© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Pankraz,
Klaus Störtebeker und die Steuersünder

Fiat iustitia et pereat mundus – der Gerechtigkeit muß Genüge getan werden, und wenn die Welt darüber zugrunde geht! Der uralte Spruch war von Anfang an ironisch gemeint; um so verwunderlicher, mit welcher Inbrunst er in den hiesigen Debatten über die Affäre Uli Hoeneß herumgereicht wurde. Ja, hieß es übereinstimmend, die Dinge liegen recht kompliziert, und der Mann hat vielleicht andere Auffassungen über Gerechtigkeit als die Justiz. Aber Steuerhinterziehung ist hierzulande laut Gesetz nun einmal ein schweres Verbrechen, und deshalb muß der Missetäter unnachsichtig bestraft werden.

Woher dieser über alle Meinungslager hinweg manifeste Wille zur Konsequenz speziell im Falle Hoeneß? Prominenz hin oder her – schließlich geht es nicht um Mord und Totschlag, sondern „nur“ um Steuersünden, um Angelegenheiten also, die so oder so, als Täter oder Opfer oder Opfer/Täter, einen jeden von uns betreffen. Aber genau da liegt offenbar des Pudels Kern. Es rollt ein Drama ab, in dem jeder von uns eine Rolle spielt. „Ich als Steuerzahler“ – diese Kennzeichnung hat jeder bereits einmal aus sich herausgelassen, sei es als Stoßseufzer im stillen Kämmerlein, sei es als Protestschrei in voller Öffentlichkeit.

Zorn und Ohnmacht tönen in ihr, Wut auf die Obrigkeit und doch auch heimlicher Respekt vor ihr, die es so schlau, ja hinterfotzig versteht, sich immer neue Steuern auszudenken, direkte und indirekte, Einkommen- , Mehrwert-, KFZ-, Mineralöl-, Reichen-, Wein-, Tabak-, Ertrags-, Gewerbe-, Grund-, Umsatz-, Körperschafts-, Import-, Undundund-Steuer. Und wie skrupellos sie Hehler von der schnödesten Statur anheuert, um auch noch den letzten Steuersünder, der irgendwas in irgendeinem Ausland verstecken wollte, zu entlarven und ihn gründlich auszumelken und/oder im Knast verschwinden zu lassen!

Längst wird der Staat kaum noch als Herr über die öffentliche Gewalt, als Ordnungsfaktor und Identitätsstifter wahrgenommen, sondern nur noch als Steuereintreiber. Man kämpft um Steuersenkungen und Steuerfreibeträge wie früher um Provinzen oder Glaubensinhalte. Die Spitzenmeldungen in den Medien kreisen zu weit über fünfzig Prozent exklusiv um Steuerprozesse und was damit zusammenhängt, um neue Steuerleistungen und wie der Staat versucht, mit ihrer Hilfe der notorischen „Schuldenfalle“ zu entkommen, und wie man als Steuerzahler halbwegs davon verschont bleiben kann.

Die staatlichen Steuergesetze gelten faktisch nirgendwo mehr als Ausdruck erhabener, gleichsam göttlicher Gerechtigkeit, sie stiften nicht Frieden, sondern Krieg. Das sogenannte Steuerrecht ist die einzige sichere Wachstumsbranche in diesen heiklen Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise. Heere von Anwälten und anderen Beratern sind unterwegs, um uns bei der Anfertigung von immer komplizierter werdenden Steuererklärungen zu helfen, uns vor allzu frechen Steuerzugriffen der Behörden zu schützen und energisch auf das hinzuweisen, was man eventuell „absetzen“ kann.

Ein wilder Wettlauf zwischen privaten Steuerberatern und staatlichen Steuerexperten um die Deutung von Kleingedrucktem ist im Gange. Die einen halten nach „Löchern“ im Text Ausschau, an denen vorbei sich gewisse Beträge vor dem Fiskus in Sicherheit bringen lassen, die anderen sind mit größtem Aufwand an Scharfsinn darum bemüht, exakt diese Löcher zu stopfen und die volle Ernte für den Staat einzufahren. Viele Beobachter sind freilich der Meinung, daß es sich dabei um einen bloßen Wettlauf zwischen Hase und Igel handelt.

Am Ende siege stets der Igel, nämlich der Staat. Er ist stets „schon da“, zumindest wenn es sich beim Hasen um den „ganz normalen“, im Grunde staatsloyalen und durchschnittlich anständigen Bürger handelt. Anders freilich liegen die Dinge bei den großen, von vornherein international operierenden „Finanzhaien“, die die Macht besitzen, Gesetze einfach zu ignorieren, astronomische Summen zwischen den Staaten hin und her zu schieben, einflußreiche Medien zu okkupieren, mit deren Hilfe sie Politiker einschüchtern oder gleich zu Komplizen und Erfüllungsgehilfen machen.

Gestalten von diesem Karat stellen den Staat keineswegs als maßlosen Steuereintreiber in Frage, sondern die Staatlichkeit überhaupt und mit ihr jeden Begriff von Moral und Gerechtigkeit. Der letzte Sinn von Staatlichkeit liegt ja nicht im Geldeinziehen und Geldausgeben, er erfüllt sich vielmehr in der Sicherung von Gesetz und Ordnung. Wer sich über diese hinwegsetzt und gleichsam selber Staat spielen will, einen aus der Anonymität heraus operierenden Pseudo-Staat, der endet letztlich im Sumpf des Raubrittertums und wird, bildlich gesprochen, eines Tages vielleicht wie einst Störtebeker, um einen Kopf kürzer gemacht.

Seine Haut retten kann er dann nur, indem er dem Staat dessen eigenes riesiges Schuld- und Schuldenkonto vorzeigt und ihm zu verstehen gibt, daß er, der Staat, mit den Raubrittern letztlich im selben Boot sitzt. Die gegenwärtige Finanzkrise liefert die Bilder zu dem, was dann folgt: Der nur noch als Steuereintreiber operierende Staat „rettet“ eilfertig und saniert die anonymen Störtebekers, weil er glaubt, so sich selber am einfachsten sanieren zu können – natürlich auf Kosten von „uns Steuerzahlern“.

Sicherlich reichen die Hoe-neß-Verstrickung und ähnliche Affären nicht im mindesten an solche gewissermaßen global-großpolitischen Vorgänge heran. Sie spielen in einer ganz anderen Genreklasse, sind kein „Tatort“ mit Ausweitungen bis nach Hongkong oder Istanbul, sondern eher Oberammergauer Passionsfestspiele, mit nachdramaturgischen Beziehungen zur nächsten Festspielkneipe. Sie mögen manchmal ein bißchen unappetitlich wirken, sind aber doch auch folkloristisch und gemütlich.

PS: Dergleichen ist hier nicht gesagt worden, um eventuelle Steuersünder von Strafverfolgung und „Fiat iustitia“ reinzuhalten, sondern einzig um zu populärem Verständnis und gerechter Einordnung beizutragen.

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