© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

„Warum Konservative immer verlieren“
Die Mehrheit der westlichen Regierungen im 20. Jahrhundert wurde von Konservativen gestellt, dennoch ist die Politik immer weiter nach links gerückt. Warum? Dieser Frage widmet sich der eben erschienene Essay-Band des britischen Denkers Alex Kurtagić
Moritz Schwarz

Herr Kurtagić, „warum verlieren Konservative immer“ – wie Ihr neues Buch heißt?

Kurtagić: Weil sie versuchen, den Wandel zu verlangsamen oder umzukehren, dabei aber die Grundannahmen des Liberalismus – und sogar einige Grundannahmen der Linken – akzeptieren.

Inwiefern?

Kurtagić: Meist wollen Konservative einfach zur letzten konservativen Regierung zurück. Manchmal bedeutet das ein oder zwei Generationen zurück – und in diesem Fall hält die Mehrheit, selbst in der eigenen Partei, solches Ansinnen schon für ganz weit „rechts“.

Und das ist es nicht?

Kurtagić: Die politische Grundstimmung unserer Kultur ist liberal, und das – zumindest in der anglo-amerikanischen Welt – schon seit etwa dreihundert Jahren. Insofern sind auch die heutigen Konservativen Liberale, wenn auch ein wenig altmodische oder rückwärtsgewandte Liberale. Weil Konservative also, nur „zurück“ wollen, im Grunde aber die Grundannahmen des Liberalismus beziehungsweise der Linken akzeptieren, haben sie auch keine Argumente außer solchen, die auf Angst basieren. Damit wissen sie ihren Kritikern nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. Ergebnis: Sie wirken nicht nur ängstlich, sondern auch fantasielos, langweilig, feige, irrelevant – kurz das Gegenteil von intellektuell.

In Deutschland unterstützen viele Bürger die neue „Alternative für Deutschland“ (AfD).Was müßte diese Partei tun, um nicht „immer zu verlieren“?

Kurtagić: Die AfD scheint mir eine konventionelle konservative Partei zu sein, im modernen Wortsinn. Einige ihrer Anführer beziehen sich in Sachen Europa-Politik auf Premierminister David Cameron und der ist, das muß man wissen, ein berüchtigter Liberaler, der sich einem radikalen Egalitarismus verschrieben hat. Die Konservativen von heute mögen sich eine konservativere Fiskalpolitik wünschen und weniger erpicht auf staatliche Regulierung sein als die nominell weiter links angesiedelten Parteien – sie teilen aber alle die gleichen philosophischen Grundsätze. Aus meiner Sicht ist die AfD eine absolut akzeptable Alternative für Menschen, die sich zum Liberalismus bekennen, dabei jedoch die Wirtschaftspolitik der übrigen liberalen Parteien ablehnen und daher einen milden Protest wagen, ohne den Status quo grundsätzlich in Frage zu stellen.

Wenn es sich bei der AfD um eine so ganz und gar liberale Partei handelt, warum muß sie sich dann bereits ständig des Vorwurfs der „Rechtslastigkeit“ erwehren?

Kurtagić: Das liegt am Standpunkt derer, die diese Kritik formulieren. Der eigentliche Kritikpunkt lautet stets, daß es in irgendeiner Hinsicht an egalitärer Gesinnung mangele. Sie müssen bedenken, daß Gleichheit der liberalen wie der marxistischen Ethik zufolge ein absolutes moralisches Gut ist. Wenn Sie also jemandem vorwerfen, er sei nicht egalitär genug, dann sagen Sie damit, daß er einen moralischen Defekt aufweist. Weil wir im Hinblick auf den Egalitarismus in einem puritanischen Zeitalter leben, ereifert man sich ungemein über dieses Thema. Wenn Sie also akzeptieren, daß Gleichheit ein absolutes moralisches Gut ist, ist es daher sehr schwierig, eine Politik, die nicht zur maximalen Gleichheit führt, moralisch zu rechtfertigen. So bleiben diesen Konservativen kaum Alternativen, und sie neigen dazu, sich in langatmigen Erklärungen und Rechtfertigungen zu verlieren, die ihnen niemand abnimmt. Ein Linker dagegen braucht bloß voller Stolz und Inbrunst eine beliebige egalitaristische Phrase zu intonieren oder wahlweise dem Konservativem eine rechtsextreme Gesinnung vorzuwerfen, um ihn wehrlos zu machen.

Sie schreiben in Ihrem Buch, „wer immer noch daran glaubt, sein Land zurückerobern zu können, indem er eine konservative Partei unterstützt ... vergeudet seine Zeit.“ Also hat ein Projekt wie die AfD letztlich gar keinen Sinn?

