© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Pfingsten – das Kommen des Heiligen Geistes
Höchster Tröster in der Zeit
Richard Baumann

Während die Kirchen keine nennenswerten Probleme damit haben, ihren Gläubigen und selbst noch Fernstehenden den Kern des Weihnachtsfestes und den Sinn von Ostern zu erläutern, fällt es ihnen deutlich schwerer zu vermitteln, wofür Pfingsten stehen soll. Immerhin ein christliches Hochfest, das freilich alljährlich schon deshalb als solches unbemerkt an vielen Bundesbürgern vorüberzieht, weil es sich so unaufdringlich in die Ferienkalender integriert hat. Wer nicht wegfährt oder wegfliegt, der sucht zumindest das Weite bei einem Ausflug ins Grüne. Pfingsten als staatlich verankerte, historisch nur schwach überlieferte, dafür aber um so dankbarer angenommene Gratifikation an Freizeit – aber reicht uns das schon?

Dem Wortsinn nach steht Pfingsten für den fünfzigsten Tag nach Ostern. Das Wesen von Pfingsten ergründen wir aber am besten mit der Bibel. Bereits im Schöpfungsbericht des Buches Genesis ist vom Geist Gottes die Rede: einmal, als dieser über den Wassern schwebt (Gen 1,1), zum andern als Lebensatem Gottes, den der Schöpfer seinem Menschen in die Nase bläst, um ihn an seinem eigenen Leben teilhaben zu lassen (Gen 2,7).

Der Geist Gottes zieht sich dann wie ein roter Faden durch viele Bücher des Alten Testaments. Alle vier Evangelien, vor allem aber die Apostelgeschichte verdichten die Hinweise und Aussagen auf diese Hauptfigur von Pfingsten. Zuerst begegnet uns dieser Geist Gottes im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums, in dem die Geburt Jesu angekündigt wird: Auf die Frage der künftigen Gottesmutter Maria, wie sie – ganz ohne Mann – denn schwanger werden könne, entgegnet ihr der Engel: „Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten“ (Lk 1, 35).

Dann bei der Taufe Jesu am Jordan: Der Heilige Geist kommt sichtbar in Form einer Taube auf Jesus herab und offenbart ihn vor allen anderen als den geliebten Sohn Gottes (vgl. Mk 1,10). An vielen anderen Stellen der heiligen Schrift ist es Jesus selbst, der diesen Geist Gottes den Jüngern verspricht und zusagt (vgl. Joh 14,15).

So oft in der Bibel die Rede vom Heiligen Geist ist – zuletzt auch beim Missions- und Taufauftrag Jesu an seine Jünger –, so rätselhaft distanziert bleiben wir – ob Gläubige oder Taufscheinchristen – oft diesem Geist gegenüber. Ein Kind in der Krippe ist eingängig, anrührend und entspricht unserer Sehnsucht nach Beziehung und Nähe. Ein Auferstandener, ein über den Tod triumphierender Retter und Erlöser überwindet in uns die Schranken dieses Daseins. Aber ein so ganz körperloser, unsichtbarer, ungreifbarer Heiliger Geist, der in „Feuerzungen“ auf die Jünger herabkommt? Ein Geist, der die babylonische Sprachverwirrung dadurch heilt, daß er das neue, dieses Mal die Einheit stiftende Sprachenwunder wirkt?

Die Kirchen selbst tun sich nicht immer leicht mit diesem Beistand. Erst im zweiten Jahrhundert wurde die Lehre vom Geist unter dem Einfluß philosophisch-theologischer Erörterungen zum Begriff des „Logos“ entwickelt, was zu Differenzen zwischen Ost- und Westkirche führte. Bis zum heutigen Tag ringen die Konfessionen um den Stellenwert dieser Lehre. Die gerade in den letzten Jahren großen Zulauf genießende charismatische Bewegung betont in ihrem Wirken ganz besonders den Geist Gottes. Wie könnten wir uns diesem nähern, der sich aller Verfügbarkeit entzieht (Der Geist weht, wo er will)?

Der Geist Gottes ist die Kraft Jesu. Christen glauben, daß dieser Heilige Geist es war, der den toten Jesus aus dem Grab gerufen und mit neuem Leben beseelt hat. Die katholische Kirche mißt ihm sieben Gaben bei: die der Weisheit, der Einsicht, des Rates und der Stärke, der Erkenntnis, der Frömmigkeit und der Gottesfurcht. Sie lassen in ihrer Gesamtheit etwas spüren von dem, was unserer Zeit vor allem fehlt, bis hinein in die Gemeinden, Synoden, Bischofskonferenzen und Kirchentage.

