© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Ein Netzwerk von der Themse bis zum Bosporus und zum Nil
Zwiespältig: Die große Medici-Ausstellung in Mannheim reduziert sich im wesentlichen auf die Krankheitsgeschichte der berühmten Familie
Hans-Georg Meier Stein

Die Medici sind ein europäischer Mythos. Sie haben vom 13. bis zum 16. Jahrhundert Florenz zu einer Großmacht, zur reichsten und glanzvollsten Stadt und zum Kulturzentrum des Abendlandes gemacht. Quelle des Aufstiegs und des Reichtums war ein expansiver und bestens organisierter Handel mit Kleinasien und dem Orient, und Florenz war dabei die Drehschreibe für den Absatz von Gewürzen, Schmuck, Perlen, Seide, Drogen und Prunkwaffen im Westen, in Burgund, Frankreich, im nördlichen Deutschland und in Großbritannien. Ein ausgedehntes Netz gutfunktionierender Verbindungen, das über weite Teile Europas gelegt war, reichte von der Themse bis zum Bosporus und zur Nilmündung. Die Entwicklung eines effektiven Bankensystems führte zu den Anfängen des Kapitalismus.

Die Stadt hatte ein ungemein tüchtiges Regiment, eine wirkliche Aristokratie, die sich aus Kaufleuten und Bankiers, Notaren und der gelehrten Geistlichkeit zusammensetzte. Da waren hervorragende Persönlichkeiten auf den Gebieten der Literatur und Kunst, Musik und Mathematik. Eine humanistisch gebildete Elite mit schöpferischer Kraft verknüpfte private Interessen mit dem Bewußtsein großer Verantwortung für das Gemeinwesen.

Die Finanzpolitik der Führungskräfte war vorsichtig und klug und allein bestimmt von den Gesetzen der Vernunft. Der „Florin“ war gegründet auf stabiler Geldbasis und war die härteste Währung, eine spitze Waffe und Leitwährung auf dem Geldmarkt. Man achtete penibel darauf, daß er nicht durch Konkurrenzwährungen bedroht wurde.

Neben den Handelshäusern und Banken gab es zugleich ein großartiges Kunsthandwerk, das erstklassige Konsum- und Luxuswaren herstellte. Eine Domäne war der Woll- und Textilhandel, der sogar das Monopol der flandrischen Tuchindustrie brechen konnte. Die Bezeichnung „aus Florenz“ wurde zu einem Gütesiegel auf dem Weltmarkt und ist eine verblüffende Parallele zu herausragenden Wirtschaftsleistungen im 20. Jahrhundert. 90.000 Einwohner hatte die Metropole am Arno gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Aus der spezifischen Entwicklung, dem florentinischen „Sonderweg“, war ein Staatswesen von höchst gelungener, blühender Zivilität hervorgegangen, das seine politische und kulturelle Eigengesetzlichkeit und sein Gewicht in das Spiel der europäischen Mächte einbrachte.

Leistungsbewußtsein und Unternehmergeist

Dabei war Florenz am Ausgang des Mittelalters nicht vom friedenssichernden Glück verwöhnt. Der Bürgerkrieg zwischen den Ghibellinen und den
Guelfen tobte im 13. Jahrhundert, und 1348 brach die Pest aus, der drei Fünftel der Einwohner zum Opfer fielen. 1417 kam sie wieder und forderte noch einmal 16.000 Menschenleben. Boccaccio gibt davon Bericht.

Die Zerstörungen und Verwüstungen während des Bürgerkriegs waren von unvorstellbarem Ausmaß. Im Straßenkampf wurde zeitweilig um jedes Haus und um jeden Wohnturm Mann gegen Mann gekämpft.

Die alten Geschlechter standen auf der Seite des Kaisers, der nominell Stadtoberhaupt war. Das Bürgertum und die Geistlichkeit waren papsttreu. Wie in der Endphase der DDR wurden die Kirchen zu Foren der Öffentlichkeit, wobei gerade der Bettelorden der Franziskaner ekstatisch zum Kampf gegen den staufischen „Antichristen“ aufrief. Nach der Niederlage des deutschen Kaisertums blieb es nicht ruhig, denn unter den verfeindeten aristokratischen Familien kam es erneut zum Krieg.

Wenn Florenz trotz dieser ungeheuerlichen kräfteverschleißenden Nöte und Kriegsfurien einen beispiellosen ökonomischen und kulturellen Aufschwung erlebte, dann war das der Fähigkeit seiner politischen Klasse zuzuschreiben, Vermögen anzusammeln und es intelligent und verantwortungsbewußt einzusetzen, auch dem Leistungsbewußtsein, dem vorausschauenden Handelssinn und dem kühnen Unternehmergeist, schließlich der strengen Disziplin und Ordnung in dem politischen Gemeinwesen, seinen festgegründeten Institutionen sowie der Förderung niveauvoller Lebensformen.

Die Medici spielten dabei die herausragende Rolle. Sie gingen aus den Machtkämpfen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen als die großen Gewinner hervor, nicht zuletzt deshalb, weil die Finanzgeschäfte der Kurie in den Befugnissen ihres Bankhauses lagen. Das sicherte ihnen eine beispiellose Rendite, ermöglichte indes auch ein großzügiges Mäzenatentum, das seinen Grund freilich nicht zuletzt im Repräsentations- und Ruhmbedürfnis der aristokratischen Gesellschaft hatte.