Kurtagić: Eine Partei wie die AfD kann durchaus eine angemessene Rolle in der gegenwärtigen politischen Landschaft spielen, aber sie spielt diese Rolle wie gesagt unter den Rahmenbedingungen des Liberalismus. Diejenigen aber, die davon reden, „ihr Land zurückzuerobern“, wollen etwas anderes, etwas im guten Sinne Radikaleres als nur den Austritt aus dem Euro: Ihnen geht es vielmehr um eine Rückkehr zum politischen Zustand wie vielleicht vor fünfzig Jahren – beziehungsweise zu einer idealisierten Version dieses Zustands –, vor allem zu den damaligen Werten und der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung, bis hin zu einer Rückkehr zu einer traditionelleren Form des Liberalismus oder aber der vollkommenen Ablehnung sämtlicher Formen des Liberalismus, seien sie traditionell oder modern.

Und warum sollte eine Wiederherstellung konservativer Werte nicht möglich sein?

Kurtagić: Weil de facto jeder Triumph des Konservatismus sogar zu mehr Liberalismus führt.

Warum denn das?

Kurtagić: Weil der Konservatismus eben keinen echten Widerstand gegen den Liberalismus leistet, sondern lediglich dessen radikalere Ausprägungen vorübergehend abschwächt. Dadurch haben die Menschen Zeit, sich an eine bereits stattgefundene Veränderung zu gewöhnen. Im Laufe der Zeit führen diese Veränderungen zu einem Wandel, so daß die bisherigen Denk- und Handlungsweisen altmodisch, nicht mehr zweckdienlich oder schlicht irrelevant erscheinen. Manchmal werden sie auch einfach als langweilig empfunden. Das führt dann zu einer Sehnsucht nach „Modernisierung“ und einer Periode des gemäßigt radikalen Liberalismus. Die Politik folgt also dem Muster linke Mitte, rechte Mitte, linke Mitte, rechte Mitte, wobei sie immer weiter nach links driftet, ohne daß es zu echten Veränderungen an den Grundlagen kommt.

Es ist also unser Links-Rechts-Schema, das den Erfolg der Konservativen verhindert?

Kurtagić: Ja, denn unser Links-Rechts-Schema bildete sich im Zuge einer Revolution heraus, die den Liberalismus an die Macht brachte. Somit stand es von Anfang an im Zeichen der Entstehung einer liberalen Grundgesinnung, die dazu führte, daß die Opposition sich negativ definieren und disponieren mußte – nämlich als Ablehnung des Liberalismus, und eben nicht als Angebot einer Alternative. Wenn wir uns aber negativ definieren, werden wir nie irgend etwas erreichen. Denn in der Regel verachten die Menschen eine negative Haltung und alles, was damit verbunden ist: Schwäche, Pessimismus, Langweilerei, Depression, Mangel an Energie. Sie bevorzugen Vitalität, Dynamik, Energie, Kreativität, Zielbewußtsein. Ergo sollten wir uns überlegen, wofür wir stehen, anstatt nur zu betonen, daß wir dagegen sind.

Was könnte das zum Beispiel sein?

Kurtagić: Dem Konservatismus geht es um die Bewahrung des Status quo, damit ist er politisch museal und „nekrophil“. Ich setze dagegen das Prinzip der Tradition. Erstens, weil sie einen Punkt in einem Kontinuum darstellt, das in die Vergangenheit zurückreicht, aber auch nach vorne in die Zukunft weist, denn Tradition ist nur dann Tradition, wenn aktiv an sie angeknüpft wird. Zweitens ist Tradition offen für Innovation – wenn Sie „in einer Tradition“ handeln, bedeutet das nicht, daß sie ständig den gleichen ritualisierten Vorgang wiederholen, sondern Sie können ihn ergänzen oder weiterentwickeln. Drittens verbindet sie die Vergangenheit mit der Zukunft, bietet Dynamik und Möglichkeiten und stellt zugleich einen Rahmen dar, innerhalb dessen man Sinn, Ziel und Richtung finden kann.

Auch die AfD spricht davon, sich dem Rechts-Links-Schema zu verweigern. Eine eigene Idee, etwa eines „Traditionalismus“, entwickelt sie allerdings nicht.

Kurtagić: Natürlich nicht, denn Parteipolitik bleibt der egalitären Ethik verhaftet, auf der sie sich im 18. Jahrhundert gründete. Diese Ethik steckt die Grenzen dessen ab, was politisch möglich ist, deswegen wäre eine Partei, die heute Wahlen gewinnen will, schlecht beraten, sich außerhalb dieser Grenzen zu begeben.

Also kann es gar keine Partei des Traditionalismus geben?

Kurtagić: Das gegenwärtige System kann man nicht an der Wahlurne abschaffen. Denn wir leben in einer Zeit, in der sich der Liberalismus überall durchgesetzt hat, und zwar in einem Maße, daß der Liberalismus gar nicht mehr als politische Gesinnung wahrgenommen wird, sondern vielmehr als selbstverständliche und allgemeingültige Praxis. Folglich perpetuiert sich das System selbst, und Veränderungen müssen also von der Peripherie her, von außen beginnen, und zwar zunächst auf der abstrakten theoretischen Ebene – auf der Ebene der Ethik oder Moralphilosophie, auf der Ebene des Grundsätzlichen.

Sind Sie also ein Antiwestler, sind Sie ein Verfassungsfeind?