Der Geist Gottes ist es selbst, der Glauben an Gott, Hinwendung zum Ewigen und die Verankerung in der kommenden Wirklichkeit Gottes in uns erst wirkt. Ohne diesen Geist ist eine Beziehung zu Gott nicht möglich. Wer glaubt, vertraut auf Gottes Hilfe in seinen Beziehungen und Nöten, in seiner Arbeit und in seinem Selbstverständnis. Wem diese Gaben des Heiligen Geistes noch zuwenig „geerdet“ erscheinen, dem könnten die sieben Tröstungen Hilfe sein: Freude, Freundschaft, Tränen (als Zeichen der Reue und der heilsamen Reinigung), Schlaf, Bad (der Verzicht auf das Bad galt in der Ostkirche als Zeichen der Buße), Gebet und Wahrheit. Der Apostel Paulus führt im Brief an die Galater aus: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal. 5,19-22).

Die verschiedenen Gaben und Dienste haben alle das gleiche Ziel: Es soll Christus verherrlicht werden (1. Korinther 12,3). Es soll die Kirche erbaut werden (1. Korinther 14,12; Epheser 4,12-15). Christus als die neue Schöpfung, der kraft seines Geistes wirkt. In seiner und durch seine Kirche – auch wenn viele Zweifelnde genau damit überfordert sind: Diese Kirche lebt vom Atem Gottes. Ohne seine Inspiration ist Glaubensverkündigung nicht denkbar. Andererseits gibt diese Kirche dem Geist Gottes erst jenen menschlich-erfahrbaren, konkreten Raum, in dem jene, die nach Sinn suchen, diesem Geheimnis Gottes begegnen können: in Liturgie, Sakrament und Predigt, im Gebet und im Lobpreis des dreieinigen Gottes.

Der Geist Gottes ist Ursprung allen Geistes, der konstruktiv wahrnehmbar wird. Sei es in den immer neuen Thesen der Wissenschaft, in den philosophischen Ansätzen von Jahrhunderten oder bis in politische Programme und soziologische Modelle hinein, sofern sie sich vorbehaltlos in den Dienst der Wissenschaft und Wahrheit stellen. Wahrheit ist das eigentliche Wesensmerkmal des Geistes, der die Gedanken der Menschen immer neu inspiriert und sie so an seiner Schöpferkraft teilhaben läßt, die im Kern alles Menschsein adelt. Das Transzendente, das dieser Welt Enthobene, vermittelt er, bringt diese Wirklichkeit Gottes in unserer irdischen Gegenwart zur Sprache und macht sie erfahrbar – vor allem auch durch geist­erfüllte, weise und gute Menschen.

In diesem Geist konnten Glaubenszeugen aller Jahrhunderte ihre Überzeugungen heldenhaft bekennen und bis in den Tod treu zu Christus stehen. In diesem Geist ihres Herrn traten die Apostel in der Pfingstgeschichte (vgl. Apostelgeschichte 2, 15-31) furchtlos und überzeugend vor die Bürger Jerusalems hin und ließen an dem, was sie restlos erfüllte, keinen Zweifel: Jesus Christus, ihr gekreuzigter und auferstandener Herr, war mit ihnen und durchdrang in der Kraft des Heiligen Geistes ihr Reden und Wirken. Sie, die noch vor kurzem Angst, Trauer und tiefste Enttäuschung erlitten, konnten befreit und beseelt von der Wahrheit Gottes ganz in den Dienst dessen treten, der ihrem Leben fortan Erfüllung schenkte.

In diesem Geist Gottes wohl trat Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms auf, um seine berühmt gewordenen Worte zu sagen: „Hier stehe ich und kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen.“ Graf Stauffenberg rief „Es lebe das heilige Deutschland!“ Sekunden vor seinem Tod ebenso in der Kraft dieses Geistes aus – ebenso, wie die hl. Edith Stein, wenn sie in einem Brief schreibt: „In dem Gefühl der Geborgenheit, das uns oft gerade in ‘verzweifelter’ Lage ergreift, wenn unser Verstand keinen möglichen Ausweg mehr sieht (...): in diesem Gefühl der Geborgenheit werden wir uns der Existenz einer geistigen Macht inne, die uns keine äußere Erfahrung lehrt (...) die Kraft, die uns stützt, wo alle Menschenkräfte versagen, die uns neues Leben schenkt, wenn wir innerlich erstorben zu sein meinen, die unseren Willen stählt, wenn er zu erlahmen droht – diese Kraft gehört einem allmächtigen Wesen. Das Vertrauen, das uns einen Sinn unseres Lebens annehmen läßt, auch wo menschlicher Verstand ihn nicht zu enträtseln vermag, lehrt uns seine Weisheit kennen.“

