© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Endspiel für Seehofer
Bayern: Die Amigo-Affäre könnte dem Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden die Macht kosten
Paul Rosen

Vor einem Jahr hatte sich Horst Seehofer im Münchner Postpalast wesentlich wohler gefühlt: Galt es doch, den 60. Geburtstag von FC Bayern-Präsident Uli Hoeneß zu feiern. Am vergangenen Freitag gab es im Postpalast keine Neuauflage einer prächtigen Geburtstagsfeier, da Hoeneß inzwischen der Steuerhinterziehung verdächtigt wird, und auch die geplante Krönungsmesse für Seehofer erfolgte nur in Moll. Trotz bestellter Klatsch- und Geräuschkulisse wurde der Ministerpräsident und CSU-Chef eher verhalten zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gekürt. Dabei hatten sich die CSU-Strategen große Mühe gegeben, in Anlehnung an amerikanische Wahlkampfauftritte neue Wege zu gehen. Reichte früher auf einem CSU-Treffen eine Strauß- oder Stoiber-Rede, um den Saal zum Toben zu bringen, so treten jetzt musikalische Darbietungen, Filmvorführungen und Lichteffekte hinzu. Das Ganze erinnerte mehr an eine Theateraufführung denn an Politik.

Punktgenau zum „Parteikonvent“ im Postpalast hatte Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) eine Liste mit 79 Abgeordnetennamen veröffentlicht, die auch nach dem Jahr 2000, als das Abgeordnetengesetz geändert worden war, noch Familienangehörige als Mitarbeiter auf Staatskosten beschäftigten. Die allermeisten Abgeordneten stammen aus der CSU, selbst Minister sind darunter. Der Parteichef bemühte sich, sofort auf Distanz zu den Amigos zu gehen: „Für ein solches Verhalten haben die Menschen zu Recht kein Verständnis“, so Seehofer zum Spiegel und versicherte: „Ich habe erst vor wenigen Tagen von dieser Praxis erfahren.“ Außerdem forderte Seehofer, daß seine Amigos die aus der Staatskasse erhaltenen Gelder für Familienbeschäftigungsmaßnahmen zurückzahlen sollten. „Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ (FAZ) waren nach dem Rücktritt des Fraktionsvorsitzenden Georg Schmid, der seine Frau für bis zu 5.500 Euro monatlich beschäftigt hatte, weitere Fälle bekanntgeworden. So hatte Justizministerin Beate Merk Aufträge an ihre Schwester gegeben. Den Bogen völlig überspannt hatte der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Georg Winter. Winters Söhne konnten ihr Taschengeld aufbessern und wurden im Jahr 2000 im Alter von 13 und 14 Jahren als Mitarbeiter des Vaters angeheuert. Die Amigo-Wirtschaft ist nicht auf Bayern beschränkt: Im Bundestag wurde ruchbar, daß die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär ihren Verlobten als Mitarbeiter beschäftigte. Vor der Hochzeit wurde das Arbeitsverhältnis beendet.

Ob die Familienwirtschaft mit einer Rückzahlungsaktion beendet werden kann, wird von immer mehr Beobachtern bezweifelt. Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter spricht von einem irreparablen Schaden: „Die Affäre ist ein erheblicher Rückschlag für die Partei, vor allem für ihre Aussichten, im Herbst wieder mit einer eigenen Mehrheit der Mandate regieren zu können“, sagte er Handelsblatt online.

In Bayern und in Berlin werden derzeit zwei Optionen diskutiert. Die erste: Der gerade zum Spitzenkandidaten gekürte Horst Seehofer bleibt Spitzenkandidat, und man setzt darauf, daß die Angelegenheit über den Sommer langsam in Vergessenheit gerät. Dafür spricht auch, daß Opposition und Wettbewerber selbst in die Affäre verwickelt sind. So verhallten die Rücktrittsforderungen des SPD-Spitzenkandidaten und Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude weitgehend ungehört. Die FDP-Landesvorsitzende, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, zeigte sich „fassungslos“, und das war es dann auch.

Ausgerechnet Hubert Aiwanger, der Vorsitzende der Freien Wähler, denen bisher zugetraut wurde, ein ordentliches Stück aus dem CSU-Kuchen herauszuschneiden, ist ebenfalls in die Amigo-Geschichte verwickelt. Aiwanger hatte seinen Schwager für 2.500 Euro im Monat angestellt und sorgt sich jetzt: „Was wir jetzt diskutieren, führt in letzter Konsequenz zu einem Berufsverbot für Angehörige von Abgeordneten.“ Kinder von Abgeordneten könnten womöglich nicht einmal mehr als Praktikanten genommen werden, sagte er.

Der Schweizer „Media Tenor“, der regelmäßig Veröffentlichungen deutscher Medien auswertet, faßt als Konsequenz zusammen: Es „spricht alles dafür, daß eine Fortsetzung der Berichterstattung über die Beschäftigung von Familienangehörigen durch Parlamentarier in Bayern und ihre mögliche Ausweitung auf andere Bundesländer weiter zu Lasten aller etablierten Parteien gehen und Wasser auf die Mühlen des Newcomers AfD leiten dürfte“. Ein Erstarken der „Alternative für Deutschland“ (AfD) würde die Chancen der CSU nicht nur auf die absolute Mehrheit, sondern auch noch auf ein Halten des jetzigen Ergebnisses reduzieren. Damit kommt die zweite Option ins Spiel: Danach könnte Seehofer noch vor den Sommerferien zum Rücktritt gezwungen werden. Als unverbrauchte, frische Kraft könnte Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner übernehmen. Das Szenario entspricht Aigners Lebensplanung.

Daß so was geht, hatte der CSU-Altvordere Edmund Stoiber auf dem Parteikonvent deutlich gemacht, als er an die Ablösung des Ahnherrn aller bayerischen Amigos, Max Streibl, erinnerte. Danach sei es sofort wieder aufwärts gegangen, hatte man von Stoiber vernommen. Der Eindruck vieler Teilnehmer war, daß dieser Teil der Rede etwas zu deutlich gewesen sei, um nicht als Handlungsempfehlung gewertet zu werden.

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