© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Revolte in Frankreich
Der „Mai 1968“ von rechts
Dieter Stein

Die Bilder aus Frankreich bewegen. Zum dritten Mal innerhalb von vier Monaten versammelten sich in Paris Hunderttausende Bürger, um gegen die Politik des linken Präsidenten Hollande zu demonstrieren. Eine Million Teilnehmer zählen die Initiatoren der Protestbewegung „Manif pour tous“ (Demo für alle) am vergangenen Sonntag. Auslöser für die bürgerliche Massenbewegung war Hollandes Projekt der Homo-Ehe, die nun am 18. Mai per Gesetz eingeführt wurde. Es war ein Wahlversprechen der Sozialisten gewesen, die jedoch unterschätzt haben, wie sehr die Aufgabe des traditionellen Familienbildes ans Herz der nationalen Identität rührt.

Wir reiben uns verwundert die Augen, wenn wir das französische Temperament, aber auch die Freude am öffentlichem Protest erleben. Eine Leidenschaft, die in Deutschland Bürgerlichen so fremd ist und die in der Regel nur die Linke für sich gepachtet zu haben glaubt. Die Kreativität bei unseren Nachbarn jenseits des Rheins kennt dabei kaum Grenzen:

So besetzten Studenten der Identitären Bewegung nach Greenpeace-Manier die Balustrade der sozialistischen Parteizentrale und forderten mit einem riesigen Spruchband den Rücktritt Hollandes. Die Marseillaise singende Studentinnen ketteten sich an Absperrgitter und wurden von Gendarmen fortgeschleift. Männliche Aktivisten der Anti-„Femen“-Gruppe „Hommen“ seilten sich mit Transparenten von einer Brücke ab und wurden von der Polizei zu Wasser eingefangen. Der französische Innenminister Manuel Valls hatte die Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen beschworen, um Protestler einzuschüchtern. Am Schluß waren es radikale Randgruppen, die das Bild der friedlichen Demonstration trübten.

Eine bürgerlich-rechte „Génération Manif pour tous“ (Le Figaro) bildete sich in diesen Protesten heraus und durchlebt ihren eigenen „Mai 1968“. Auch wenn die Homo-Ehe irreversibel bleiben sollte, haben sich Gruppen, Strömungen, Parteiungen formiert, die die politische Landschaft in Frankreich umkrempeln und eine neue Öffentlichkeit herstellen, die die Linke aus der Fassung bringen und weit über Frankreich hinaus strahlt.

Schockierend wirkte indes Anfang der vergangenen Woche der öffentliche Selbstmord des rechtsintellektuellen Publizisten Dominique Venner (siehe auch die Seiten 3 und 16). Der 78jährige hatte sich am Nachmittag des 21. Mai in der mit Hunderten Touristen gefüllten Kathedrale Notre-Dame vor dem Altar erschossen. In einer Erklärung hatte er auch auf die Demo gegen die Homo-Ehe verwiesen und hoffte, das „eingeschläferte Bewußtsein der Menschen wachzurütteln“.

Venners Tat ist menschlich erschütternd und verstörend. Sie ist ein beklemmendes Wetterleuchten in einer Zeit politischer Erregung. Beispielhaft ist sie nicht. Sie ist eine einsame Tat, der keine Nachahmer zu wünschen sind.

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