© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/13 / 03. Mai 2013

Die Scheidung von Geist und Ungeist
Slavoj Žižek beschreibt unkonventionell den Kampf der Linken um das 21. Jahrhundert
Felix Dirsch

Slavoj Žižek gehört zu den prominenten Unterstützern der Occupy-Bewegung. Der Auftritt des slowenischen Gelehrten anläßlich der Besetzung des Zuccoti Parks in New York belegt das hinreichend. Die Studie über die „bösen Geister des himmlischen Bereichs“ – ein Zitat aus einem Brief des Apostels Paulus – ist jedoch keine Beschreibung des Vorgehens dieser Kapitalismuskritiker.

Der Philosophieprofessor liefert seiner beträchtlichen Fangemeinde erneut eine gute Portion Provokation, um das etwas flügellahm gewordene kommunistische Projekt neu zu fundieren. Besonders das erste und dritte („Warum Heidegger 1933 den richtigen Schritt machte“ und „Eine Neubetrachtung des Stalinismus oder: Wie Stalin die Menschlichkeit des Menschen rettete“) seiner vier Kapitel umfassenden Abhandlung haben es in sich. Ohnehin stellt sich die Frage, ob es legitim ist, auf eine Strömung als Vorbild zurückzugreifen, die weit über hundert Millionen Menschen das Leben gekostet hat.

Heideggers ohnehin nur kurzzeitiges NS-Engagement wird nicht mit dem üblichen Brustton der Entrüstung des Nachgeborenen abgetan; vielmehr werden akribisch die Möglichkeiten der Deutung von Heideggers Verhalten 1933/34 erörtert: War er Nazi oder Opportunist? Wenn überzeugter Parteigänger, ist er wenigstens schnell klüger geworden? Sogar Ernst Noltes These wird debattiert, der für die Haltung seines Lehrers in der seinerzeitigen Situation durchaus Verständnis aufbringt.

Žižek kommt indessen zu einer anderen Schlußfolgerung. Er nimmt Heideggers Rezeption der „Konservativen Revolution“ ernst und lobt dessen revolutionäre Ausrichtung, die dieser jedoch in der falschen politischen Richtung zur Geltung gebracht habe. Mehr Internationalismus statt Nationalismus wäre besser gewesen, ruft ihm sein Interpret aus einiger chronologischer Distanz zu. Daher auch die Beschreibung einer Episode aus den 1968er Jahren. Eine mutmaßlich linke Studentenabordnung meldet sich in dieser Zeit im Freiburger Domizil des alternden Meisterdenkers, der den Gegnern der Ordinarienuniversität seine Unterstützung versichert. Schließlich habe er ähnliche Ziele zur Zeit seines dortigen Rektorats dreieinhalb Jahrzehnte vorher vertreten. Leider ist es für eine echte Konversion schon zu spät.

Auch der zweite Abschnitt der Untersuchung Žižeks, die in einer manchmal verschlungenen Argumentation den utopischen Kern einer besseren Gesellschaft herausstellen will, um gegen die Übermacht des Kapitalismus gewappnet zu sein, ist studierenswert.

Der Verfasser analysiert den Weg der kommunistischen Ideologie von Marx über Lenin bis zu Stalin und Mao. Sind diese Verwandlungen allesamt legitim im Sinne des Vaters der Lehre? Gibt es Brüche, und wenn ja, wo liegen sie? Ist die Kontextualisierung des Kommunismus ins weithin agrarische Rußland oder China vergleichbar mit der Einpflanzung des Christentums in Kulturen, die weit vom Herkunftsland des Stifters entfernt liegen? Auf den Leser warten einige der für Žižek charakteristischen, paradoxen Schlußfolgerungen. So verweist er etwa darauf, daß die Destruktion eines gesellschaftsstabilisierenden Ethos wie des Konfuzianismus durch die chinesische Kulturrevolution die heutige Anfälligkeit des Landes für den Kapitalismus mitverursacht habe; weiterhin will er herausarbeiten, inwiefern der Stalinismus die „Menschlichkeit des Menschen“ zu sichern beabsichtigt. Der Rezensent stellt wohl nichts Abwegiges fest, wenn er den Lesern zur Vorsicht rät vor der Begründung allzu reißerischer Thesen.

Im letzten Abschnitt kommt der kundige Vielschreiber auf den Punkt und erläutert, wo die heutige Linke andocken kann: nämlich an Antagonismen, die sich nicht nur im omnipräsenten ökonomischen Bereich herausbilden, sondern gleichfalls in der Bioethik und in der Ökologie. Diese „Commons“, die alle angehen, rechtfertigen für Žižek die Wiederbelebung, ja Radikalisierung der kommunistischen Idee.

Freilich ist das Subjekt des Kampfes in der unübersichtlichen Welt 2013 kaum auszumachen, ein unterdrücktes Proletariat, das nach Befreiung lechzt, nirgendwo in Sicht. Das unstrittige Haßobjekt des international verflochtenen Bankenwesens existiert nur reichlich abstrakt. Eigentlich müßte der Gegenwartskommunist die syrischen Assad-Gegner wegen der Konkretheit ihres Feindbildes beneiden. Auch mit Inbrunst vom Žižek diskutierte Fragestellungen wie „Sozialismus oder Kommunismus?“, die inhaltsreich beantwortet werden, können über dieses Fehlen nicht hinwegtäuschen. Es hat den Anschein, als dienten sie nur zur Ablenkung.

Slavoj Zizek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2013, broschiert, 336 Seiten, 12,99 Euro

Foto: Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek: Das etwas flügellahm gewordene kommunistische Projekt neu fundieren

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