© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

„Der Einfallsreichtum der Verteidigung ist unerschöpflich“
Aus dem Münchner Gerichtssaal: Nach zahlreichen Unterbrechungen und Anträgen der Anwälte Zschäpes wird die Anklageschrift verlesen
Hinrich Rohbohm

Zweiter Verhandlungstag im NSU-Prozeß um die Angeklagten Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, André E., Holger G. und Carsten S.

Nachdem sich der Münchner Strafsenat um seinen Vorsitzenden Richter Manfred Götzl aufgrund von Befangenheitsanträgen um eine Woche vertagt hatte, erwarteten Nebenkläger, Medienvertreter und Zuschauer gespannt die Verlesung der Anklage. Schließlich hatte die Verteidigung nach der zwischenzeitlich verkündeten Ablehnung ihres Befangenheitsantrags angekündigt, keine weiteren Anträge vor der Anklageverlesung einzubringen.

Zunächst sollten die Personalien der Angeklagten festgestellt werden, sodann der Bundesanwaltschaft das Wort erteilt werden. Doch daraus wurde nichts. Rechtsanwalt Wolfgang Heer bittet gleich zu Beginn des Prozesses, bei dem es diesmal weitaus weniger Besucherandrang gibt als zum Verhandlungsauftakt, als erster zu Wort zu kommen. Die Verteidigung will eine Aussetzung der Verhandlung beantragen. Unruhe bei den Anwälten der Nebenklage. Sollte das Gericht den Antrag der Verteidigung zulassen, würden sie dies beanstanden, drohen einige Nebenkläger-Anwälte. Sie wittern eine erneute Prozeßverzögerung, wollen Heer nicht zu Wort kommen lassen. Heer läßt nicht locker, sieht sich im Recht. Und spricht von „Stimmungsmache“ gegen die Verteidigung. „Es sind wohl noch nicht genug Anwaltskanzleischeiben eingeworfen worden“, ruft er den Nebenklage-Anwälten zu. Geraune macht sich im Saal breit.

Wie schon zum Verhandlungsauftakt wird der Prozeß unterbrochen, noch bevor er richtig begonnen hat. Mimik und Gestik der Angeklagten haben sich nicht geändert. Zschäpe dreht den Kameraleuten und Fotografen erneut demonstrativ den Rücken zu, nachdem sie beim Hineinkommen in den Gerichtssaal beim Anblick der Presse zunächst genervt die Augen verdreht. Immer wieder führt sie intensive Gespräche mit ihren Anwälten, wirkt dabei äußerst gelöst.

Wohlleben spielt weiter die Rolle des Gelassenen. Mit einer Tüte Milch in der Hand betritt er den Saal. Nach etwa einer Stunde dann die überraschende Erklärung seines Verteidigers, daß sein Mandant „medizinisch versorgt“ werden müsse. Carsten S. erscheint wieder unter seiner blauen Kapuze verhüllt, Holger G. vergräbt sein Gesicht hinter Mütze und Schnellhefter. Auch André E. erscheint wieder mit seiner obligatorischen Sonnenbrille, trägt dazu ein, schwarzes Hemd mit der Aufschrift AC/DC auf der Vorder- und Rock’n’Roll auf der Rückseite. Das Gericht läßt den eingeforderten Wortbeitrag Heers zu. Unmut nun bei der Bundesanwaltschaft. „Der Einfallsreichtum der Verteidigung ist offenbar unerschöpflich“, erklärt man dort sichtlich genervt.

Der Antrag des Zschäpe-Anwalts: Verlegung des Prozesses in einen anderen Saal. Dessen beschränkte Kapazität verletze den Grundsatz der Öffentlichkeit, ist der Jurist überzeugt. Außerdem seien die Arbeitstische der Verteidiger teilweise von den Richterplätzen aus einsehbar. Das alles seien Revisionsgründe, bemängelt Heer. Das Problem: Über einen größeren Gerichtssaal verfügt die Stadt München nicht. Laut Heer könne der Prozeß jedoch auch an einem anderen Ort erfolgen.

„Der ehemalige Bundestag in Bonn würde den berechtigten Sicherheitsanforderungen entsprechen“, ist er überzeugt. Wieder kommt es zur Unterbrechung, ehe das Gericht am Nachmittag auch diesen Antrag der Verteidigung ablehnt. Der Grundsatz der Öffentlichkeit gebe es nicht her, die Verhandlung in einen größeren Saal zu verlegen, erklärt Manfred Götzl und lehnt den Antrag ab. „Strafverfahren finden in, aber nicht für die Öffentlichkeit statt“, so der Vorsitzende Richter und verweist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Dann endlich kann die Anklageschrift am Dienstag doch noch verlesen werden. Der Prozeß hat begonnen.

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