Giotto, Gozzolli, Uccello, Piero della Francesca, Ghirlandaio, Botticelli, Leonarde, Raffael und Michelangelo, Bonatello und Brunelleschi, Dante, Boccaccio und Petrarca haben in Florenz gewirkt und die meisten wurden von den Medici gefördert. Kunst und Wissenschaft gingen eine einzigartige Synthese ein. Es entwickelten sich die Optik, die Proportions- und Perspektivenlehre, die Anatomie und die Mathematik.

Die Baukunst erlebte einen unerhörten Aufschwung, Die Uffizien und der Palazzo Vecchio mit den unermeßlichen Kunstsammlungen entstanden und 1444 die riesige Medici-Bibliothek, nach deren Vorbild Jahrzehnte später die Vatikanische Bibliothek eingerichtet wurde. Florenz wurde tatsächlich zur Geburtsstätte des Humanismus und der Renaissance. Und ein glücklicher Zufall hat es gewollt, daß die großen Sammlungen in der Zukunft vor Kriegszerstörungen, Plünderungen und Vandalismus bewahrt und im großen ganzen durch testamentarische Verfügung erhalten blieben.

Die Präsentation leidet an viel zuviel Text

Wer nun glaubt, in der Mannheimer Ausstellung mit dem Genius und der Empfindungsgewalt der Renaissance, der Stadt Florenz und der Familie Medici bekannt gemacht zu werden, hat sich gründlich geirrt. Was geboten wird, ist eine Krankheitsgeschichte der Medici. Mit Erschrecken und Grausen nimmt der heutige Besucher, dem ja im Ernstfall die moderne Medizin zu Gebote steht, zur Kenntnis, welch entsetzlichen Torturen und Martern die Großen dieser Zeit täglich und hilflos ausgesetzt waren. Exhumierungen und Autopsien haben Schlimmes ans Licht gebracht: Gicht, Pocken, Tuberkulose, Wirbel- und Knochendeformationen und folglich Lähmungen, schwerste Entzündungen des Magens und der Leber, unerträglicher Juckreiz waren permanente Foltern. Computersimulationen und vergleichende Röntgenaufnahmen zeigen auch Bilder biologischer Degenerationserscheinungen. Und natürlich fehlen auch nicht die Symptome für Vergiftungen und Malaria.

Gewiß ist das sehr informativ und eindrucksvoll. Aber die Präsentation leidet an viel, viel zuviel Text auf langen, großen Tafeln, die im Detail über die komplexen Verwandtschaftsbeziehungen, die Heiratspolitik und die Beschwerden und Gebrechen der Medici Auskunft geben. Wer kann sich nach ermüdender Lektüre in den abgedunkelten Räumen, die nun ganz und gar nichts vom Licht Italiens vermitteln, all die Einzelheiten merken!

Was außerdem nicht gelungen ist, sind vielfältige Berührungen oder unterschiedliche Formen des Kontaktes mit der glanzvollsten Epoche des Abendlandes zu schaffen. Auch fehlt es an sehenswerten Exponaten mit sinnlicher Qualität. Im Verhältnis zum Gebotenen ist der Eintrittspreis von zwölf Euro grenzwertig. Der gutgemachte Katalog ist feilich eine hilfreiche Ergänzung.

Jede Zeit hat ihr spezifisches Pathes und eine symbolische Figur, die Ausdruck ihrer Gesellschaft ist: Die höfische Kultur des Hohen Mittelalters stilisierte den Troubadour und Minnesänger, das höfische Barock hatte den Hofnarren als Außenseiter, das Fin de siècle den Dandy oder den Flaneur. Unsere eigene Zeit wendet sich zu Recht mit tiefem Mitempfinden behinderten Menschen zu, hat andererseits das verfeinerte Stilempfinden einer anspruchsvollen Hochkultur eingebüßt und eher Ignoranz und Verachtung für das Überlieferte übrig. Zudem gibt es in unseren Großstädten keine alten Familien mehr. So ist die Mannheimer Ausstellung vielleicht auch symptomatisch für den karitativen Geist und die Mentalität der heutigen Zeit.

Die „Medici“-Ausstellung ist bis zum 28. Juli in den Reiss-Engelhorn-Museen täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 06 21 / 2 93 31 50

www.rem-mannheim.de

www.medici2013.de

A. Wieczorek, G. Rosendahl, D. Lippi (Hrsg.): Die Medici. Menschen, Macht und Leidenschaft. Verlag Schnell & Steiner, 2013, gebunden, 416 Seiten, etwa 300 Abbildungen, 24,90 Euro (im Museum)

Fotos: Porträt des Großherzogs Cosimo I. (1519–1574); Werkstatt des Agnolo Bronzino, Florenz, 1546: Erster Großherzog der Toskana; Porträts von Kardinal Carlo de’ Medici (1595–1666) und Anna Maria Luisa von der Pfalz, geborene Medici (1667–1743): Mit der kinderlosen Kurfürstin geht die Dynastie der Medici zu Ende; Cosimo il Vecchio (1385–1464) litt an einer zusammengewachsenen Wirbelsäule (Modell)

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