Kurtagić: Nein, denn zwar werden Liberalismus und „Westen“ häufig synonym verwendet, und so wird dann immer wieder der Fehlschluß gezogen, daß ich einen Umsturz der gesamten westlichen Ethik fordere, wenn ich von einer Veränderung auf moralphilosophischer Ebene spreche. Dabei wird aber vergessen, daß der liberale Egalitarismus nur eine von mehreren Ausdrucksformen einer westlichen Ethik darstellt – übrigens eine vergleichsweise neue, wenn man eine historische Perspektive einnimmt.

Freiheit, Nation und Rechtsstaat – drei Werte, die bei rechten oder konservativen politischen Bewegungen im Mittelpunkt stehen – sind allerdings urliberale Ideen! Müßten Sie, wenn Sie den Liberalismus ablehnen, dann nicht auch diese ablehnen?

Kurtagić: Der russische traditionalistische Denker Alexander Dugin stellt in seinem Buch „Die vierte politische Theorie“ die These auf, daß der Liberalismus nur als Summe seiner Bestandteile existiert. Wenn man diese also einzeln oder teilweise betrachtet oder sie gar mit Elementen kombiniert, die der Liberalismus ablehnt, dann hat man es nicht länger mit Liberalismus zu tun. So hat man die Möglichkeit, Bestandteile zu bewahren, andere zu verwerfen und die behaltenen Elemente mit Ideen anderer Provenienz zu kombinieren.

Wenn nicht per Parteipolitik, wie soll sich denn ein solcher Wandel der westlichen Ethik durchsetzen?

Kurtagić: Ich bin sicher, daß wenn die Ethik des Egalitarismus sich erst einmal einer ernsthaften Herausforderung gegenübersieht, wenn sie in Zweifel gezogen wird, ihre Anhänger selbst an sich zu zweifeln beginnen, dann werden sich auch neue politische Möglichkeiten eröffnen. Erst wenn sich eine nichtliberale Position in moralischen Begriffen formulieren läßt, wird ein Wandel möglich. Dabei bietet dieser Kulturkampf jedem einzelnen unendlich viele Möglichkeiten. Jeder, der eine Veränderung herbeiführen will, kann seine Fähigkeiten und Erfahrungen einbringen. Man kann diesen Kampf als Musiker, als Maler, als Romanschriftsteller, als Finanzexperte, als Industrieller, als Konversationskünstler führen – solange man in die richtige Richtung drängt.

Sie sprechen in Ihrem Buch davon, „den Liberalismus zu transzendieren“.

Kurtagić: Ich halte den Egalitarismus für eine ungerechte Lehre, und zwar weil Gleichheit sich nicht durchsetzen läßt, ohne Menschen ungerecht zu behandeln, weil er eine ungerechte Verteilung von Belohnungen und von Ressourcen rechtfertigt, wobei diejenigen, die sie verdienen, bestraft werden, um andere unverdientermaßen zu belohnen. Der Egalitarismus rechtfertigt zudem ein System der Unterdrückung, da sich Gleichheit nie ohne Einschränkungen der Freiheit durchsetzen läßt und ständige Überwachung und Regulierung erforderlich macht. Der Egalitarismus nimmt dem Leben seinen Sinn, denn Sinn entsteht aus Differenzierung und Hierarchie – Differenzierung ermöglicht Definition und Selbstdefinition; Hierarchie stiftet Orientierung und Zielbewußtsein. Wer also Differenzierung und Hierarchie abschafft, schafft damit zugleich Qualität ab, sowohl im Sinne von Überlegenheit als auch im Sinne eines Unterscheidungskriteriums, daher raubt der Egalitarismus dem Leben alles, was es überhaupt erst lebenswert macht. Für mich ist das kein absolutes Gut, sondern nichts weiter als eine moralische Pathologie.

 

Alex Kurtagić, gilt als Enfant terrible unter den konservativen Systemkritikern Großbritanniens. Soeben ist mit dem Kaplaken-Band „Warum Konservative immer verlieren“ (Verlag Antaios) seine erste Publikation bei einem deutschen Verlag erschienen. Sie enthält vier Essays, die eine Erneuerung der Standortbestimmung der Konservativen einfordern. Um ihre politische Isolation aufzubrechen empfiehlt Kurtagić die Begründung einer konservativen Gegenkultur. Der 42jährige Brite mit slowenischen und spanischen Wurzeln ist Musiker, Grafiker, Theoretiker, Kolumnist und Schriftsteller. 2009 erschien sein Roman „Mister“, die dystopische Vision eines multikulturellen GAUs, den die Zeitschrift Sezession mit Jean Raspails einwanderungskritischem Klassiker „Das Heerlager der Heiligen“ vergleicht. Zudem bloggt und schreibt Kurtagić für diverse angelsächsische konservative Theoriemagazine.

www.alexkurtagic.info

Foto: Stets hinterher: „Konservative haben meist keine Argumente außer solchen, die auf Angst basieren. Fazit: Sie wirken ängstlich, langweilig, irrelevant – kurz das Gegenteil von intellektuell.“

 

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