© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

CD: Avantasia
Metallische Breitwand
Thorsten Thaler

Die Halle ist vielleicht nur zu gut einem Drittel gefüllt. Selbst im Innenraum, vor der Bühne, herrscht nicht das übliche Gedränge. Das Publikum ist sehr gemischt, vergleichsweise wenig Jungvolk, dafür viele Mittelältere bis hin zu einem Paar um die Sechzig, Fünfundsechzig, das im Oberring Platz nimmt. Der Geräuschpegel ist gedämpft, die Stimmung verhalten, es ist sogar eigentümlich ruhig. Im Grunde deutet wenig darauf hin, daß hier im Berliner Tempodrom in wenigen Minuten ein Spektakel losbricht.

Erwartet wird der Auftritt von Avantasia, dem Rockopern-Projekt von Tobias Sammet. Der heute 35jährige gründete 1992 mit Schulfreunden in Fulda die Power-Metal-Band Edguy, deren Frontmann er bis heute ist. 1999 machte er sich nebenbei an die Umsetzung seiner mit bekannten Gastmusikern gespickten Metal-Oper; die beiden Konzeptalben erschienen 2001 und 2002. Sie erzählen die fiktive Geschichte des Dominikanermönchs Gabriel Laymann, der im 17. Jahrhundert seine als Hexe eingekerkerte Stiefschwester retten will, auf ein verbotenes Buch stößt und in der Phantasiewelt Avantasia landet. Dort muß er allerlei Abenteuer bestehen.

In der Halle setzt jetzt, ohne Vorband, das Intro des sechsminütigen Openers „Spectres“ von dem neuen Album „The Mystery of Time“ ein. Es ist ein Auftakt nach Maß. Das eingängige Stück nistet sich spätestens mit dem Refrain in die Gehörgänge ein. „The Mystery of Time“ ist das sechste Studioalbum von Avantasia, und es ist das erfolgreichste. In der ersten Verkaufswoche Anfang April ist die Platte auf Platz zwei der deutschen Albumcharts eingestiegen. Top-10-Plazierungen gab es nach Angaben der Plattenfirma Nuclear Blast außerdem in England, Schweden und Finnland.

Entstanden ist das Album unter Mitwirkung des Deutschen Filmorchesters Babelsberg. Ansonsten lesen sich die Namen der Beteiligten an diesem Projekt wie ein Who-is-who der internationalen Rock- und Metalwelt: neben Tobias Sammet unter anderem die Sänger Joe Lynn Turner (ehemals Rainbow und Deep Purple), Biff Byford (Saxon), Michael Kiske (Ex-Helloween), Bob Catley (Magnum), Eric Martin (Mr. Big) und Ronnie Atkins (Pretty Maids) sowie die szenebekannten Gitarristen Sascha Paeth, Oliver Hartmann, Arjen Lucassen. Viele davon waren auch bei der Frühjahrstour am Start.

Geschrieben wurden alle zehn Titel (plus zwei weitere in der Bonus-Version) auf „The Mystery of Time“ wieder von Tobias Sammet. Die Geschichte ist angesiedelt in einer kleinen englischen Stadt der viktorianischen Ära und handelt von dem jungen Wissenschaftler Aaron Blackwell, der gezwungen ist, sich die Zusammenhänge zwischen Agnostik und Spiritualität sowie eben das titelgebende Mysterium der Zeit zu erschließen. Musikalisch reicht die Bandbreite von Bombast-Metal („Black Orchid“) und Epic-Power-Metal-Nummern über schnelle Hardrocker („Invoke the Machine“) bis zu musicallastigen Passagen in „Dweller in a Dream“ und „The Great Mystery“. Nicht fehlen dürfen balladeske Stücke („Sleepwalking“, „What’s Left of Me“).

Auf der Tour kam dieses Avantasia-Breitwandformat höllisch gut an. Und auch das Album ist aller Empfehlung wert!

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