© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Gegen die Demokratie
Autokratische Alternative: Bernhard Dietz untersucht die Bewegung der britischen Neo-Tories
Stefan Scheil

Im Jahr 1933 tat sich in London Erstaunliches. Das Massenblatt Daily Express spekulierte im Juni öffentlich über die Errichtung einer britischen Diktatur und hatte auch einen Vorschlag, wer denn der Chef sein sollte: „Der pantherartige Lord Lloyd wird von seinen Bewunderern als möglicher kommender Diktator gesehen. Er würde vermutlich einen exzellenten Diktator abgeben – sagen wir mal, für drei Jahre.“

George Ambrose Lloyd alias Lord Lloyd – nicht zu verwechseln mit dem liberalen Premierminister während des Ersten Weltkriegs und britischen Verhandlungsführers in Versailles 1919, David Lloyd George – war nun in der britischen Gesellschaft kein Unbekannter. 1910 zum ersten Mal ins Unterhaus gewählt und zwischenzeitlich mit hochrangigen Positionen in der Kolonialverwaltung von Indien und Ägytpen beauftragt, gehörte er zum engeren Kreis des britischen Establishments. Das sollte auch so bleiben, trotz seines zwischenzeitlichen Flirts mit einer Rolle als autoritärem Regierungschef. Als Winston Churchill schließlich im Jahr 1940 der Premier wurde, ernannte er Lord Lloyd zum Kolonialminister.

Bernhard Dietz ordnet diese kleine Episode in seine aus seiner Dissertation hervorgegangene Studie über antidemokratisches Denken in Großbritannien ein, als Ausdruck der Anstrengungen von „Neo-Tories“, politisch wirksam zu agieren. Als Neo-Tories gilt ihm ein bisher in Forschung und Literatur weitgehend übersehener Personenkreis, der einerseits Teil der besseren Gesellschaft und häufig der konservativen Partei war, andererseits aber wesentliche britische Grundüberzeugungen ablehnte. Neo-Tories dachten anti-parlamentarisch, anti-feministisch, anti-pazifistisch, elitär, imperialistisch, rassistisch und pro-monarchistisch. Ihr negativer historischer Bezugspunkt war die „In-Glorious Revolution“ von 1688/89, seit der das Parlament seinen Vorrang gegenüber dem König durchgesetzt hatte. Damit hatte aus Neo-Torie-Sicht das Elend begonnen. Insofern erreichte ihre ablehnende Haltung selbst solche konservativen Traditionsfiguren wie Edmund Burke, den Zeitgenossen und bekannten Kritiker der Französischen Revolution, der aus ihrer Sicht zu parlamentarisch dachte.

Dietz grenzt die Neo-Tories einerseits von den Demokraten, andererseits auch deutlich von den britischen Faschisten um Oswald Mosley ab. Zwar gab es Kontakte, aber die typisch faschistische Methode des uniformierten Massenaufmarschs und der Proteste von unten waren nun gerade nicht das, was die elitären Kreise für angemessen hielten. Eine gewisse Bewunderung für Mussolinis Regime in Italien ist bei ihnen zwar nachzuweisen, jedoch nur abstrakt, als nicht zu kopierendes Beispiel dafür, wie angeblich ein Land gesunden könnte. Dem Nationalsozialismus stand man erst recht kühl gegenüber. Parallelen zur deutschen Konservativen Revolution sind offenkundig, große Unterschiede aber auch. Dieses Verhältnis wird noch eigens untersucht werden müssen.

Dem Gedankentum der Neo-Tories hing allerhand Prominenz der damaligen Zeit an. Darunter finden sich Namen wie der von Duncan Sandys, der 1935 Winston Churchills älteste Tochter Diana heiratete und nach 1945 zum mehrfachen Minister und zu einer der Schlüsselfiguren der frühen europäischen Vereinigung aufgebaut wurde. Davor gehörte er in den frühen dreißiger Jahren zu den Neo-Tories und hielt es für angemessen, das Archivmaterial aus diesen Jahrgängen in den 1980ern wieder aus seinem Nachlaß zu entfernen, nachdem er es schon dem Nationalarchiv überlassen hatte. Es ist auch deshalb ungewöhnlich und anerkennenswert, wie Dietz diesen verlorenen und versteckten Zusammenhängen auf den Grund gegangen ist.

Die Frage, ob Großbritannien im Jahr 1933 ernsthaft vor der Möglichkeit stand, eine Diktatur der Neo-Tories zu werden, kann man wohl getrost mit Nein beantworten. Auch bei großzügiger Auslegung überstieg die Zahl der Anhänger solchen Gedankenguts kaum die fünfzigtausend und diese fünfzigtausend gaben ihre Zustimmung eher durch Zeitschriftenabonnements zu Protokoll, als daß sie schlagkräftig organisiert gewesen wären. Dies zeigt Dietz anschaulich und fördert nebenbei manch interessante Einsicht in die britische Clublandschaft zutage. Bei einzelnen Themenbereichen konnten die Neo-Tories Einfluß gewinnen, etwa auf die britische Politik während des Spanischen Bürgerkriegs. Für eine politische und intellektuelle Wende hin zum idealisierten „Merry Old England“ samt eines autoritären Königtums gab es kein Potential.

Bernhard Dietz: Neo-Tories. Britische Konservative im Aufstand gegen Demokratie und politische Moderne. Oldenbourg Verlag, München 2012, gebunden, 334 Seiten, 49,80 Euro

Foto: Hunger-Demonstration gegen die Allparteienregierung unter Premierminister Ramsay MacDonald am Londoner Trafalgar Square 1932: Geringer Einfluß der Neo-Tories außerhalb der britischen Clublandschaft

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