© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Die gesunde Alternative zum Kaugummi
Trotz gepfefferter Preise: Trockenfleisch erobert deutsche Supermärkte / Angesagte Verpflegung in Freizeit und Sport
Sverre Schacht

Die einst lebenswichtige Nahrung alpiner Bauern ist Trend geworden: In Zeiten kohlenhydratarmer Ernährung verspricht gedörrtes Fleisch schlanken Genuß und Qualität in einer von künstlichen Zusätzen und Skandalen umstellten Lebensmittelindustrie.

Die traditionelle Zubereitung von Bindenfleisch wie dem Bündnerfleisch oder dem Walliser und Simmentaler Trockenfleisch vom Rind ist in Deutschland verlorengegangen. Das häppchengerechte neue Trockenfleischangebot gilt noch als Geheimtip: „Ist es das, was die Hunnen früher unterm Sattel hatten?“ fragt ein Verbraucher im Netz. Die Zubereitung ist heute eher mit dem Klischee „Hundefutter“ behaftet.

Das wollen seit 2008 Firmen des Fleischsnacks liebenden US-Marktes ändern. Als „Jack Link’s“ oder „MuscleMeat“ erobern sie den Markt. Aber auch deutsche Hersteller wie Gut Conow aus Mecklenburg locken mit 100, 75 oder 25 Gramm leichten Packungen. Zu der noch übersichtlichen Auswahl kommen ständig neue Sorten hinzu, gewürzt mit der Aura purer Männlichkeit, oft auch schmackhaft mariniert. Würzige Westernklischees in Namen wie „Gold Rush“ und das Versprechen, besser als jede Wurst zu sein, locken.

Das vermeintlich Neue ist intensiv im Fleischgeschmack. Der Eiweißgehalt von über 50 Prozent erleichtert die Werbung: „Sie werden Schwierigkeiten haben, einen gesünderen Snack auf dem Markt zu finden“, preist Internetvertreiber „Jerkyshop.de“. Der schnelle, gesunde Snack trifft den Nerv der Zeit. So machen Rezepte für die Eigenfertigung im Backofen oder Dörrautomaten im Netz die Runde. Der auf Jagdbücher spezialisierte Verlag J. Neumann-Neudamm bietet gleich zwei Werke zum Thema „Trockenfleisch – selbst gemacht“ an.

Die „würzige Alternative zum Kaugummi“, wie ein Verbraucher im Netz schreibt, hat rund drei Prozent Fett, das verspricht gesünderen Genuß als Kartoffelchips. Mit rund sechs Euro für 100 Gramm ist die Ware kein Schnäppchen – was der Herstellung geschuldet ist. Beim Trocknen reduziert sich das Gewicht des dabei meist genutzten Rindfleisches auf gut ein Drittel des Rohgewichts. Der Verlust veredelt das Produkt und die Absätze der Branche. Die großen Verbände der Fleischindustrie haben noch keine Zahlen, die Anbieter indes längst ihre Stellung zwischen Snack und klassischem Fleisch ausgebaut. Sie lassen sich nicht so gerne in die Karten sehen. Bei Jack Link’s hat man immerhin erkannt, daß deutsche Verbraucher Qualität zu schätzen wissen. Die Rohware bezieht die in Berlin angesiedelte Europazentrale daher aus Neuseeland statt den USA. Schon 2010 steigerte das Unternehmen seinen hiesigen Jahresabsatz um rund vierzig Prozent, zog bald mit der Zentrale in noch größere Räume. Die Goldgräberstimmung lockt auch die Hersteller der südafrikanischen Variante Biltong an.

Der Ursprung des Erfolgs liegt indes viel näher: Für die Serie „Steinzeit – Das Experiment“ des SWR zogen 2006 zwei Familien in ein Pfahlhaus am Bodensee. Mit im authentischen Gepäck: Trockenfleisch. Es war die nahrhafteste Stärkung der sieben Erwachsenen und sechs Kinder in jenem verregneten Sommer, den sie auf sich gestellt verbrachten. Teil dieses Experiments war auch eine Alpenüberquerung nach Art des bekannten steinzeitlichen Vorbilds „Ötzi“. So führten die Männer beim Experiment Pemmikan, eine Mischung aus Fett, Trockenfleisch und Trockenfrüchten mit sich, wie der Ötzi sie bereits kannte.

Jenseits der experimentellen Archäologie erfreut die Trocknung von Fleisch heute Ernährungsbewußte, Sportler, aber auch Hundehalter, die nach dem passenden Leckerli jenseits von handelsüblichem Trockenfutter suchen. Sie alle verbreiten Rezepte, mitunter auch alte, denn schon im deutschen Mittelalter war das getrocknete Gut geschätzt. Bei betuchten Bürgern kam laut einem Lübecker Speiseplan für ein Festessen nicht nur „Geweichter Stockfisch“ auf den Tisch, auch das Trockenfleisch gehörte unbedingt dazu.

Daß Fleisch Kraft verleiht, ist demnach mehr als ein Klischee. Heute zieht Trockenfleisch von Rind und Wild auf einem anderen Eroberungszug mit – dem Ringen der jährlich mehr Fleisch produzierenden Lebensmittelindustrie um den Verbaucher, der zwar weniger Zeit fürs Essen hat, sich aber nach ursprünglicher und unverfälschter Nahrung sehnt.

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