© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/13 / 17. Mai 2013

Der Flaneur
Erste Frauen tragen knapp
Josef Gottfried

Noch einen Zug aus der Zigarette, mit zusammengekniffenen Augen wegen des Qualms, dann blase ich den Rauch durch die Nase aus und ersticke die Glut im Aschenbecher neben der fast leeren Tasse mit Milchkaffee, an deren Innenwand der mit Kaffee vermengte und getrocknete Milchschaum einen unappetitlichen Eindruck hinterläßt. Passend zu den Kippen. Es ist Frühling geworden, in Dresden. Vor allem hier in Löbtau.

Die ersten Frauen tragen knapp. Drei junge gehen am Straßencafé vorbei, sie sind fröhlich und dünn, der Gegenwind trägt eine Wolke von Zigarettenqualm, verrucht, und süßem Eau de toilette, niedlich, zu mir herüber. Ein qualvoller Anblick – jedenfalls dann, wenn man Zeit und Geld für Kaffee und Tabak hat. Als ich meinen Blick von ihnen abwende, trifft der zufällig den meines Café-Nachbarn, er hat ihnen auch hinterhergeschaut. „Ick hasse Weiber“, sagt er im Ton des Berliner Umlands und scheint sicher zu sein, daß ich ihn schon verstehen werde: Ihn ärgert ja nur der Trieb, den sie in ihm aktivieren, ohne für dessen Abfuhr zu sorgen. „So sind se“, sage ich, weil mir nichts Kluges einfällt.

Plötzlich steht die Bedienung neben mir, so nah, daß ich zu ihr hochschauen muß. Sie erkundigt sich, ob es denn noch was sein dürfe. Sie ist angenehm füllig, unter ihrem Polo-Shirt kann ich genau sehen, wo ihr BH tief ins Fleisch schneidet, aus ihrer engen Dreiviertelhose lugen feist zwei stramme weiße Waden hervor, deren Füße in ausgelatschten Sandalen stecken.

Ich muß über meine eigene Gemeinheit grinsen und schäme mich sofort dafür. Aber sie interpretiert es falsch, so als ob ich nett wäre, und lächelt mir zu. Das erleichtert mich, und ich bestelle das Frühstück. „Kommt sofort“, singt sie fröhlich, zwinkert mir zu und eilt durch den Gastraum zur Küche. Ich starre auf mein Smartphone und klicke bei den Statusmeldungen von Facebook-Freunden wahllos auf „Gefällt mir“. Einfach so.

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