© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Die Reiter der Infokalypse
Julian Assange veröffentlicht aus dem Botschaftsexil heraus ein Buch wider den Überwachungsstaat
Ronald Gläser

Im April ist beim Bundesgericht von Nordkalifornien eine wichtige Klage eingegangen. Google wehrt sich gegen einen „nationalen Sicherheitsbrief“ (NSL). Die weltweit führende Suchmaschine will einen Präzedenzfall schaffen und nicht mehr sämtliche Kundendaten auf Nachfrage bei amerikanischen Regierungsbehörden abliefern.

Bislang hat Google stets kooperiert. Zahlreiche Behörden können mittels NSL von IT-Firmen oder Telefongesellschaften die Herausgabe von Kundendaten verlangen – und das ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl. Es kommt noch besser: Der Empfänger darf unter keinen Umständen kundtun, daß er einen solchen Brief erhalten hat. NSL sind Jokerkarten in der Hand des Überwachungsstaates. Er erfährt alles, aber niemand erfährt etwas von diesem System.

Diese Nachricht ist auch für uns wichtig, weil es um ein weltweites Phänomen geht: den ausufernden Überwachungsstaat. Allein in den letzten Wochen sind in Deutschland zwei neue Instrumente dazugekommen: die Antiterrordatei und die Bestandsdatenauskunft, die den Behörden Zugriff auf alle ehemals geheimen Paßwörter der Deutschen ermöglichen soll.

Fast immer dreht sich die Überwachung um das Internet. Mit der Digitalisierung der Welt wird das Ausforschen immer umfangreicher. Die Möglichkeiten des Staates sind heute schon so atemberaubend, daß selbst ausgefuchste Stasi-Offiziere vor Neid erblassen würden.

Dabei hat alles ganz anders angefangen: In seinen Anfängen war das Internet eine Plattform von Bürgern, die sich austauschen, staatliche Zensur und die Filterfunktion der großen Medienkonzerne umgehen wollten. Es war so etwas wie eine Gewerkschaft, sagt der amerikanische Fernsehmoderator Glenn Beck. Ein Zusammenschluß der Schwachen gegen die wenigen Starken (Regierungen, Großkonzerne).

Doch jetzt wird das Internet genau von jenen Großkonzernen und Regierungsbehörden übernommen. Gegen diesen lautlosen Putsch gibt es eine weltweite Gegenbewegung, zu der beispielsweise der Chaos Computer Club (CCC), die (nur in Deutschland von Linksradikalen unterwanderte) Piratenpartei und Bürgerrechtler gehören. Ihnen ist es zu verdanken, daß Firmen wie Google einlenken und ihre jahrelange Kooperation mit dem Staat beenden. Der Konflikt ist damit aber noch lange nicht entschärft.

Julian Assange und drei seiner Mitstreiter wie Andy Müller-Maguhn (CCC) und der Internetaktivist Jacob Appelbaum sind wichtige Vordenker dieser Gegenbewegung. Sie haben einen langen Grundsatzdialog veröffentlicht, der inzwischen auch auf deutsch erschienen ist. In „Cypherpunks“ erörtern die vier alle möglichen Aspekte der Digitalisierung der Welt und der zunehmenden Überwachung. Sie läuten kräftig die Alarmglocke.

Der Deutsche Maguhn etwa versetzt sich in die Lage der Mächtigen, die das Netz als Bedrohung empfinden, empfinden müssen: „Sie sehen das Internet wie eine Krankheit, die ihre Fähigkeit schmälert, die Realität zu definieren.“

Jacob Appelbaum nennt die Feindbilder, die von den Mächtigen produziert werden, um die Bürger zu Einschränkungen der Freiheit im Netz zu bewegen: Kinderpornographie, Terrorismus, Geldwäsche und Drogen. Er nennt sie die vier Reiter der Infokalypse.

Der Wortführer ist natürlich Assange. Der Australier ist der prominenteste politische Gefangene des Westens seit Jahrzehnten, sitzt seit einem Jahr in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. Offiziell, weil er von einem schwedischen Staatsanwalt befragt werden soll.

Sein Fall ist besonders tragisch. Assange ist ein Freiheitskämpfer. Er verlangt in „Cypherpunks“ grundlegende Freiheiten (Bewegungs-, Kommunikations- und Vertragsfreiheit), zitiert George Orwell und vergleicht seinen Kampf mit dem der amerikanischen NRA, die für privaten Waffenbesitz eintritt. Assange ist ein Weltbürger, der Transparenz durchsetzen will und sich damit überall unbeliebt macht. Vor allem in Washington.

Es gibt Hoffnung. Nicht nur, daß es jene weltweite Bewegung für die Freiheit im Internet gibt. Es zeigt sich zudem, daß die neugeschaffenen Überwachungsbürokratien untauglich sind. Denken wir nur an Boston. Die Zarnajews waren den Behörden bekannt. Ihre Videos waren bei Youtube. Der russische Geheimdienst hat vor ihnen gewarnt. Der am Tatort verletzte, möglicherweise beteiligte Araber Ali Alharbi war auf einer Liste von Terrorverdächtigen. Trotzdem hatten FBI, NSA und all die anderen US-Behörden keinen blassen Schimmer von dem Anschlag.

Genau so ist es in Deutschland. Auch die Antiterrordatei, die Vorratsdatenspeicherung, die Offenlegung aller Paßwörter werden unser Land nicht sicherer machen, dafür aber unfreier. Es ist zwar tragisch, daß die Behörden in Boston so eklatant versagt haben. Aber es beweist zumindest, daß die geschaffene Überwachungsstruktur keine Vorteile schafft. Dafür birgt sie enorme Gefahren in sich, wenn die falschen Leute die Macht über sie an sich reißen. Doch selbst dann ist nicht alles verloren. Auch die DDR, über deren Stasi-System in „Cypherpunks“ ausführlich gesprochen wird, ist zugrunde gegangen. Obwohl Erich Mielke über seine Bürger besser informiert war als alle deutschen Herrscher vor ihm.

J. Assange, J. Appelbaum, A. Müller-Maguhn, J. Zimmermann: Cypherpunks. Unsere Freiheit und die Zukunft des Internets. Campus, Frankfurt/Main 2013, broschiert, 200 Seiten, inklu-sive E-Book, 16,99 Euro

Foto: Julian Assange am Fenster der Botschaft Ecuadors in London: Seit zehn Monaten sitzt der Wikileaks-Gründer dort fest

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