© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

„Ich hasse diese Terroristen“
Unruheprovinz Xinjiang: Pekings Drang nach kultureller Dominanz fordert die moslemischen Uiguren heraus
Marc Zöllner

Bei einer Hausdurchsuchung chinesischer Sicherheitskräfte in der im äußersten Westen des Landes gelegenen Provinz Xinjiang stürmten plötzlich Dutzende in Turban und traditionellen Trachten gekleidete junge Männer auf die Beamten zu. Mit Krummsäbeln und langstieligen Äxten bewaffnet, töteten sie 15 Polizisten.

Es sind Szenen, die Vorurteile gegen moslemische Minderheiten nähren, und das sollen sie auch. Gerade deswegen gewährte das chinesische Staatsfernsehen CCTV Sonderberichtszeiten zu diesem Vorfall. Die chinesische Bevölkerung sollte jedes Detail des Kampfes gezeigt bekommen: die Täter, die Waffen, die blutüberströmten Opfer in den Gassen und Märkten. So hätten „mehrere Terroristen mit ihren über einen Meter langen Säbeln skrupellos auf die Köpfe der Menschen“ eingehackt, berichtet der Polizist Hailili Jilili noch aus dem Krankenhaus vor laufender Kamera. Die Anwohnerin Amina Kadeer fügt hinzu: „Jetzt sind alle Häuser niedergebrannt. Nichts als Schutt und Asche. Ich hasse diese Terroristen. Sie haben unser ruhiges Leben sabotiert. Die Regierung sollte diese Verbrecher hart bestrafen!“

Solcherlei Berichterstattung ist in China ungewöhnlich. Über Gewalttaten gegen Regierungsbeamte wird meist geschwiegen, ebenso über Anschläge auf Gebäude der Verwaltung. Doch bei den Uiguren, Chinas vergessener moslemischer Minderheit, ist der Fall anders gewichtet.

Ostturkestan, wie die kulturreiche Provinz Xinjiang von den heimischen Uiguren genannt wird, war schon immer ein Krisenherd. Die berühmte, schwer umkämpfte Seidenstraße führt in großen Teilen durch die Wüsten und Berge dieses Landes.

Abwechselnd rangen Mongolen, Chinesen, Briten und Russen um politischen Einfluß im oft nur semi-unabhängigen zentralasiatischen Reich. Leidtragende dieser Schachspiele waren zumeist seine stolzen, jedoch militärisch unterlegenen Reitervölker. Daran änderte sich auch mit dem Anschluß Ostturkestans durch Rotchina 1949 nichts.

Mit der Annexion Xinjiangs, wie die Region nun hieß, begann auch ihre Assimilierung. Gezielt wurden von der Regierung in Peking ethnische Han-Chinesen in die Schlüsselstädte der neuen Provinz angesiedelt. Wer von den Uiguren dagegen aufbegehrte, wurde nicht selten standrechtlich erschossen oder verschwand in einem der unzähligen Straflager des Reichs der Mitte.

Die ethnische Umwälzung hatte fatale Folgen für Ostturkestan: Lebten 1949 nur etwa 200.000 Küstenchinesen in der turkmenischen Region, waren es zur Jahrtausendwende bereits über 7,6 Millionen. Han-Chinesen bilden nach den Uiguren mit über 40 Prozent nun den zweitgrößten Bevölkerungsanteil.

Mit wachsendem Erfolg arbeitet die Kommunistische Partei so an der Zementierung ihrer Besetzung Zentralasiens. Auch auf kulturellem Wege: Den Uiguren ist es verboten, ihre eigene Sprache zu unterrichten, ihre Traditionen auszuleben, ihre Religion zu praktizieren. Immer wieder werden Versammlungen vor Moscheen zum Fastenbrechen während des Ramadan von chinesischen Polizeieinheiten gewaltsam gesprengt. Willkürliche Verhaftungen, Folter, Verschleppungen und Exekutionen sind unbeachtet von der Weltöffentlichkeit an der Tagesordnung. Im Sommer 2009 sollte gar ein Großteil der jahrtausendealten Stadt Kaschgar, der heimlichen Hauptstadt der Uiguren, für neue han-chinesische Siedlungen abgerissen werden.

Seitdem China einen Tag nach den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 die Uno-Resolution 1368 mit verabschiedete, welche die internationale Staatengemeinschaft dazu auffordert, „alle Anstrengungen zur Verhinderung von Terrorakten zu verdoppeln“, verkauft die chinesische Besatzungsmacht ihre Repressionen gegen das uigurische Volk nun auch offiziell als „Kampf gegen den Terror“.Beweise für die Verstrickung radikalislamischer Zellen in den uigurischen Unabhängigkeitskampf gab es bislang jedoch keine.

Blutige Zwischenfälle kommen der chinesischen Administration daher gelegen, um ihre kulturelle Dominanz in der Unruheregion weiter zu festigen. So wurden bei anschließenden Hausdurchsuchungen nicht nur erneut Dutzende Menschen verhaftet. Wie Radio Free Asia berichtet, werden seit Anfang Mai sämtliche moslemische Uiguren von den Behörden systematisch genötigt, sich nach dem Grad ihrer Religiösität in spezielle Sammellisten einzutragen. Kategorien sind unter anderem „trägt ein Kopftuch“, „liest den Koran“ oder „ist religiös“.

Foto: Mitglieder des Weltkongresses der Uiguren (WUC) demonstrieren in Tokio für die Freiheit ihrer Landsleute: Mit Halbmond weg von Peking

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