© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Mühen der Ebene
AfD: In den Landesverbänden der Euro-kritischen Partei wachsen die Probleme
Henning Hoffgaard

Es gehört einiges dazu, den Chef der Alternative für Deutschland (AfD) aus der Fassung zu bringen. Auf dem Landesparteitag der bayerischen AfD passierte es dann doch. „Ich verbringe derzeit 100 Prozent meiner Zeit damit, Streit in den Landesverbänden zu schlichten“, ruft Bernd Lucke den etwa 400 Parteimitgliedern in Ingolstadt entgegen. Er komme nicht dazu, die Bundestagswahl vorzubereiten. Die Botschaft kommt nicht bei allen an. Zwar besinnen sich die Protagonisten für kurze Zeit und beenden die offen ausgetragenen Streitigkeiten, aber schon nach einer Stunde gibt es neue Indiskretionen und persönliche Angriffe. Die von Lucke ausgerufene „Friedenspflicht“ wird schnell zur Makulatur.

Was war passiert? Eigentlich wollte der bayerische Landesverband eine Liste für die Bundestagswahl aufstellen und darüber entscheiden, ob die AfD eine Woche vor dem Urnengang auch an der bayerischen Landtagswahl teilnimmt. Im Vordergrund steht jedoch die Unzufriedenheit einiger Mitglieder mit dem Landesvorstand. Alles entzündet sich an der Frage, ob beim Gründungsparteitag am Ostersonntag, zu dem erst fünf Tage zuvor eingeladen wurde, alles mit rechten Dingen zuging. Knapp 150 Mitglieder waren gekommen und hatten Wolf-Joachim Schünemann zum Landesvorsitzenden gewählt. Viele waren aufgrund der Feiertage nicht angereist und fühlen sich um ihre Stimmen betrogen. Die Gegner Schünemanns sprechen von „Putin-ähnlichen Zuständen“ im Verband. Die Anhänger des Landeschefs wehren sich mit ähnlichen Mitteln. Schließlich geht es um Privatinsolvenzen, Hausverbote und Parteiausschlußverfahren.

Die Mehrheit der knapp 400 AfD-Mitglieder verliert schnell den Überblick, wer wann wen beleidigt hat und wer mit seiner Firma wieviel Schulden gemacht haben soll. „Es ist eine Schlammschlacht“, sagt ein jüngerer Mann kopfschüttelnd. „Es gefährdet unser gemeinsames Ziel. Hier stehen und streiten, das ist nicht meine Alternative.“

Der Parteitag drohte bereits früh in einem Wust aus Geschäftsordnungs-, Änderungs- und Satzungsordnungsanträgen unterzugehen. Erst als Lucke, der eigens die Versammlungsleitung übernommen hatte, den Parteitag ermahnte, es „sei noch Wichtigeres zu tun“, konnte über die Teilnahme an der Landtagswahl in Bayern diskutiert werden. Lucke warnte, welche Gefahren eine Niederlage eine Woche vor der Bundestagswahl mit sich bringe. „Wir machen uns angreifbar.“ Auch er habe mit einer Teilnahme geliebäugelt, dennoch sei die AfD in Bayern kaum verwurzelt. „Ich plädiere an ihr Verantwortungsbewußtsein“, ruft er den Mitgliedern mit ernster Miene entgegen. Knapp 60 Prozent stimmen am Ende dagegen. Lucke hat sich durchgesetzt.

Die angesetzte Neuwahl des Landesvorstands dagegen scheitert. Nachdem sich der bisherige Stellvertreter Martin Sichert gegen Schünemann knapp durchsetzt, tauchen plötzlich ein paar nicht abgegebene Stimmzettel auf. Die Wahl wird annulliert, Schünemann bleibt im Amt und die Listenaufstellung für den Bundestag wird verschoben. Ein Desaster.

Doch nicht nur in Bayern knirscht es gewaltig. Auch andere Landesverbände machen stürmische Zeiten durch. In Berlin sind bereits zwei der drei erst Ende April gewählten Sprecher wieder zurückgetreten. Annette Goldstein ist eine davon. Sie hatte nach ihrer Wahl ausgerechnet ihren Mann zum Landesgeschäftsführer bestellt und so den Vorwurf der Vetternwirtschaft auf sich gezogen. „Tumultartige Zustände“ habe es danach bei der Vorstandssitzung gegeben, sagt ein Teilnehmer. Goldstein und ihr Mann werden ihrer Posten enthoben und melden sich nun via Facebook zu Wort. „Der Vorstand ist in seiner überwiegenden Mehrheit seit seiner Wahl mit sich selbst beschäftigt“, schreibt Goldstein. Ihre Anhänger fordern bereits eine Neuwahl des Berliner Vorstandes. Der wehrt sich: „Offenbar ist Annette Goldstein nicht bereit, in einem Vorstand mitzuarbeiten, in dem sie momentan nicht mehrheitsfähig ist“, sagt Sprecher Günther Brinker. Auch Lucke soll interveniert und zur Geschlossenheit aufgerufen haben. Vergebens. Am 25. Mai wollen die Berliner die Landesliste für den Bundestag aufstellen. Streit ist vorprogrammiert.

Dagegen muten die Probleme der AfD in Niedersachsen fast nebensächlich an. Dort muß die bereits gewählte Landesliste zur Bundestagswahl neu aufgestellt werden. Wie der Landesvorstand in einer E-Mail an die Mitglieder schrieb, hatte ein Parteimitglied die Wahl angefochten. Die Landeswahlleitung in Niedersachsen bestätigte der JUNGEN FREIHEIT, daß die AfD bis zur Abgabe einer Stellungnahme zu den Vorwürfen keine Unterschriften sammeln darf. Lucke, der mit 99 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Platz eins gewählt worden war, muß nun noch einmal in den Ring steigen.

Der Landesverband Hamburg hat unterdessen nach eigenen Angaben bereits erfolgreich Unterschriften sammelt. Auch in den meisten anderen Bundesländern halten sich die Konflikte bisher in Grenzen. Die AfD-Sprecherin Frauke Petry zeigte sich am Rande des bayerischen Parteitags angesichts des Streits gelassen. „Geburtswehen einer Partei“ seien das. Petry selbst hat vier Kinder, weiß also, wovon sie spricht. „Erst haben uns die Medien vorgeworfen, es gäbe zuwenig Streit, nun ist er da, und nun wirft man uns vor, es gibt zuviel Streit“, sagt sie lachend. „Wir sind eine offene Partei, bei der Probleme auch öffentlich angesprochen werden.“ Alles könne der Bundesvorstand nicht regeln. „Wir haben es schließlich mit Erwachsenen zu tun.“

Foto: AfD-Chef Bernd Lucke auf dem Landesparteitag in Bayern: Zur Landtagswahl tritt die Partei nicht an

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