© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Kein Mitleid mit Drosselchen
Breitbandausbau: Die teilprivatisierte Telekom hat Investitionen für schnelles Internet verschlafen, nun soll eine Datenbremse für die Kunden her
Christian Schreiber

Obwohl René Obermann nur eine Ausbildung zum Industriekaufmann vorweisen kann, war seine Meinung bei den Mächtigen im Land gefragt. Weder Überwachungsaffären noch Lecks bei 30 Millionen Kundendaten oder versenkte Milliarden bei der gescheiterten Eroberung des US-Markts konnten am Saubermann-Image kratzen. Und wer ohne gesetzliche Vorgabe freiwillig eine Frauenquote von 30 Prozent der oberen und mittleren Führungsetage durchsetzt, dem verzeiht man auch, daß er Frau und Kinder für eine Fernsehmoderatorin sitzenläßt.

Doch seit zwei Wochen brauen sich dunkle Gewitterwolken über der Deutschen Telekom und ihrem Vorstandschef zusammen. Da kündigte der Bonner Dax-Konzern an, wie im Mobilfunk ab 2016 auch im Festnetz Volumengrenzen für den Internetdatenverkehr einzuführen. Bei Überschreitung der monatlichen Limits von 75 bis 400 Gigabyte (GB) soll eine Reduzierung der Übertragungsgeschwindigkeit auf 384 Kilobit pro Sekunde erfolgen.

Veraltete Kupferkabel aus Zeiten der Bundespost

Das ist zwar siebenmal schneller als vor zwanzig Jahren zu Zeiten analoger Telefonmodems. Aber mit dem flüssigen Aufbau selbst einfacher Internetseiten ist es dann vorbei, vom Musikhören oder dem Anschauen von Filmen in den Mediatheken ganz zu schweigen. Und 75 GB reichen gerade eine Woche, wenn man sich täglich nur einen HD-Film auf den Fernseher holt.

Als „Drosselkom“ wird das Unternehmen seither verspottet. Sogar das Handelsblatt übertitelte eine Geschichte mit „René, mein liebes Drosselchen“. Doch der Kommunikationsriese glaubt, endlich eine neue Einnahmequelle gefunden zu haben. Wer künftig mehr Daten übertragen will, als im neuen Tarif vorgesehen, soll „Zusatzpakete“ kaufen – wie im Mobilfunk üblich. Obermann verteidigte in einem Brief an Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) die Datenbremse: „Die Alternative wäre eine Preiserhöhung für alle Kunden, die in unseren Augen weder klug noch gerecht wäre.“ Die Telekom verweist auf den drohenden Anstieg der Datenmengen und die Milliardenkosten, die für den Ausbau der veralteten Netze nötig seien. Daß ein Großteil der Kupferkabel schon zu Zeiten der Reichs- und Bundespost verbuddelt wurden und seither im Vergleich mit anderen Industrieländern nicht viel passiert ist, verschweigt Obermann.

Rösler hatte die Telekom in einem Schreiben scharf kritisiert. Bundesregierung und Wettbewerbsbehörden würden „die weitere Entwicklung in bezug auf eine eventuell unterschiedliche Behandlung eigener und fremder Dienste unter dem Aspekt der Netzneutralität sehr sorgfältig verfolgen“. Die Bundesnetzagentur soll das geplante Modell bereits mit Blick auf die „Netzneutralität“ prüfen. Damit wird der Zugang zu den Netzressourcen ohne Bevorzugung oder Diskriminierung bestimmter Anbieter bezeichnet. „Wir brauchen ein offenes und freies Netz für alle – mit unbegrenztem Zugang. Ein Zurück ins 20. Jahrhundert darf es nicht geben“, warnte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner via Bild-Zeitung.

Die CSU-Politikerin glaubt, daß das neue Telekom-Geschäftsmodell „ein klassischer Rohrkrepierer“ werde. Doch das ist längst nicht ausgemacht. Die einzigen ernstzunehmenden Telekom-Konkurrenten mit eigenem Netz bis in die Häuser und Wohnungen sind Kabel Deutschland und Unitymedia Kabel BW – ebenfalls hervorgegangen aus der Bundespost und einst Teil der Telekom. Anbieter wie Vodafone oder O2 sind auf die Anmietung von Telekom-Leitungen aus Bundespostzeiten angewiesen.

Die Telekom hat daher trotz aller staatlichen Regulierung eine marktbeherrschende Stellung. Weltweit steht der Exportvizeweltmeister Deutschland in Sachen Datenverkehr nur auf dem 19. Platz. Noch läuft ein Großteil des Verkehrs über zweiadrige Kupferleitungen – eine Technologie aus Kaisers Zeiten. Leistungsfähige Glasfaserkabel, die auch ein Vielfaches des heutigen Datenvolumens problemlos übertragen könnten, haben hierzulande Seltenheitswert.

Geld dafür hätte der teilprivatisierte Quasimonopolist, zahlte er doch 2012 eine sensationelle Dividendenrendite von fast acht Prozent. SAP-, VW- oder Lufthansa-Aktionäre mußten sich mit einem Drittel davon begnügen. Auch die gespielte Empörung der Politik ist scheinheilig: Der Staat ist weiterhin mit 32 Prozent (17 Prozent KfW-Bank, 15 Prozent Bund) größter Telekom-Aktionär – und Dividendenprofiteur.

Die Entwicklungskosten der neuen Mercedes-E-Klasse betrugen etwa eine Milliarde – für ein einzelnes Auto, das maximal acht bis zehn Jahre produziert wird. Die Bundesnetzagentur beziffert das nötige Internet-Investitionsvolumen auf mindestens 70 Milliarden Euro – und das müßte die Telekom keineswegs allein tragen. Und für eine Jahrhundert­investition mit wachsender Nachfrage soll angeblich kein Geld da sein? Was technisch möglich ist, beweist beispielsweise Japan. In der Großregion in und um Tokio bietet der Sony-Konzern seit vorigen Monat das schnellste Internet der Welt an – zehnmal so schnell wie der kaum verfügbare Telekomzugang, für etwa 40 Euro monatlich – und ganz ohne Drosseldrohung (JF 18/13).

Aktuelle Meldungen des Telekom-Konzerns zum Thema Ausbau der Breitbandnetze:

 http://www.telekom.com/medien 

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen