© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Merkels Allzweckwaffe droht der Absturz
Drohnen-Debakel: Mit Thomas de Maizière gerät zu Beginn des Wahlkampfes der verläßlichste Minister der Kanzlerin in die Krise
Paul Rosen

Zum Einsatz kommen wird die Aufklärungsdrohne „Euro Hawk“ der Bundeswehr nie. Einen Treffer landete der unbemannte Flugkörper, der nach einem Bericht der Welt von 2007 „eine neue technische Ära“ einläuten sollte, dennoch: Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat offenbar jahrelang Parlament, Regierung und Öffentlichkeit nicht vollständig über Kostenexplosionen und Fehlfunktionen bei dem Fluggerät unterrichtet, so daß die Kommentare einhellig ausfielen: Der Minister ist schwer angeschlagen.

In der Tat war de Maizière, der schon Chef des Kanzleramtes und Innenminister war, als Allzweckwaffe im Kabinett und sogar als möglicher Nachfolger von Kanzlerin Angela Merkel gehandelt worden, sollte die Regierungschefin vorzeitig aus dem Amt scheiden. Der immer verbindlich und freundlich wirkende, aber zumeist ausweichend antwortende und sich nie festlegende de Maizière hatte allerdings im Verteidigungsministerium, wo er die Nachfolge Karl-Theodor zu Guttenbergs (CSU) antrat, keinen leichten Stand. Schnell wurde ihm der Ruf eines nur die Akten abarbeitenden Beamten angehängt. Der Minister komme morgens zur Arbeit, greife sich die Vorlagen seiner Mitarbeiter aus dem Plastikkörbchen, arbeite diese durch und fahre, wenn das Körbchen leer sei, wieder nach Hause, weiß der Flurfunk des Bendlerblocks zu berichten.

Ein engeres Verhältnis zur Truppe bekam der gebürtige Bonner, der nach der Wiedervereinigung politische Erfahrungen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sammelte, nie. Hatten die Soldaten bei Peter Struck (SPD) und selbst bei „Minister Hasenfuß“ (Financial Times Deutschland) Franz Josef Jung (CDU) wenigstens zeitweise noch das Gefühl, die politische Führung stehe hinter ihnen, so ist das spätestens seit der Amtszeit von de Maizière nicht mehr der Fall. Daß eine Entfremdung zwischen Soldaten und Minister stattgefunden hat, wurde in einem Interview de Maizières mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung deutlich, in dem er die Soldaten aufforderte: „Hört einfach auf, dauernd nach Anerkennung zu gieren.“ Die Truppe reagierte entsetzt.

Es liegt nicht nur an aus dem Ruder laufenden Rüstungsprojekten, daß die Stimmung so schlecht ist. Die vom damaligen Minister Rudolf Scharping (SPD) schon eingeleiteten Transformationen und Reformen der Bundeswehr haben jede gewachsene Formation und Tradition der deutschen Nachkriegsarmee zerstört. Oder bildlich gesprochen: In der Bundeswehr von heute steht kein Stein mehr auf dem anderen, und dann kommt de Maizière und tritt der Truppe noch vors Knie. Was wirklich los ist, bekommt er nicht mit: Nachdem es beim Patriot-Einsatz in der Türkei keine Gastfreundlichkeit und statt dessen Beleidigungen durch türkische Militärs gegeben hatte, räumte der Minister ein, man habe ihm bei seinem Besuch „eher die Schokoladenseite gezeigt“.

Einige Ziele der Bundeswehrreform, die Verringerung der Truppenstärke – unter anderem durch Verzicht auf die Wehrpflicht – von 250.000 auf rund 170.000 sind zwar etwa erreicht, zugleich ist aber der Fähigkeitenkatalog nicht entsprechend ausgedünnt worden. Eine kleinere Armee kann auch entsprechend weniger, aber die notwendige Reduzierung der Fähigkeiten zum Beispiel auf Einsätze nur noch in Europa fand nicht statt. De Maizière fabulierte noch in der Bundestagsdebatte am Donnerstag vergangener Woche vom Prinzip „Breite vor Tiefe“, vergaß aber zu erwähnen, daß er weder das Material für die Aufgaben noch die notwendige Zahl von Soldaten für die Durchhaltefähigkeit hat. Im Ministerium ist von einer desaströsen Nachwuchssituation die Rede: Die gesundheitlichen und intellektuellen Voraussetzungen bei den Freiwilligen sollen bereits heruntergefahren worden sein.

Dafür rühmte der Minister seine Reform allen Ernstes als „den verteidigungspolitischen Schlußstrich unter den Kalten Krieg“. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, sieht das anders: Im Zuge der Reform sei „das Meisterstück“ gelungen, „auch diejenigen gegen sich aufzubringen, die ihr Leben lang der Bundeswehr treu gedient haben“.

Im Beschaffungswesen steht die Euro-Hawk-Drohne nur pars pro toto. Hier scheint es bereits 2004 erste Hinweise auf technische Schwierigkeiten gegeben zu haben. Offenbar fehlten der Drohne Sensoren und Computer, die sie auch ohne Kontakt mit dem am Boden stationierten Piloten Hindernissen automatisch ausweichen ließ. Wie notwendig ein solcher Automatismus ist, zeigte die Überführung einer Testmaschine von Amerika nach Deutschland im Jahr 2011: Zweimal verlor die Bodenstation den Kontakt zu der 15 Tonnen schweren Drohne mit 40 Metern Spannweite, die führungslos stark vom Kurs abwich. Dennoch feierte die Luftwaffe die Überführung als „Meilenstein der Luftaufklärung“.

Die neuen Korvetten wiederum haben ebenso technische Probleme wie der Schützenpanzer Puma, dessen Stückzahlen überdies zusammengestrichen wurden. Der Eurofighter ist störanfällig, das für Auslandseinsätze notwendige Transportflugzeug Airbus A 400 M hebt nicht ab, und auch die neuen Hubschrauber haben eine lange Problemgeschichte. Vor fünf Jahrzehnten titelte Der Spiegel über die Bundeswehr: „Bedingt abwehrbereit“. Das ist heute geschmeichelt.

Foto: Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) vergangene Woche im Bundestag: Der verunsicherten Truppe vors Knie getreten

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