© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Als ob sich Degen kreuzten
Eine große Freundschaft, die zerbrach: Friedrich Nietzsche und Richard Wagner schätzten sich sehr und entzweiten sich doch
Markus Brandstetter

Große Musiker und große Philosophen können nicht miteinander. Joseph Haydn und Immanuel Kant haben zur selben Zeit gelebt, aber sie haben sich nie getroffen, und es ist fraglich, ob der eine vom anderen überhaupt etwas gewußt hat. Als Voltaire 1778 in Paris starb, schrieb Mozart aus Paris an seinen Vater: „Nun gebe ich ihnen eine nachricht, daß nämlich der gottlose und erz-spitzbub Voltaire sozusagen wie ein hund – wie ein vieh – crepiert ist – das ist der lohn!“

Beethoven besaß oberflächliche Kenntnisse von Kants Lehre, aber als 1790 in Wien Vorträge über Kant gehalten wurden und Freund Wegeler ihn dazu einlud, hatte Beethoven immer etwas Besseres vor. Nein, Philosophen und Musiker, das ist keine Liebesgeschichte – wäre da nicht die Freundschaft zwischen Richard Wagner und Friedrich Nietzsche, eine Verbindung, die halkyonisch-heiter begann und in bitter-böser Feindschaft endete. Zu Anfang jedoch herrschte Friede, Freude, Eierkuchen.

Zum ersten Mal trafen sich Komponist und Philosoph im November 1868 in Leipzig. Wagner war fünfundfünfzig und hatte bereits eine Revolution, steckbriefliche Suche, Verbannung, Bankrott, bitterste Armut und eine kaputte Ehe hinter sich. Nietzsche war vierundzwanzig, unerfahren, unsicher, auf der Suche nach einem Vaterersatz und aus ganzem Herzen bereit, einen großen Mann zu verehren, was er später nie wieder sein würde. Aus einem Brief Nietzsches wissen wir, wie es bei der ersten Begegnung zuging: „Ich werde Richard vorgestellt und rede zu ihm einige Worte der Verehrung: er erkundigt sich sehr genau, wie ich mit seiner Musik vertraut geworden sei, schimpft entsetzlich über die Aufführungen seiner Opern und macht sich über die Kapellmeister lustig. Vor und nach Tisch spielte Wagner, indem er alle wichtigen Stimmen der Meistersinger imitierte und dabei sehr ausgelassen war. Er ist nämlich ein fabelhaft lebhafter und feuriger Mann, der sehr schnell spricht, sehr witzig ist und eine Gesellschaft dieser privatesten Art ganz heiter macht.“

Von Anfang an haben beide viel gemeinsam: Nietzsche war ein guter Amateurpianist, der selber komponierte und Wagners Opern, lange bevor er die erste auf der Bühne sah, aus ihren Klavierauszügen kannte. Noch in seinem letzten Buch, „Ecce homo“, schrieb er: „Alle erwogen hätte ich meine Jugend nicht ausgehalten ohne Wagnersche Musik.“ Überdies stammten beide aus derselben Gegend. Nietzsche war in Röcken geboren, einem Dorf an der Straße von Weißenfels nach Leipzig, von wo auch Wagners Mutter kam. Beide fühlten sich, wie Martin Gregor-Dellin, Wagners größter deutscher Biograph, schreibt, „in jener mitteldeutschen Kulturlandschaft zwischen Harz, Thüringer Pforte und Elster, der Heimat von Martin Luther, Heinrich Schütz und Novalis, tief verwurzelt“.

Im Frühjahr 1869 wurde Nietzsche als Professor nach Basel berufen und wohnte nun keine hundert Kilometer von Wagner entfernt, der in Tribschen am Luzerner See mit Familie, Bediensteten, Pferden, Hunden und einem Pfauenpaar im selbstgewählten Exil lebte. In drei Jahren besuchte Nietzsche die Wagners mehr als zwanzigmal, verlebte Weihnachten bei ihnen und durfte sogar bleiben, als Wagners Frau Cosima mit dem Sohn Siegfried niederkam.

Im April 1871 liest Nietzsche den Wagners aus einem Manuskript mit dem Titel „Ursprung und Ziel der Tragödie“ vor, wobei Wagner verwundert ist, daß seine Kunst nicht behandelt wird, was Nietzsche umgehend korrigiert. Im Januar 1872 sendet Nietzsche an Wagner das noch ungebundene Vorausexemplar seines ersten großen Buches, das nun „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ heißt und Wagner als dionysischen Schöpfer einer neuen Mythologie feiert. Der Komponist ist entzückt.

