© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Der lange Schatten der Geheimarmeen
Staatlich inszenierter Terror: Ein Prozeß in Luxemburg bringt Licht ins Dunkel geheimdienstlicher Machenschaften und stellt Fragen zum Oktoberfest-Attentat 1980
Bente Holling

In Luxemburg geht es derzeit alles andere als beschaulich zu. Ein Bezirksgericht bemüht sich in einem Mammutprozeß, die „Bommeleeër“-Affäre (Bombenleger) aufzuklären. Die Serie von Sprengstoffanschlägen zwischen 1984 und 1986 verursachte Millionenschäden – Ziel waren vor allem Polizei- und Justizgebäude, Privatwohnungen oder Strommasten – und hinterließ einige Verletzte.

Die Abteilung für Organisierte Kriminalität der belgischen Polizei vermutet, daß hinter den Anschlägen das geheime Nato-Netzwerk „Stay Behind“ steht. Die Nato-Agenten sollen die militant-rechtsradikale Gruppe „Westland New Points“ (WNP) mit dem Sprengstoff ausgestattet haben.

Hinweise darauf gewannen Luxemburger Ermittler schon 1985 bei der Vernehmung von Rechtsextremisten. Laut aktuellen Recherchen von RTL hatte WNP „Verbindungen zum belgischen Inlandsgeheimdienst, der ‘Sûreté de l’État’, und dem amerikanischen Militärgeheimdienst DIA“. Ihr Ziel sei der „Kampf gegen die sowjetische Bedrohung auf dem belgischen Territorium“ gewesen.

Für einen Paukenschlag im Prozeß sorgte die Aussage des Duisburger Historikers Andreas Kramer. Er sagte unter Eid, sein Vater habe 1980 im Auftrag der Nato-Geheimarmee das Oktoberfest-attentat von München organisiert. Der Vater, Bundeswehroffizier und BND-Agent, habe die Bombe gebaut und den Attentäter angeworben.

Bei dem Bombenanschlag auf das Oktoberfest 1980 am Eingang zur Theresienwiese wurden 13 Menschen getötet und 211 teils schwer verletzt. Die Tat fiel in den Wahlkampf-Endspurt zur Bundestagswahl. Der Kanzlerkandidat der Union, Franz Josef Strauß, und der linksliberale Innenminister Gerhard Baum warfen sich gegenseitig vor, das Attentat gehe auf das Konto ihrer Politik.

Der Geologiestudent Gundolf Köhler aus Donaueschingen wurde als Einzeltäter präsentiert, der aus Lebensüberdruß gehandelt habe. Diese offizielle Erklärung enthielt eine lange Reihe von Widersprüchen. So wurde die Zeugenaussage, Köhler habe zunächst mit drei weiteren Personen in einem Auto gesessen und dann am Eingang zur „Wiesn“ mit zwei Männern erregt gestritten, einfach ignoriert. Der Zeuge verstarb ein halbes Jahr darauf mit 36 Jahren.

Köhler war zeitweise Mitglied der verbotenen „Wehrsportgruppe Hoffmann“, einer militanten rechtsextremen Gruppe. Zu dieser Gruppe hatte auch der „Stay Behind“-Mann Heinz Lembke Kontakt. Lembke wurde 1981 verhaftet, weil er bei Öchtringen in der Lüneburger Heide das größte illegale Waffendepot der BRD-Geschichte angelegt hatte. In 33 Erdlagern fanden sich 176 Kilogramm militärischer Sprengstoff, die er unmöglich alleine beschafft haben konnte.

Nach vier Tagen Haft versprach Lembke dem damaligen Bundesanwalt Rebmann, am kommenden Tag umfangreich auszusagen. Am Tag darauf wurde er in seiner Zelle erhängt aufgefunden.

Rebmann hatte sich notiert, Lembke habe „aus einem Antikommunismus heraus die Lager angelegt, um im Falle einer sowjetischen Invasion als Führer einer Partisanentruppe Widerstand zu leisten“ – exakt das Konzept von „Stay Behind“.

