© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/13 / 24. Mai 2013

Der Flaneur
Wohl eindeutig eine Frau
Paul Leonhard

Die Geschäftsstraße ist eng geworden. Schwere Zeiten für Tagträumer, denn die Bauarbeiter nutzen die milden Temperaturen, um ihrer Arbeit nachzugehen. Überall ist das Pflaster aufgerissen, wühlen sich kleine Bagger in den Untergrund, schippen kräftige Männer. Rostige Rohrleitungen tauchen auf und erst unlängst verlegte Kabel. Die Kommunen investieren eigenes Geld und vor allem Fördermittel in ihre unterirdische Zukunft.

Ich schlängle mich zwischen Bauzaun und Geschäftsaufstellern hindurch. Weiche geschickt einem Zwillingskinderwagen aus, dessentwegen ein Radfahrer kurz darauf eine Vollbremsung hinlegen muß. Warte dann zwei, drei Sekunden geduldig, bis die beiden schwatzenden Rentnerinnen mit ihren Rollatoren bemerken, daß neben ihnen kein Platz mehr ist. Sie rücken, mich mißtrauisch musternd, zur Seite.

Dann bin ich fast am Bahnhof, stehe an der Fußgängerampel und sehe ihn, den Skandal, das Versagen der gewiß männlich dominierten Stadtverwaltung. Auch hier steht ein Bauzaun, und dazu hat die Straßenbaubehörde zwei Verkehrsschilder gepflanzt. Aber was zeigen sie? Ein Piktogramm eines eindeutig männlichen, tatkräftigen Bauarbeiters, der seine Schaufel tief in einen Zement- oder Sandhaufen gestoßen hat. Und darunter ein kleineres Schild, auf dem eine Rock tragende Figur, also doch wohl eindeutig eine Frau, ein kleines Kind an der Hand hält. Und das im Jahr 2013! In Deutschland!

Ich bin empört. Ist das nicht auch der Weg, den die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt jeden Tag zur Arbeit zurücklegen muß? Da kommt sie. Ich weise auf die beiden Schilder und schaue sie empört an. Warum das Schild keine Bauarbeiterin darstelle und das andere keinen Mann, der ein Kind an der Hand führt, will ich sie fragen. Sie winkt ab. Sie sei in Zeitnot. Ich solle entschuldigen, daß sie nicht, wie von der Baubehörde vorgesehen, die Straßenseite gewechselt habe.

Sprachlos bleibe ich stehen. Hat sie die Schilder-Provokation der Behörde nicht erkannt? Ich beschließe heimzugehen und geschlechtsneutrale Verkehrszeichen zu entwerfen.

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