnähe ist ein wichtiger, aber selten reflektierter Sachverhalt. So erklärt sich aber nicht nur, was an Kenntnis „sitzt“ und was nicht, sondern auch die Schwankung der Inhalte des Gewußten: Selbstverständlich war den Teilnehmern der freideutschen Tagung auf dem Hohen Meißner von 1913 klar, daß der Philosoph Ludwig Klages nicht teilgenommen (allerdings einen Beitrag zur Festschrift geschrieben) hatte; dann fand sich für lange Zeit die Behauptung in der Literatur, daß er dort aufgetreten sei, bis in den 1970er und 1980er Jahren eine so gründliche Aufarbeitung der Geschichte der Jugendbewegung stattfand, daß dieser Irrtum fast vollständig korrigiert wurde. Damit ist es jetzt wieder vorbei: Auf der ersten Seite der FAZ vom 10. April stand, Klages habe auf dem Hohen Meißner „die erste Öko-Rede“ gehalten, und keine wütenden Leserbriefe zum Zweck der Korrektur, nirgends.

Margaret Thatcher zum Abschied: „Freedom Fighter“ (The Economist), „Boudicca with a Handbag“ (Financial Times). Zur Erläuterung: Boudicca war eine keltische Fürstin des 1. Jahrhunderts, die den letzten großen Aufstand gegen die römischen Besatzer durchführte, eine Frau von außergewöhnlichem Mut und außergewöhnlicher Rabiatheit.

Kim Jong-un ist wirklich ein sehr einsamer Mensch. Man wartet auf die notorischen Amerikahasser, auf die Kenner der überstaatlichen Mächte, die Spezialisten für Feinheiten der Geopolitik, die Freunde unbedingter (also atomwaffengestützter) Souveränität, aber niemand, wirklich niemand im Westen verteidigt die Position und den Mann oder äußert wenigstens Verständnis.

Was am Zustand der Führungsmacht der freien Welt wirklich beunruhigt, ist die Korpulenz ihrer Sicherheitskräfte.

Beim Gang durch unsere größeren Städte kann man den Eindruck gewinnen, als ob sie verschiedene Bevölkerungen bergen, je nach Tag und Uhrzeit. Unter der Woche und bei Lichte findet man auf den Straßen und Plätzen die Alten, die Nur-Hausfrauen, die Schwänzer, die Arbeitslosen und jenes breite Spektrum an Fremden, die entweder Geld bringen oder Geld holen, gegen Abend kommen die Autochthonen aus Büros, Geschäften und Werkstätten und verändern das Bild so dramatisch wie sonst nur am Wochenende.

Eine Zeitlang konnte man hoffen, daß das Schwinden des Errötens auf die Dauerbräunung in Solarien zurückzuführen sei, mittlerweile muß man der Wahrheit ins Gesicht sehen: Es ist nichts mehr mit der Scham und also auch nichts mehr mit der zugehörigen körperlichen Reaktion.

Die Verleihung des Heuss-Preises an den Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit ist auf Proteste gestoßen. Aber leider ging es nicht, wie Gesine Schwan meinte, darum, „die Achtundsechziger“ zu treffen. Denn nirgends fand sich der Hinweis darauf, daß Pädophilie in der Bewegung kein isoliertes Phänomen war, sondern integraler Bestandteil einer Ideologie, die gegen die europäische Zivilisation antrat und sie im Kern getroffen hat.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 10. Mai in der JF-Ausgabe 20/13.

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