© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/13 / 26. April 2013

Deutsche Wertarbeit in aller Munde
Sie symbolisiert ein freies Lebensgefühl, ist vielseitig einsetzbar und im Wortsinne „überall“ hin mitzunehmen: die Mundharmonika
Sverre Schacht

Gefällt dir der Stoff nicht, Mundharmonika?“ – Kaum ein Film setzte ein Musikinstrument so in Szene wie Sergio Leones Western-Epos „Spiel mir das Lied vom Tod“ von 1968. Eine ganze Generation wuchs mit Charles Bronson auf, hörte fünf Jahre später Bernd Clüvers Hommage an die Durchschlagzungen aus Metall in ihren parallel angeordneten Luftkanälen. Denn nichts anderes nutzt „Der Junge mit der Mundharmonika“. Das Lied brachte den deutschen Schlager voran und fügte ihn zu den vielen musikalischen Facetten des einfachen, günstigen und unempfindlichen Instruments hinzu. Ob Volksmusik, Klassik, Jazz oder Rock, die Mundharmonika kennzeichnet ihre Vielseitigkeit. Vor allem deutsche Erfinder und Musikinstrumentenbauer prägten die Entwicklung des handlichen und beliebten Spielgeräts.

Seine Herkunft liegt etwas im Dunkel, denn Belegstücke aus den Anfangsjahren fehlen: „Die Mundharmonika wurde nach neuesten Erkenntnissen um 1825 in Wien erfunden“, schreibt der Österreichische Harmonikaverband selbstbewußt im Netz. Früh begann die Serienproduktion in der Wiener Mondscheingasse 11, wo bald auch kostbare elfenbeinerne Varianten gefertigt wurden. Belegt ist aber, daß Anton Reinlein 1824 in der Donaustadt ein Patent für Verbesserungen des bald in der Presse als „Ohrenquäler“ geschmähten Produkts anmeldete. In der k. u. k Monarchie entwickelte der Böhmer Josef Richter 1825 eine Tonanordnung für Volksmusik wie den Ländler-Tanz und legte so unwissentlich die Mundharmonika dem späteren Blues in den Mund.

Schon 1823 taucht die Erfindung nachweislich auf der Messe Braunschweig auf. Der Deutsche Christian Friedrich Buschmann (1805–1864) gilt der Fachwelt noch immer als der Pionier, wenn nicht als eigentlicher Erfinder der Mundharmonika. 1821 entwickelt er mit 16 Jahren ihren Grundtyp als Hilfsmittel zum Klavierstimmen. Seine Familie verdiente damals mit dem Terpodion Geld. Jenes Tasteninstrument hatte Friedrichs Vater bis 1816 ersonnen und zur Marktreife gebracht: Durch Reibung entstanden im Inneren Töne. Die Buschmanns nutzten eine rotierende lackierte Trommel aus Holz. Und auch hier spielte ein schwingendes Teil an der Trommel die entscheidende Rolle.

Beste geschäftliche Verbindungen nach England halfen bei der Vermarktung. Mit seiner Mundharmonika ersann Buschmann junior ein harmoniumartiges Instrument – vier Zoll groß und mit 15 Stahlzungen.

Die Familie der Instrumente mit freischwingenden Zungen klingt indes schon in den musiktechnischen Kniffen des 18. Jahrhunderts an. Der deutsche Orgelbau spielte hierbei eine große Rolle. Auch wenn dort repräsentative große Instrumente im Vordergrund standen, schuf diese Tradition Voraussetzungen für die Entwicklung der Mundharmonika. So trug Johann Friedrich Kaufmann (1785–1866) im 18. Jahrhundert in Dresden wesentlich zur Erweiterung der Kenntnisse um die durchschlagende Stimmzunge bei. Zusammen mit den in jener Zeit nach Europa gelangten asiatischen Instrumenten wie dem chinesischen Sheng brach eine Welle der Experimentierfreude über den deutschen Raum herein.

Nach dem Schritt zur Massenfertigung in Industriebetrieben entwickeln sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts das schwäbische Trossingen und das sächsiche Klingenthal zu den unangefochtenen Weltzentren der Harmonikabranche. Spätestens seit 1890 ist die Firma Hohner globaler Marktführer.

Mundharmonika, Konzertina und Akkordeon bilden heute die drei Grundpfeiler der Gattung. Das vom Gefühl der Freiheit umwaberte Lieblingsinstrument der musikalischen Protestbewegung (Bob Dylan) und der Hippies der 1970er Jahre entstammt also ausgerechnet der Werkbank deutscher Gründlichkeit. Die „Blues Harp“ symbolisiert heute ehrliche, handgemachte Musik.

Sowjetmensch Jurij Gagarin mag der erste Mensch im All gewesen sein – das erste Musikinstrument, das im Kosmos erklang, war eine Mini-Harmonika aus dem Hause Hohner: Die nur 3,5 Zentimeter kurze „Little Lady“ schmuggelte US-Astronaut Walter Schirra 1965 an Bord der Gemini 6. Es war Dezember, er spielte die „Jingle Bells“ ...

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