© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Neutralität spielte für Mielke keine Rolle
Erwin Bischof offenbart die umfangreiche Spionagetätigkeit der Staatssicherheit der DDR in der Schweiz
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Die Eidgenossenschaft war im Kalten Krieg neutral, gehörte nicht der Nato an und konnte nie eine Bedrohung des Sowjetblocks darstellen. Dennoch mußten Schweizer Zeitungen immer wieder über Spionage und ideologische Beeinflussungsbemühungen der DDR berichten. Inzwischen weiß man, daß diese größer waren als damals angenommen. Es ist das Verdienst Erwin Bischofs, den bisherigen Kenntnisstand in einem Buch zusammengefaßt zu haben.

Seine jahrelangen Recherchen führten ihn in etliche Archive Berns und Berlins, wo ihm indes keineswegs alle Akten zur Verfügung standen. Auch in Paris, London und Washington erhielt er keine Einblicke, obwohl manche Festnahme auf deren Nachrichtendienste zurückging. So beschränkt er sich auf die Darstellung von nur 13 der etwa 500 Spionagefälle in der Eidgenossenschaft.

Spion in der Schweiz zu werden, war für manchen jungen ideologisch überzeugten DDR-Bewohner verlockend. Bei Joachim Staritz, der aus politischen Gründen zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, genügte der Wink mit sofortiger Freilassung. War es Angst oder Dankbarkeit? In manchen Schweizer Städten hielt er Propaganda-Vorträge über die DDR vor Linksintellektuellen sowie kommunistischen Studenten und gab der Stasi Hinweise auf Schweizer, die „sich für eine konspirative Arbeit eignen“ – eine schönklingende Formulierung für Spionage-Anwerbungen.

Wie der Verfasser anhand mehrerer Beispiele ausführlich darlegt, erfolgte die Einschleusung nach Helvetia durchweg unter der Identität von nichtsahnenden Auslandsschweizern in der DDR, die mit gut gefälschten Dokumenten bei der Schweizer Botschaft in Berlin um „Rücksiedlung in ihre Heimat“ baten. In einem Fall bewarb sich ein HVA-Agent bei Schweizer Firmen, die für Talsperren oder die Zivilverteidigung wichtig waren. Daß keiner der dort tätigen Verantwortlichen bei seinen Besuchen Verdacht auf Spionage schöpfte, räumt Bischof ein.

Ziel der Ausspähung waren Politik, Militär und Wirtschaft. „Feind-Organisationen“ waren auch Gruppen, die sich für verfolgte Christen einsetzten. Ein DDR-Student sollte „gegnerische Aktivitäten“ in Zürich auskundschaften; eingestehen mußte er, die Zahl der DDR-freundlichen Studenten dort sei „eine sehr kleine Minorität“. Auf die eidgenössische Botschaft in Ost-Berlin waren allein sieben Agenten angesetzt. Aktiv waren andererseits diplomatische Vertretungen des Ostblocks in Bern: Die Sowjetbotschaft warb mehrere Schweizer an, ihr die nötigen Ausweispapiere zur Einschleusung ihrer Spione zu beschaffen. Geheimes der Schweizer Armee erhielt der Militärattaché Moskaus vom Brigadier Jeanmaire, den das Buch als den „größten Schweizer Landesverräter“‘ bezeichnet.

Bei der DDR-Botschaft hatte der Gehilfe des Militärattachés W. Bos die Sicherheitslage aller Flughäfen sowie alles Erdenkliche über die Armee, den Zoll und die Polizei in Erfahrung zu bringen. Wichtigstes Beobachtungsobjekt aber war das Eidgenössische Militärdepartement, über das man sämtliche Einzelheiten wissen wollte. Die Schweizer Bundespolizei indes konnte ihn „umdrehen“: Er verriet die Informanten des Militärattachés, darunter einen Großrat in Basel, und Namen anderer östlicher Spione. Es war in der Tat „eine wichtige und erfolgreiche Operation“ der Schweizer Abwehr. Doch warum verschweigt der Verfasser dabei einige wichtige Spionagefälle? Zum Beispiel wird ausgerechnet der Zürcher Elektrohändler Edwin B. nicht erwähnt, dem Ost-Berlin den Zugang zu modernster Technik verdankte. 1989 verrieten ihn seine eigenen bisherigen Geldgeber an den Westen.

Überaus scharf verurteilt das Buch die prominenten Intellektuellen der Schweiz, welche die DDR als „das bessere Deutschland“ priesen und mit ihrer höheren Glaubwürdigkeit dazu beitrugen, den Kommunismus in bestimmten Kreisen salonfähig zu machen. Wer die rote Diktatur aus Naivität oder Leichtgläubigkeit unterstützt oder wider besseres Wissen die Wahrheit verschwieg, wurde nach den sehr offenen Worten des Autors letztlich mitschuldig. Wie wahr!

Erwin Bischof: Verräter und Versager. Wie Stasi-Spione im Kalten Krieg die Schweiz unterwanderten.Verlag Interforum, Bern 2013, gebunden, 265 Seiten, Abbildungen, 39 Euro

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