Was wir europäischen Christen wohl vor allem brauchen, ist eine neue Hinwendung zu diesem Geist Gottes; eine pfingstliche Kirche, die beseelt und innig durchdrungen ist von der Frohen Botschaft Jesu Christi, die den Missionsauftrag in das Heutige hinein neu erfüllt. Was wir brauchen, ist Glaubensstärke und spürbare Freude an Gott, Verbundenheit untereinander und die echte Bereitschaft, über unseren Glauben zu sprechen. Ein überzeugtes und überzeugendes Christsein macht dort nicht halt, wo Häme und Kritik, Hohn oder Anfeindung drohen. Wenn wir unseren Glauben ernst nehmen und nach Gottes guten Geboten leben, hilft uns sein Geist selbst, der uns zur guten Tat anstiftet und die engen Grenzen unserer Möglichkeiten immer neu überwindet (Mt. 10, 17-22).

Der Geist Gottes ist auch Ursprung allen Geistes, der Wahres, Edles und Schönes schafft, der Menschen miteinander versöhnt und ihre Gemeinschaft stärkt und belebt. Die Philosophen der verschiedensten Epochen atmeten diesen Geist, freilich ohne selbst den Ursprung ihrer Gedanken immer im Religiösen anzusiedeln. Die Friedensboten aller Zeiten konnten sich auf ihn stützen, der Einheit stiftet und neue Orientierung bringt: Wo zwei Streitende sich über das Gewicht ihrer Argumente hinweg für den anderen öffnen, ihm Gutes unterstellen und so eine neue Basis finden – da ist der Geist Gottes am Wirken. Wo sich ein am Leben Gescheiterter seiner eigenen Hilf- und Planlosigkeit ehrlich stellt und sich diesem Geist Gottes im Gebet öffnet, da kommen neue und ungeahnte Möglichkeiten ins Spiel. Und wo wir diesem Geist der Freiheit trauen, geht allem furchtsamem Kleingeist, wie er uns auch in Gestalt der Political Correctness begegnet, buchstäblich der Atem aus.

Der geheimnisvoll wirksame Geist, der unserer Schwachheit aufhilft und selbst in uns betet (Römer 8, 26), der uns beseelt für das Gute, das nicht mehr Erhoffte, für die neuen Anfänge, die eben auch im Scheitern und im Zerbrochenen liegen – er lebt! Gerade dann, wenn nach nur menschlichen Maßstäben der Vernunft das letzte Licht erloschen scheint und sich so gar kein Mut mehr finden will – dann bleibt die Hoffnung auf den Geist. Er, der eben nicht den Gesetzen der Logik und Wahrscheinlichkeit gehorcht, setzt sich über das Begrenzte und Begrenzende hinweg und führt zu neuen Horizonten. Auch im Scheitern.

Als Christ zu leben, heißt: dem Geist Gottes glauben, ihm Großes zutrauen, im Gebet immer wieder seine Nähe und Inspiration zu suchen, auch in der Begegnung mit anderen Menschen diesen Geist am Werk zu sehen. Jenen Geist, der nicht nur wenigen Auserwählten verheißen und geschenkt ist, sondern der uns allen in Taufe, Firmung und Konfirmation zugesprochen wurde und den wir – so groß redet die Bibel über den Menschen – als einen Tempel seiner selbst in uns tragen dürfen (Römer 8, 9): Solch ein Geist will ertastet und erfleht werden.

Die Kirche kennt seit Jahrhunderten die Novene zum Heiligen Geist, ein intensives Bittgebet, in dem die versammelten Gläubigen ihn auf sich herabrufen: „Komm Heiliger Geist, und erfülle die Herzen deiner Gläubigen! Entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe! Sende aus deinen Geist, und du wirst das Antlitz der Erde erneuern.“

Wenn heute viel über die Verdunstung des Glaubens geklagt und immer wieder das Lamento von der religiösen Gleichgültigkeit angestimmt wird, so bringt sich genau hier der Geist Gottes ins Spiel: Indem wir ihm betend zutrauen, auch unsere moderne Welt zu erfüllen und ihm das überlassen, wozu unsere begrenzte Kraft nicht ausreicht, geschehen neue Aufbrüche: in uns selbst, in den Gemeinden vor Ort, in der Weltkirche.

 

Richard Baumann, Jahrgang 1965, ist Betriebswirt und lebt in Ellwangen. Seit Jahrzehnten engagiert er sich ehrenamtlich in seiner Kirchengemeinde.

Foto: Unter der Gestalt einer Taube:„Ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehn, kann nichts heil sein noch gesund“

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