© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/13 / 10. Mai 2013

Unerfüllte Hoffnungen
Der Geist von 1813 endete unter dem Sargdeckel der Restauration
Mario Kandil

Erst die Rußlandkatastrophe des Franzosenkaisers Napoleon I. mit dem unerwarteten Untergang seiner „Grande Armée“ schuf die Basis dafür, daß sich Deutschland und mit ihm auch Europa am Ende von Frankreichs Fremdherrschaft befreien konnte. Trotzdem sollte diese Erhebung bloß zur Restauration des „Ancien Régime“ führen.

Der Kampf um die Befreiung Deutschlands hatte als Volkserhebung und Volkskrieg begonnen. Die Mächte der antifranzösischen Koalition leiteten ihn dann allerdings in einen Staatenkrieg über, der mit konventionellen militärischen und diplomatischen Mitteln geführt wurde. Nach Österreichs Beitritt zur Koalition gegen Napoleon am 11. August 1813 wurde der Volkskrieg erst recht zu einem Kabinettskrieg der damals üblichen Art. Die Staaten des „Ancien Régime“ stellten die patriotische Bewegung unter ihre Aufsicht und brachten den Krieg mit reiner Mächtepolitik zu einem für sie siegreichen Ende.

Mit seiner Unterjochung Deutschlands hat Napoleon – natürlich unbeabsichtigt – etwas ganz anderes bewirkt als ursprünglich intendiert: Er hat die Bildung deutschen Nationalgefühls und deutschen Strebens nach staatlicher Einheit entscheidend gefördert und so den Boden für Bismarcks späteres nationales Einigungswerk bereitet. Napoleon I. als Wegbereiter eines deutschen Nationalstaates – dieses ungewollte Resultat haben ihm viele französische Historiker als Abkehr von Frankreichs traditioneller Politik vorgeworfen, deren Maxime war, Deutschland territorial zerstückelt und damit uneinig zu erhalten. Denn so konnte sich Frankreich stets in deutsche Belange einmischen und seine Macht ausdehnen.

In letzter Konsequenz repräsentierten die Befreiungskriege aber auch den großen Endkampf zwischen Französischer Revolution und Ancien Régime. Während sich die Revolution von einer Bewegung zur Befreiung der Völker in eine Kraft zu ihrer Unterdrückung verwandelt hatte, standen paradoxerweise hinter den Fürsten des „alten“ Europa schon die langsam erwachenden Volkskräfte. Die Fronten hatten sich verkehrt: Napoleon, Exponent der Französischen Revolution, war selbst ein „Reaktionär“ geworden! Und hinter den reaktionären europäischen Fürsten standen nun die Kräfte des Fortschritts, die mehr Freiheit des Volkes und nationale Einheit wollten.

Doch das, wofür die Befreiungskrieger auch ihr Blut vergossen – neben der Befreiung vom fremden Joch war es Deutschlands staatliche Einheit –, erreichten sie nicht. Die Beschlüsse des Wiener Kongresses von 1814/15 gingen einfach darüber hinweg; seine Regelungen erfüllten die nationalen, liberalen und bürgerlichen Hoffnungen überhaupt nicht. Insofern dürften die Ideale der Streiter für Deutschlands Befreiung vom Joch der Fremdherrschaft betrogen worden sein. Die Fürsten des „Ancien Régime“ hatten sie zur Bekämpfung Napoleons und der Ideen der Französischen Revolution benutzt, um danach eine Ära der Reaktion und der Restauration einzuleiten.

Wiener Kongreß enttäuschte die Patrioten in Deutschland

Im Kampf des „alten“ Europa gegen die Französische Revolution hatte also der „Weltgeist“ heimlich die Fronten gewechselt: Im Bunde mit den Fürsten, seinen früheren Feinden, focht Napoleon gegen die Völker und setzte auf das monarchische Prinzip statt auf das der Volkssouveränität.

Wie entstand in diesem Befreiungskampf ein deutsches „Nationalgefühl“? Es wurde in diesem Fall durch Abgrenzung von einem gemeinsamen äußeren Feind hergestellt. Durch die Abgrenzung von den Franzosen konnten die Deutschen auch politisch als Volk konstituiert werden. Bereits lange vor einem deutschen Nationalstaat (in der „kleindeutschen“ Variante von 1871) war in der Kriegs- und Besatzungszeit die nationale Idee nicht zuletzt durch die Feindschaft zu Frankreich definiert worden.

Die nationale Begeisterung übertrug sich von einer zahlenmäßig kleinen Minderheit, für die Dichter wie Theodor Körner, Max von Schenkendorf und Friedrich Rückert genauso standen wie die Philosophen Friedrich Schleiermacher und Johann Gottlieb Fichte, mehr und mehr auf weite Kreise der deutschen Bevölkerung. Es kam zu diversen lokalen Aufständen – ohne Befehl von oben, zum Teil gegen die Order der Fürsten.

Napoleon hatte als ein ungewollter Vorläufer Bismarcks in seinem Streben nach Vereinheitlichung und seinem Drang nach Modernisierung auf Deutschland eingewirkt. Selbst in seinem Sturz konnte der Korse es überhaupt nicht verstehen, daß ihn eine Idee zu Fall gebracht hatte – das Identitäts- und Unabhängigkeitsstreben der Völker, der Selbstbestimmungswille der Nationen.

Imperialismus und Nationalismus, die sich schon im Verlauf der Französischen Revolution entwickelt hatten, prallten in den Befreiungskriegen blutig aufeinander und rangen um die zukünftige Gestaltung des Kontinents Europa. Napoleons supranationale Visionen kamen und gingen, doch die Idee der Nation und des Nationalstaats blieb zum Schluß Sieger. Am Ende des langen Kampfs stand Ende 1813 als Resultat die Befreiung Deutschlands. Alles, was danach folgte, diente nicht mehr diesem defensiven Ziel, sondern der offensiven Zielsetzung einer Niederwerfung und Vernichtung Napoleons (1814/15). Dessen endgültige Niederlage bei Waterloo am 18. Juni 1815 hatte für das in den „Hundert Tagen“ quasi rückfällig gewordene Frankreich mit dem Zweiten Pariser Frieden vom 20. November 1815 einen territorialen Rückschritt zu den Grenzen von 1790 zur Folge.

Die deutschen Patrioten, die vor allem eine Rückgabe des Elsaß gefordert hatten, waren mit den für Frankreich nur mäßig verschärften Friedensbedingungen gar nicht zufrieden. Hatte doch bereits der Wiener Kongreß mit seinen Beschlüssen ihre Hoffnungen auf eine nationale Einheit schwer enttäuscht. Doch mit der Vielgestaltigkeit Deutschlands aufzuräumen, lag gar nicht auf der Linie des Wiener Kongresses mit seinen Grundsätzen der Legitimität und Restauration. Auch Konvenienz und Opportunität sprachen gegen eine radikale Bereinigung der deutschen Landkarte. Der stattdessen kreierte Deutsche Bund hat sich – mit Unterbrechung durch die 1848er Revolution – etwas länger als ein halbes Jahrhundert behauptet. Die Restauration und die Zweite Reaktion der 1850er Jahre drückten dem Deutschen Bund in politischer Hinsicht ihren Stempel auf.

 

Historische Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert von Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Friedrich Rückert, Carl Theodor Körner und Gottlob Ferdinand Maximilian Gottfried von Schenckendorff (v.l.n.r.): Der Volkskrieg entwickelte sich unter Führung der europäischen Monarchen zu einem Kabinettskrieg der damals üblichen Art

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