© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Eine mißlungene Lehrstunde für das Volk
Neuere Studien zum Widerstand des 20. Juli 1944 und seinem Stellenwert in der bundesdeutschen Erinnerungskultur der Nachkriegszeit
Oliver Busch

In diesem Jahr haben sich mit dem Tod von Ewald-Heinrich von Kleist (JF 13/13) und Clarita von Trott zu Solz die Reihen der Beteiligten am Widerstand gegen die NS-Herrschaft weiter gelichtet. Die historische Forschung verliert ihre letzten Zeitzeugen und zugleich versiegen die Quellen aus den Familiennachlässen, die bis vor kurzem in zahlreichen Brief- und Tagebucheditionen erschlossen wurden. Darauf reagierend, wenden sich Zeithistoriker seit längerem einerseits mehr der Rezeption der im Attentat vom 20. Juli 1944 kulminierenden NS-Opposition in den west- und mitteldeutschen Nachkriegsgesellschaften zu und finden andererseits wieder Mut, das aufgetürmte Material neu zu deuten.

Ein gutes Beispiel für den Kurswechsel hin zum geschichtspolitischen Umgang mit den Exponenten des „anderen Deutschland“ bietet Boris Burghardts Studie über den Braunschweiger Prozeß gegen Otto Ernst Remer im Frühjahr 1952 (Journal für Juristische Zeitgeschichte, 2/2012). Und in der anderen Richtung ist es Peter Hoffmann, der inzwischen emeritierte Stauffenberg-Biograph und Nestor der Widerstandsforschung, der die eingeschliffenen Verdikte zum vermeintlichen Judenhaß Carl Friedrich Goerdelers einer kritischen Revision unterzogen hat.

Hoffmanns souveräne Widerlegung der vor allem vom linksliberalen Feuilleton gierig aufgesogenen und freudig kolportierten Thesen Hans Mommsens und Christoph Dippers zum „dissimilatorischen Antisemitismus“ Goerdelers wie zur latenten Judenfeindschaft des von ihm repräsentierten „nationalkonservativen Widerstands“ erschien 2011 bezeichnenderweise zuerst auf dem angelsächsischen Buchmarkt. Seit drei Wochen ist das Werk endlich auch in deutscher Übersetzung greifbar (eine ausführliche Besprechung in der JF folgt). Allerdings skizzierte Hoffmann seine Neubewertung Goerdelers hierzulande bereits im kleinsten Kreis, als er anläßlich der Übergabe der Originale der 2011 publizierten Gefängnisbriefe von Helmuth James an Freya von Moltke (1944/45) an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach zu „Fragen und Kontroversen“ im Verhältnis von Goerdeler zu Moltke und Stauffenberg Stellung nahm (Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, 56/2012).

Ungeachtet der „Disharmonie der Temperamente“, die schon jenseits gravierender politischer und weltanschaulicher Differenzen die Zusammenarbeit zwischen den älteren, nationalkonservativen „Exzellenzen“ um Goerdeler und Ulrich von Hassell und den jüngeren „Kreisauern“ um Moltke erschwerte, habe gerade in der „Judenfrage“ nicht der geringste Dissens bestanden.

Weit entfernt von solchen aktuellen Debatten, in denen der Widerstand stets Gesinnungstests auf demokratische Reife und ideologische Korrektheit zu bestehen hat, war die öffentliche Meinung in den frühen 1950er Jahren. Die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft, so konstatiert der Rechtshistoriker Boris Burghardt nüchtern, brachte den Widerstandskämpfern „keine große Sympathie“ entgegen.

Darum stieß der Vorwurf Remers, der am 20. Juli 1944 half, den Aufstand niederzuschlagen und der sich nach 1945 rechtsaußen engagierte, auf breite Zustimmung, die Verschwörer gegen Hitler seien „in starkem Maße Landesverräter“ gewesen. Im Prozeß gegen Remer habe der niedersächsische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer daher die Chance erkannt, eine „Lehrstunde für das Volk“ zu erteilen. Mit der Rehabilitation des Widerstands wollte der jüdische Remigrant Bauer die Identität des jungen demokratischen Gemeinwesens der Bundesrepublik verändern, die für ihn weiterhin von der Erfahrung der im Krieg erprobten nationalen Schicksalsgemeinschaft, von der „Volksgemeinschaft“ geprägt war.

Diese Funktionalisierung des Strafrechts im Interesse der Umerziehung brachte das Verfahren gegen Remer jedoch an den Rand eines „Schauprozesses“. Ein größeres Desaster für den Generalstaatsanwalt sei nur durch Richter des Braunschweiger Landgerichts verhindert worden. Denn sie versagten sich Bauers vergangenheitspolitischen Ambitionen, konzedierten Remer auf der Ebene des objektiven Tatbestandes, daß auch „einige Landesverräter“ unter den Verschwörern gewesen seien, „retteten“ aber deren Ehre bei der Prüfung des subjektiven Vorsatzes, Verrat zu üben, der bei den meisten fehlte, da sie das deutsche Volk retten und nicht schädigen wollten. Diese Argumentation führte zwar zu Remers Verurteilung, verschaffte dem Widerstand ein Stück nachträglicher Legitimität, entsorgte aber zu Bauers Bedauern nicht den „Fluchtpunkt Nation“ aus der kollektiven Erinnerung.

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