© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Inflation und monetäre Mauer
Euro-Krise: Eine Studie der Luxemburg-Stiftung empfiehlt linke Alternativen zu Angela Merkels Rettungspolitik
Wilhelm Hankel

In den deutschen Linksparteien haben sich bis aufs Messer bekämpfende Flügel Tradition, so auch jetzt wieder. In der Euro-Frage stehen sich die auf Ministersessel schielende „Realo“-Fraktion um Gregor Gysi, der 1998 zu den wenigen zählte, die im Bundestag gegen die Währungsunion stimmten, aber inzwischen die Euro-Alternativlosigkeit teilt, und die neue Euro-kritisch positionierte „Fundi“-Gruppe um Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht gegenüber. Letztere meint sogar, die neue, eher bürgerlich-rechte Partei Alternative für Deutschland (AfD) habe ihr Programm „bei uns abgeschrieben“.

Vorige Woche brachte Lafontaines langjähriger Ideenlieferant Heiner Flassbeck (bis 2012 Chefvolkswirt der Welthandels- und Entwicklungskonferenz Unctad) zusammen mit Costas Lapavitsas (University of London) eine dritte Variante ins Spiel. In einer für die Rosa-Luxemburg-Stiftung verfaßten Studie empfehlen sie eine neue Währungsunion mit dem Ziel, „Europa als politische Idee zu retten“ und „die Teilhabe aller Menschen am wirtschaftlichen Fortschritt unter allen Umständen zu gewährleisten“.

Wie soll diese neue Euro-Union aussehen? Erstens habe sie das wirtschaftstheoretisch wie -politisch unbrauchbare Konzept des Neoliberalismus zu verlassen. Der Versuch von Europäischer Zentralbank (EZB) und Brüsseler Kommission, die Währungsunion auf „monetaristischen Vorstellungen“ zu gründen – gemeint sind die der Bundesbank – sei gründlich gescheitert. Dasselbe gelte zweitens für die in Deutschland, dem stärksten Teilnehmer, vorherrschenden „kruden Ideen zum Wettbewerb von Nationen“ – gemeint ist die Politik der Exportsteigerung zu Lasten des Anstiegs der Reallöhne, also einen Lohnzuwachs unterhalb der Produktivitätsrate.

Mit diesem „nationalen Merkantilismus“ verschärfe Deutschland seine inneren Sozialkonflikte und exportiere sie in die wesentlich schwächeren Teile der Union: vom Mittelmeer bis in den Norden nach Irland, Frankreich, Belgien. Letztlich sei Deutschland der Urheber der Euro-Krise, die es durch Angela Merkels unsinnige Politik des Eintreibens dieser Forderungen bis zum Kollaps dieser Staaten verstärke. Doch lediglich der dritte Punkt ist für die Euro-Debatte neu und interessant: Woran scheitert die EZB? Ihr Bundesbank-Konzept sei mit den Realitäten des modernen Finanzmarktes nicht vereinbar. Weder könne sie als Zentralbank (wie sie sollte) den europäischen Finanzsektor kontrollieren: die „offene Grenze“ zum globalen Finanzmarkt lasse so etwas nicht zu. Noch könne sie die ihr vorgeschriebene Abgrenzung der Geldpolitik von der (ihr verbotenen) „monetären Staatsfinanzierung“ einhalten. Die ausufernde Staatsschuldenkrise verwische diese Grenze und zwinge sie zu permanenten Regelverstößen gegen Statut, Aufgabe und Auftrag. Mit dem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit gefährde sie jedoch die des Euro.

Wie wahr. Einerseits decken die Autoren der Studie mit ihrer Fehleranalyse nur Schwachstellen des Euro-Systems auf, auf die die vier Euro-Kläger der ersten Stunde das Bundesverfassungsgericht bereits vor 15 Jahren hingewiesen haben. Damals waren SPD-Chef Lafontaine und Flassbeck (bis 1999 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium) gerade dabei, Deutschlands Linke auf Helmut Kohls Euro-Kurs einzuschwören.

Jetzt rufen sie mit (für sie) neuen Einsichten die Gewerkschaften zu jener aggressiven Lohnpolitik auf, die sie ihnen damals wegen Deutschlands Exportinteressen untersagten. Die beiden zentralen Fragen, wie viele Arbeitsplätze das kostet und wie ein künftiger Euro-Verbund ohne deutsche Überschüsse mit seiner dann tiefroten Leistungsbilanz weltwirtschaftlich dastünde, lassen sie vorsichtshalber unerörtert.

Andererseits wird der Öffentlichkeit wie dem anderen Flügel der Linkspartei tonnenweise Sand in die Augen gestreut. Denn was Flassbeck und sein Koautor anbieten, stellt weder eine „Alternative“ zu Merkels „Weiter so“ noch zum Euro-Konzept von SPD und Grünen dar. Auch ihnen geht es um den Erhalt des Euro – getreu der Devise von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso: „Koste es, was es wolle.“

Doch was kostet es? Flassbeck und Lapavitsas zeigen mit dankenswerter Klarheit auf, was droht, wenn die Euro-Rettungspolitik bis zum bitteren Ende fortgesetzt wird. Man müsse nur – so die Autoren – den Mut zur „Zypriotisierung“ der Euro-Zone aufbringen: zu verschärften und zentralistischen Bankenkontrollen sowie klaren Begrenzungen der Ein- und Anlegerfreiheit – ohne Kapitalverkehrskontrollen werde man der Krise und der sie verschärfenden Kapitalflucht nie Herr werden.

Aus richtiger Einsicht in die Gründe für das Scheitern der EZB ziehen die beiden Autoren aber den unsinnigen Schluß: die Kapitalflucht (der Selbstschutz der Sparer) als Folge dieser Politik sei die Ursache ihrer Folgen. Als der junge Flassbeck seine Doktorarbeit schrieb, wußte er es besser: Es ist die Furcht vor drohender Kapitalflucht, die jede weltoffene Geldwirtschaft davor bewahrt, zur Inflationsgemeinschaft zu verkommen: zur monetären UdSSR mit weicher Währung à la Transferrubel oder Mark der DDR. Lafontaines und Wagenknechts „eurokritische Alternative“, deren Aktionsprogramm mit der Studie nunmehr vorliegt, wird den Weg in dieses Europa gewaltig verkürzen.

Offen ist nur, ob sie dies will oder nicht sieht. Verräterisch ist, daß die Autoren darauf verzichten, zur einzigen sinnvollen Alternative Stellung zu nehmen: dem von ihnen lediglich angedeuteten Wechselkursverbund nationaler europäischer Währungen, wie er vor dem Euro als Wechselkursmechanismus (WKM) bestand. Kann man ihnen verübeln, daß ihnen dazu nichts einfällt?

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel ist Währungsexperte und klagte mit Fachkollegen gegen den Maastricht-Vertrag, die Griechenlandhilfe und den Euro-Rettungsschirm.

www.dr-hankel.de

 

Die systemische Krise des Euro

Unter dem Motto „Euro – so nicht!“ protestierte die damalige PDS 1998 im Bundestag gegen die Währungsunion. 15 Jahre später sind alle damals von Gregor Gysi benannten Gefahren eingetreten – und der Euro eint nicht, sondern spaltet Europa. Eine von der linken Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Studie über „Die systemische Krise des Euro“ belegt dies unmißverständlich. Doch es sei noch „nicht zu spät für eine Umkehr“. Hierfür müsse allerdings „Deutschland als wichtigstes Gläubigerland“ Einsicht zeigen: „Die entscheidenden Elemente einer neuen Strategie wären der Abbau der Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit – vor allem über Lohnerhöhungen in Deutschland –, die sofortige Beendigung des fiskalischen Austeritätskurses und die Überbrückung der schwierigen Übergangsphase für die Schuldnerländer durch Kredite der EZB, Euro-Bonds oder weitgehend unkonditionierte Hilfen durch den ESM (European Stability Mechanism).“

Die Studie „The Systemic Crisis of the Euro – True Causes and Effective Therapies“: www.rosalux.de/eurokrise

Foto: Euro-Apologeten Peter Bofinger (Uni Würzburg), Ulrike Herrmann (taz) mit Kritikerin Sahra Wagenknecht: Weitere EZB-Kredite, Euro-Bonds und weitgehend unkonditionierte Hilfen durch den ESM?

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