© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Umwelt
Denken ohne Tabus
Volker Kempf

Vor 65 Jahren schrieb der Publizist Eugen Kogon in seiner Abhandlung „Mensch und Umwelt“, daß das Bevölkerungswachstum der Welt – oder auch nur Chinas und Indiens – „neue Zivilisationsprobleme schafft“. Dieses Wachstum sei nicht einfach ein Naturgesetz, sondern unterliege Geist und Kultur. „Wir können uns nun etwa, was die Bevölkerungsprobleme betrifft, malthusianisch verhalten, also Geburtenverhinderung betreiben, sei es durch Konzeptionsverhütung, sei es durch Abtreibung, zwangsweise, freiwillig durch Konventionen also, welcher Art immer.“

Heute würde dieser Satz von kaum jemand noch so geschrieben werden, weil eine bloße Möglichkeit zu benennen gerne mit der Unterstellung bedacht wird, sie auch für gut und richtig zu halten. Bei einem christlich motivierten Autor, der zudem über fünf Jahre im KZ Buchenwald eingesperrt war, ist das allerdings anders.

Bei Kogon käme niemand auf den Gedanken, er habe all das, was er für möglich halte, auch befürwortet. Er setzte vor allem darauf, die Jugend etwa durch Bildung zu unterstützen und die Industrialisierung voranzutreiben und so der Überbevölkerung zu begegnen. China setzt seit Jahrzehnten auf eine rigorose Ein-Kind-Politik. Aus ethischen Gründen wird dies in Europa und den USA kritisiert.

Über Bevölkerungsfragen erst gar nicht nachzudenken, ist aber auch keine Lösung. Es stellt sich die Frage, was für ein Geist das ist, der sich für Programme zur weltweiten Unterstützung der Familienplanung kaum interessiert? Dabei ginge das doch an die Ursache der „Zivilisationsprobleme“. Die Weltbevölkerung hat sich seit Kogons Abhandlung bereits mehr als verdoppelt. Für eine weitere Verdopplung auf dann 14 Milliarden reichen die globalen Ressourcen sicher nicht. Die Bereitschaft, dies offen und ehrlich zu problematisieren, ist allerdings dramatisch geschrumpft.

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