Im Jahr 1947 entwickelte der Nationale Sicherheitsrat in Washington den Plan einer Geheimarmee in Westeuropa. Ihr Name: „Stay Behind“. Die Untergrundkämpfer sollten sich im Kriegsfall von der Roten Armee überrollen lassen und in deren Rücken Truppenbewegungen melden, wichtige Personen ausschleusen sowie Sabotageakte ausführen – das Partisanenmodell der „Résistance“.

48 Millionen US-Dollar wurden investiert, um die „Stay Behind“-Truppen in mehreren westeuropäischen Ländern in Stellung zu bringen – ohne Wissen der nationalen Regierungen. Die Gruppen wurden mit Waffen, Kommunikationsmitteln und militärischem Sprengstoff ausgerüstet und an entlegenen Orten trainiert.

In Italien erhielt die „Stay Behind“-Organisation den Namen „Gladio“ (Schwert). Doch der Krieg mit der UdSSR, für den die „Stay Behind“-Gruppen trainierten, blieb aus. 1965 errang dann die Kommunistische Partei Italiens 30 Prozent der Stimmen, drei Jahre später wurde sie zweitstärkste Kraft. Das mußte die US-Regierung erheblich beunruhigen. Bald wurde Italien in den 1970er Jahren von einer Reihe blutiger Terroranschläge überzogen, für die mal die Roten Brigaden, mal Neofaschisten verantwortlich gemacht wurden.

Staatliche Stellen sabotierten mit Unterstützung der Nachrichtendienste die Untersuchungen, Ermittlungsergebnisse wurden kurzerhand zum Staatsgeheimnis erklärt. 14 Massaker blieben unaufgeklärt. Als 1990 ein Polizistenmordprozeß neu aufgerollt wurde, war die Existenz von „Gladio“ nicht mehr zu vertuschen. Ministerpräsident Andreotti erklärte vor dem Untersuchungsausschuß, daß das „Stay Behind“-Netzwerk europaweit existiere.

In der Bundesrepublik half dabei der ehemalige Chef der Aufklärungsabteilung „Fremde Heere Ost“, Reinhard Gehlen, dessen Organisation 1949 von der CIA übernommen und zum Bundesnachrichtendienst umstrukturiert wurde. Entgegen dem alliierten Verbot wurden an der innerdeutschen Grenze Waffendepots angelegt, um 75 wichtige Verkehrsknotenpunkte sabotieren zu können. Bevölkerung und Parlamente erfuhren nichts.

Doch im hessischen Waldmichelbach kursierten bald Gerüchte um ein „Partisanenhaus“ im Wald und Schießübungen in einem alten Stollen. 1952 kam es durch eine Anzeige zu einer Untersuchung im hessischen Landtag. Diese wurde von den US-Alliierten unterbunden. Ein Jahr darauf informierten die USA die Bundesregierung über die Untergrundarmee. Der Bundestag blieb ohne Kenntnis. Das blieb durchgängig so bis 1990: Alle Bundesregierungen wußten Bescheid, das jeweilige Parlament blieb uninformiert.

Den US-amerikanischen Behörden in der Bundesrepublik Deutschland unterstand auch der Verfassungsschutz von West-Berlin. Der Verfassungsschutzagent Peter Urbach ging in der legendären „Kommune 1“ ein und aus. Er hatte sich durch einen Brandanschlag auf den Pferdestall der berittenen Polizei Berlins einen Namen in der Szene gemacht.

Urbach lieferte dem SDS-Aktivisten und Kopf der linksradikalen Terrorbande Tupamaros, Dieter Kunzelmann, eine Bombe für den Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus am 9. November 1969. Er besorgte Horst Mahler eine Pistole und die Waffen für die Befreiung von Andreas Baader.

Neben Urbach agierten auch die Verfassungsschutzspitzel Ulrich Schmücker, Michael Grünhagen und Volker Weingraber aktiv in linken Terrorkreisen. Grünhagen war vor Ort, als sich 1972 die gesamte Führungsriege der Roten Armee Fraktion (RAF) im Frankfurter Westend zu einer konspirativen Besprechung traf. Verhaftet wurde niemand. In Weingrabers Berliner Wohnung trafen sich Anfang der 1970er unbehelligt Michael „Bommi“ Baumann („Bewegung 2. Juni“) und Verena Becker (später RAF).

In Beckers Stasi-Akte heißt es: „Becker wird seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganisationen bearbeitet beziehungsweise unter Kontrolle gehalten.“ Siebzehn Akten mit der Aufschrift „Ve- rena Becker“, die in der Inventurliste des Büros von Stasichef Erich Mielke verzeichnet waren, sind spurlos verschwunden. Gerüchte über eine VS-Mitarbeit Beckers gab es schon, als Becker aus dem Berliner Frauengefängnis entgegen der Isolationspraxis ausgerechnet in die Justizvollzugsanstalt Moabit zu Ulrike Meinhof verlegt wurde.

Kaum bekannt ist jedoch, daß Becker in der „Todesnacht von Stammheim“, in der die RAF-Spitze anscheinend Selbstmord verübte, ebenfalls vor Ort war – ein Stockwerk unter Baader, Ensslin, Raspe und Möller.

Ungeklärt bleibt Beckers Rolle beim Attentat auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Buback hatte in seiner Amtszeit massiv kritisiert, daß die Verfassungsschutzämter Bayern und Baden-Württemberg ihre Aktivitäten in links- und rechtsextremistischen Kreisen erheblich ausdehnten. „Bommi“ Baumann, der in dem Prozeß Verena Becker belastete, wurde vom Gericht als Drogensüchtiger abgekanzelt, dessen Aussage keinen Wert habe. So entstand der Eindruck, Staatsanwaltschaft und Richter täten alles, um Becker nicht zu be-, sondern zu entlasten.

Das Konzept einer „Strategie der Spannung“ sollte ein Angstklima schaffen, in dem staatliche Repressionen durchsetzbar waren. Der ehemalige Terrorist Baumann resümiert: „Da sind ganze Industrien draus entstanden.“

In einem Interview mit der Luxemburger Illustrierten Revue unterstrich der Schweizer Historiker Daniele Ganser, Autor des Buches „Nato-Geheimarmeen in Europa – Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“, das beschriebene Strategie-der-Spannung-Konzept. Fünf Jahre vor dem „Bommeleeër“-Prozeß fand er es besonders auffällig, daß die Bombenserie der achtziger Jahre „immer noch nicht aufgeklärt“ sei.

„Immer dann“, so Ganser weiter, „wenn in einem kleinen Land wie Luxemburg etwas so lange nicht aufgeklärt ist, besteht die Möglichkeit, daß der Staat involviert ist. Ein Motiv könnte sein, daß man der Bevölkerung Angst machen wollte. Damit als Folge der Ruf nach mehr Sicherheit laut wird. Und so die Budgets für die Sicherheitskräfte erhöht werden.“

 

JICT-Center – die neue Geheimarmee?

Wiederbelebung von „Stay Behind“? Die USA errichten derzeit eine militärisch-polizeiliche Behörde in Deutschland. Das „Joint Interagency Counter Trafficking Center (JICTC)“ operiert im Graubereich zwischen militärischer Gefahrenabwehr, Terror- und Kriminalitätsbekämpfung. In der Behörde beim Zentralkommando United States European Command (EUCOM) der amerikanischen Streitkräfte in Stuttgart arbeiten Mitarbeiter des FBI und des US-Heimatschutzes, des US-Verteidigungs-, Außen-, Energie- und Finanzministeriums sowie des US-Grenzschutzes, der Einwanderungs-, Zoll- und Drogenvollzugsbehörde (DEA). Die US-Behörde hält sich nicht an die in Deutschland geltende Trennung zwischen Militäraufgaben und Kriminalitätsbekämpfung. Dennoch räumt die Bundesregierung dem JICTC große Freiheit ein, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei (Deutscher Bundestag , 17. Wahlperiode, DS 17/11540) hervorgeht. Dennoch sieht sie die Notwendigkeit, sich „anlaßbezogen über das JICTC auszutauschen.“ Dies soll im Rahmen der „vertrauensvollen deutsch- amerikanischen Zusammenarbeit“ gewährleistet werden.

Foto: Attentat auf das Münchner Oktoberfest (September 1980): Der Anschlag galt lange als Tat eines rechtsextremen Einzelgängers, nun präsentierte sein Sohn eine Weiterung des Falles

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