Auch nach dem späteren Bruch blieb Tribschen für Nietzsche „eine ferne Insel der Glückseligen“. Richard und Cosima Wagner und ihre Kinder waren die einzige wirkliche Familie, die der schnauzbärtige Denker jemals besessen hat. Heute steht fest, daß Nietzsche für Wagners Frau Cosima eine tiefe Liebe empfand, die noch in seinem Wahnsinn nachhallte, als er im Irrenhaus von Jena schrie: „Meine Frau, Cosima Wagner, hat mich hergebracht.“

Wagner hat das nicht bemerkt, aber er hat gespürt, daß Nietzsche, je älter und geistig unabhängiger er wurde, desto mehr sich von ihm entfernte. Bereits 1874, da waren Musiker und Philosoph noch dicke Freunde, weisen Nietzsches Aufzeichnungen eine innere Abkehr von Wagner auf. Die Risse zeigen sich auch, als es wegen Johannes Brahms zum offenen Streit kommt. Nietzsche, der Wagners starke Antipathie gegen Brahms und den Hang des Komponisten zu schneidender Kritik und wildem Zorn (noch) nicht kannte, nahm den Klavierauszug von Brahms Schicksalslied zu den Wagners mit und begann, daraus am Flügel vorzuspielen. Cosima schrieb dazu in ihr Tagebuch: „Unser Freund N. bringt das Triumphlied von Brahms. R. lacht laut auf, daß Musik auf das Wort ‘Gerechtigkeit’ gemacht würde“. Zwei Tage später notiert sie: „Nachmittags spielen wir das Triumphlied von Brahms, großer Schrecken über die Dürftigkeit dieser uns selbst von Freund Nietzsche gerühmten Komposition, Händel, Mendelssohn und Schumann in Leder gewickelt. Richard wird sehr böse.“

Nach außen hin jedoch läßt Nietzsche sich nichts anmerken. 1874 erscheint „Unzeitgemäße Betrachtungen, Viertes Stück: Richard Wagner in Bayreuth“, Nietzsches letzte große Huldigung an den Komponisten. Wagner, begeisterter denn je, schreibt an Nietzsche: „Freund! Ihr Buch ist ungeheuer! – Wo haben Sie nur die Erfahrung von mir her?“

Bayreuth andererseits wirkt auf Nietzsche abschreckend. Nach seinem Besuch der ersten Bayreuther Festspiele 1876 schreibt er: „Die Überfülle des Häßlichen, Verzerrten, Überreizten stieß mich heftig zurück.“ Lange hat man angenommen, daß Nietzsche dem „Meister“, wie Wagner sich nun nennen ließ, eben dieses Bayreuth nicht verziehen hat – Bayreuth, wo Wagner, umgeben von antisemitischen Kriechern, gekrönte Häupter aus allen Himmelsrichtungen empfing und mit dem christlichen Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ seine letzte Oper schrieb, die Nietzsche, der sich zunehmend als „Antichrist“ verstand, vor den Kopf stoßen mußte. Aber der wahre Grund für das Zerwürfnis ist viel banaler.

Der Vorsitzende des Frankfurter Wagner-Vereins, ein gewisser Dr. Otto Eiser, untersuchte im Oktober 1877 auf Anraten Wagners den Philosophen, welcher an Migräne, Augenschmerzen, Erbrechen und Durchfällen litt. Eiser berichtete daraufhin übereifrig und in eklatanter Verletzung seiner Schweigepflicht nach Bayreuth, daß Nietzsche unheilbar an Syphilis erkrankt wäre, italienische Straßenhuren mit aufs Zimmer nähme und vermutlich auch noch onanierte, womit er Wagners Vermutung nur bestätigte, der den Mediziner genau danach gefragt hatte. All das machte in Bayreuth die Runde. Irgendwann muß es Nietzsche zu Ohren gekommen sein.

Fortan schleuderte der Philosoph Blitze. 1888 fragte er in seinem Pamphlet „Der Fall Wagner“: „Ist Wagner überhaupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krankheit?“ So wie früher für Nietzsche alles an Wagner gut gewesen war, so war nun alles an ihm eitel, leer und verlogen. Aber nur nach außen hin. Im stillen litt Nietzsche unter dem Bruch den Rest seines bewußten Lebens. In einem Brief heißt es: „Durch nichts kann es mir ausgeglichen werden, daß ich in den letzten Jahren der Sympathie Wagners verlustig gegangen bin.“

Als Wagner am 13. Februar 1883 in Venedig starb, keine Tagesreise von Nietzsche entfernt, der sich auf der anderen Seite Italiens in Genua aufhielt, da schrieb Nietzsche: „Wagner war bei weitem der vollste Mensch, den ich kennenlernte.“

Foto: Richard Wagner (1813–1883) und Friedrich Nietzsche (1844–1900): Trotz des Altersunterschiedes hatten beide viel gemeinsam

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen