© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Im Fadenkreuz des Terrorismus
Innere Sicherheit: Unter dem Eindruck von Anschlagswarnungen rangeln die Innenminister um Kompetenzen
Christian Schreiber

Und plötzlich war am vergangenen Wochenende die Angst da – oder war doch alles nur Panikmache? Wenige Stunden vor dem Finale in der Champions League zwischen Bayern München und Borussia Dortmund meldeten die Agenturen, der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, habe die Innenminister von Bund und Ländern über Hinweise auf ein möglicherweise in Deutschland geplantes Terrorattentat informiert. Gefährdet, so Deutschlands höchster Kriminalbeamter, seien unter anderem die öffentlichen Veranstaltungen rund um das Endspiel um die europäische Fußballkrone. Bei den mutmaßlichen Tätern handele es sich um Islamisten. Bei den Fanveranstaltungen wie etwa vor dem Brandenburger Tor in Berlin wurden hastig die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Und das, obwohl Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) versuchte, die Brisanz herunterzuspielen. „Deutschland steht seit längerem im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus. Es gibt derzeit keine Hinweise auf Anschlagspläne oder Anschlagsziele in Deutschland“, beteuerte er.

Also alles nur Routine? Die deutschen Sicherheitsexperten sind seit einiger Zeit auffallend nervös. Dies wurde auch am Rande der Innenministerkonferenz deutlich, die in der vergangenen Woche in Hannover tagte. Zeitgleich mit dem Treffen in der niedersächsischen Landeshauptstadt platzte die Nachricht, daß zwischen den geplanten Anschlägen auf Funktionäre der islamkritischen Partei „Pro NRW“ und dem versuchten Bombenattentat auf den Bonner Hauptbahnhof im vergangenen Dezember offenbar ein Zusammenhang besteht. Neue Ermittlungen hätten eindeutige Spuren in das radikale Islamisten-Milieu ergeben. Einer der Verdächtigen im „Fall Bonn“ wurde im März gemeinsam mit drei weiteren Salafisten festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, unter anderem die Ermordung des Pro-NRW-Vorsitzenden Markus Beisicht geplant zu haben.

Die Politik beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Zudem versuchen sich gerade Unions-Innenminister im Vorwahlkampf als Vertreter der „harten Hand“ zu profilieren. Während der Innenministerkonferenz überraschten CSU-Mann Friedrich und der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) mit dem gemeinsamen Vorstoß, „Haßprediger“ auch mit deutschem Paß ausweisen zu können. „Wer religiösen Haß sät, wird eine Ausweisung ernten“, sagte Friedrich der Neuen Osnabrücker Zeitung. Es müsse gesetzlich klargestellt werden, daß „die Gewaltanwendung zur Durchsetzung religiöser Ziele zwingend zu einer Ausweisung“ führe. Rechtlich dürfte das Anliegen der beiden Unionpolitiker kaum durchsetzbar sein.

Allerdings war die Plazierung des Themas geeignet, von einem anderen Punkt abzulenken: Denn in Hannover stellte die Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus ihren Abschlußbericht zur NSU-Mordserie vor. Wer eine nachhaltige Aufarbeitung erwartet hatte, wurde enttäuscht. Im wesentlichen kam das Gremium zu dem Ergebnis, daß ein generelles Systemversagen der deutschen Sicherheitsarchitektur nicht festgestellt werden könne. Eine Abschaffung des Verfassungsschutzes als Konsequenz aus dem NSU-Komplex sei nicht geboten. Minister Friedrich betonte, er teile die Auffassung. Der Verfassungsschutz sei und bleibe in Deutschland eine absolut notwendige Institution. Insgesamt 60 Versäumnisse vor allem bei den Landesämtern für Verfassungsschutz wurden eingeräumt. Als Konsequenz aus diesen Vorfällen will Friedrich nun die Macht der Bundesbehörde gegenüber den Landesämtern stärken. So legte er einen Entwurf zur Neufassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes vor, der dem Bundesamt Einsätze in den Ländern gestattet, auch wenn diese das nicht wollen. Bei den Landesministern stieß dieser Vorschlag auf scharfe Kritik.

Einigkeit herrschte dagegen beim Umgang mit V-Leuten. Die Konferenz verständigte sich darauf, daß keine Extremisten mehr angeworben werden, wenn sie schwere Straftaten begangen haben. Außerdem sollten die Honorare der Behörden für die V-Leute „nicht deren Lebensgrundlage darstellen“, heißt es in einer Mitteilung. Zudem soll künftig auf V-Leute verzichtet werden, die Leitungspositionen in Organisationen innehaben. Während die Medien die Erkenntnisse der Innenpolitiker zu den Themen Verfassungsschutz und Salafismus ausführlich bearbeiteten, verhallte Friedrichs Warnung über eine neue Qualität des Linksextremismus scheinbar ungehört.

Daß durchaus Grund zur Sorge besteht, zeigen Razzien, die in der vergangenen Woche in mehreren deutschen Städten stattfanden. Dabei wurden 21 Wohnungen mutmaßlicher Linksextremisten durchsucht.  Neun Beschuldigte stehen  im Verdacht, Mitglieder einer Nachfolgeorganisation der linksextremistischen Vereinigung „militante gruppe“ zu sein. Die Gruppierung soll im Dezember 2009 mehrere Brand- und Sprengstoffanschläge in Berlin verübt haben.

Foto: Polizisten am Wochenende auf der Berliner Fanmeile: Hastig verschärfte Sicherheitsvorkehrungen

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