© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Annäherung an das antike Vorbild
Ausstellung: Klassizismus „1770–1820“ im Städel
Claus-M. Wolfschlag

Das Wissen über die antike Götter- und Sagenwelt ist heute weit geringer als noch im 18. und 19. Jahrhundert. Nur noch wenige kennen heute die Geschichten von Achilleus und Patroklos, von Laokoon und der Seeschlange oder von Amor und Psyche. Das erschwert den Besuch der Klassizismus-Schau im Frankfurter Städel-Museum. Etwa hundert Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen der Jahre 1770 bis 1820 sind dort zu sehen, unter anderem Werke Canovas, Thorwaldsens und Schadows.

Fehlt hier der Wissenshintergrund, so bleibt über die rein sinnliche Erfahrung hinausgehend immer noch der kunsthistorische Zugang. Dieser gelingt deshalb leichter, weil wir in unserem Alltag noch stark mit Rezeptionen antiker Kunst umgeben sind. Historistische Gebäude mit Säulen und Dreiecksgiebeln findet man noch reichlich in den meisten Städten, die antike Bildhauerkunst ist mindestens noch im Andenkenladen, auf Friedhöfen oder als Gartenzier allgegenwärtig.

Die Kunst jener mit dem römischen Reich im 5. Jahrhundert untergegangenen Epoche erfuhr somit bis heute immer neue Wiederauferstehungen. Die wirkmächtigste mag die Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts gewesen sein. Der Klassizismus des 18. Jahrhundert allerdings führte zur vollendeten Annäherung an die Formstrenge des antiken Vorbilds.

Vorbild ist hier zweideutig zu verstehen, denn die klassizistische Kunst sollte auch eine vorbildhafte Funktion für die Gesellschaft haben. Freiheit, Tugend und zeitlos gültige Moral als aufklärerische Grundwerte führten schließlich zur Epoche der Französischen Revolution, die den bürgerlichen Klassizismus zu ihrem Kunststil erhob. „Der Klassizismus entwuchs der aufklärerischen Diskussion und formulierte nicht Fragen und Irritation, sondern Antworten und Normen“, heißt es im Ausstellungskatalog.

Die klassizistische Beruhigung der Formen passierte gerade in Abgrenzung zum als dekadent empfundenen Rokoko und Barock der vorangegangenen höfischen und kirchlichen Kultur. Jacques-Louis Davids „Schwur der Horatier“ (1784) und der „Tod des Marat“ können geradezu als Programmgemälde der erwachenden Nation gedeutet werden. Und die Verehrung der Antike zeigte sich auch darin, daß Napoleon Bonapartes umfangreicher Kunstraub in Italien mit der Begründung erfolgte, der antiken Kultur in Paris eine neue Heimstatt zu geben.

Die Städel-Schau versucht allerdings die Position reiner Stilabgrenzungen zu überwinden und „den Blick auch auf die Schnittmengen und Übergänge zwischen den unterschiedlichen Phasen und Stilen“ zu richten, wie Museumsdirekter Max Hollein im Begleitkatalog äußert. Beispielsweise anhand der Dramaturgie und modernen Strichführungen in den Zeichnungen des Symbolisten Johann Heinrich Füssli wird der Übergang in die eigentlich konträre Romantik verdeutlicht. Vom „sentimentalischen“ und „romantischen Klassizismus“ ist dann die Rede.

So will die Schau „Schönheit und Revolution“ die klassizistische Epoche in ein Band mit der vorangegangenen antiken Tradition und der beginnenden Moderne einflechten. Und nicht nur Füssli, sondern auch die schlichte, antiken Vasenfunden entlehnte Umrißlinienmalerei könnte so gesehen gar als Vorläufer moderner Comic-Kunst interpretiert werden.

Die Ausstellung „Schönheit und Revolution. Klassizismus 1770–1820“ kann noch bis zum 26. Mai im Frankfurter Städel-Museum, Schaumainkai 63, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi./Do. bis 21 Uhr, besucht werden. Telefon: 069 / 60 50 98-0

Der Ausstellungskatalog (Hirmer-Verlag) mit 360 Seiten kostet 39,90 Euro.

www.staedelmuseum.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen