© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

„Laß mal was Aufregendes machen“
Krawalle: Schwedens Hauptstadt erlebt die Kehrseite von „Multikulti“
Hinrich Rohbohm

In gemächlichem Tempo ruckelt die Stockholmer Metro stadtauswärts. Weg von der sehenswerten Altstadt und den Geschäftsvierteln, in denen nahezu nichts darauf hindeutet, daß die schwedische Hauptstadt eine Woche lang Schauplatz von Ausländerkrawallen war. Brennende Schulen und Kindergärten, in Flammen stehende Autos und Angriffe auf Polizisten und Feuerwehrleute haben die Stadt in Atem gehalten.

Neun Stationen vom Hauptbahnhof entfernt beginnt eine andere Welt. Es ist die Welt der Einwanderer, der Migranten. Im Lauf der Jahrzehnte sind von ihnen immer mehr nach Skandinavien gekommen. Die hohe Lebensqualität und die ebenso hohen Sozialleistungen in den nordeuropäischen Staaten haben sich längst bis nach Vorderasien und Nordafrika herumgesprochen.

Husby, ein Stadtteil im Nordwesten Stockholms, ist ein Teil dieser anderen Welt. Hier hatten die Unruhen der vergangenen Tage ihren Anfang genommen, als ein 69 Jahre alter Mann von der Polizei erschossen worden war. Ein Mann, der einer von ihnen gewesen war. Einer aus ihrer Welt. Das Gerücht von rassistischen Polizisten machte die Runde. Was die Emotionen jugendlicher Migranten aufheizte.

 Sie warfen Schaufensterscheiben ein, zündeten Autos an, bewarfen Polizisten und Feuerwehrleute mit Steinen. Eine Nacht darauf griffen die Krawalle auf andere Viertel mit hohem Migrantenanteil über. So brannten 24 Stunden später auch die Autos in Rinkeby und Norsborg, loderten Flammen aus einer Schule im Stadtteil Tensta, zündelten Migranten an einer Polizeistation in Älvsjö. Wenige Tage später griffen die Ausländerkrawalle auf andere Städte über, brannten auch in Örebro und Linköping Schulen und Kindergärten.

Eine lange Rolltreppe führt hinauf nach Husby. Raus aus dem U-Bahn-Schacht, mitten hinein in das Leben jener Jugendlicher, die hier noch vor kurzem zündelten und Steine schleuderten. Keine zwei Schritte hinter dem Ausgang der Metrostation bohren sich bereits die stechenden Blicke der Herumstehenden in jeden fremden Neuankömmling, der aus dem Tunnel unterhalb des Problemviertels heraus ans Tageslicht kommt und einen kleinen, von Kebabläden, Handy-Shops und Gemüseläden umschlossenen Platz betritt.

Ein Schauer des an diesem Tag nicht enden wollenden Sprühregens begrüßt ihn an der Oberfläche. Frauen in Burka kreuzen den Weg. Unter dem schützenden Dach eines Supermarkts steht eine Gruppe dunkelhäutiger Männer. Beim Vorbeigehen unterbrechen sie ihre in einer fremden Sprache geführte Unterhaltung. Bedrückende Stille. Gut vier Sekunden lang. Fünf. Sechs. Stechende Blicke, die einen wie Machetenhiebe treffen, ehe die Gruppe passiert ist und das Stimmengemurmel wieder einsetzt.

Vor einer Bibliothek stehen weitere junge Migranten. Sieben Leute. Sie mögen zwischen 20 und 30 Jahre alt sein. Die meisten Scheiben der Bibliothek sind zerbrochen. Wieder dieser mißtrauische Gesichtsausdruck, wieder erstirbt das Stimmengemurmel in unmerklichem Flüstern.

Ein Foto von den eingeschlagenen Fenstern läßt die Stimmen der Männer laut werden. Der Tonfall wird aggressiv, die arabisch klingende Sprache bleibt fremd. Doch auch so wird deutlich: Fotos zu machen ist nicht gern gesehen.

„Viele hier haben ein Problem mit der Polizei und werden bei Fotos mißtrauisch“, erklärt Siham, eine 25 Jahre alte in einen schwarzen Rock und ein schwarzes Oberteil gekleidete Marokkanerin, die im Nachbarort Akalla wohnt. Sie trägt eine dezente goldfarbene Kette, an der ein goldfarbener Buchstabe „K“ hängt. „Der Anfangsbuchstabe des Namens meines Freundes“, erzählt sie freimütig in fließendem Englisch.

Siham lebt seit sieben Jahren in Schweden und ist das, was allgemein als gut integriert bezeichnet wird. Daß jemand gutes Englisch spricht, ist eine absolute Ausnahme in diesem Viertel. Selbst mit den wenigen verbliebenen, zumeist in Hartz-IV-ähnlichen Verhältnissen lebenden autochthonen Einwohnern Husbys ist eine Verständigung schwierig.

„Aber ich spreche auch fließend Schwedisch“, betont Siham nicht ohne Stolz. Im Gegensatz zur Mehrheit ihrer Landsleute geht sie einer geregelten Arbeit nach, betreibt auf einem Wochenmarkt einen Verkaufsstand für Fisch.

Von den Schüssen der Polizei auf den 69 Jahre alten Mann hat auch sie gehört. Es ist noch immer das Hauptgesprächsthema im Ort. Der Vorfall habe sich jedoch anders zugetragen, als in den Medien dargestellt, gibt sie Schilderungen von Nachbarn des Erschossenen wieder. Demnach habe der Mann, dessen Nationalität sie nicht kenne, seine Frau mit einem Messer bedroht. Eine Machete, von der in den Medien die Rede war, sei es nicht gewesen.

Offensichtlich haben die herbeigerufenen Polizisten die Tatwaffe als so gefährlich eingeschätzt, daß sie schließlich auf den Mann feuerten. Die Situation sei in dem Moment eskaliert, in dem der Mann mit dem Messer auf seine Frau losgegangen sei. Die Polizisten hätten aus Nothilfe gehandelt. „Sie hatten ihm zwar nur in den Oberschenkel geschossen, aber er ist trotzdem gestorben“, gibt Siham die Erzählungen aus der Nachbarschaft wieder.

Doch nicht wenige Migranten in Husby würden das Vorgehen der Beamten als rassistisch motiviert einschätzen. Angeblich sollen beleidigende Worte in Richtung des Erschossenen gefallen sein. Was wiederum Jugendbanden von Husby auf den Plan rief. „Die haben die Autos nur deshalb angezündet, um die Polizei herzulocken“, erklärt Siham die Taktik der Jugendlichen. Erscheint sie am Tatort, werden sie von den jungen Migranten gezielt mit Steinen beschmissen.

„Wir haben von unserer Wohnung aus den stark stechenden Rauch riechen können, der von den brennenden Autos herüberzog“, erinnert sich die 25jährige.  Auch die Geschäfte, in denen die Jugendbanden die Scheiben eingeschmissen hatten, seien ebensowenig um ihrer selbst willen Ziel der Attacken gewesen.

„Für die Eigentümer der Autos ist das sehr hart, weil sich hier viele eine ausreichende Versicherung für ihren Wagen nicht leisten können“, verdeutlicht Siham, daß bei weitem nicht alle Migranten die Krawalle gutheißen würden und teilweise selbst zu Opfern wurden.

Die Jugendorganisation Megafonen hatte für eine Deeskalation gesorgt, indem sie in Husby eine große Videoleinwand aufgebaut hatte, um das Champions-League-Finale zu zeigen. Mit Erfolg. Die Krawalle waren am Samstag in Husby schlagartig abgeflaut.

„Die Jugendlichen hängen einfach nur ab, so sind sie es aus ihren Heimatländern gewohnt“, ist Siham überzeugt. Mit der Arbeitsmoral in Europa würden sie nicht klarkommen. Die junge Marokkanerin ist sich sicher: „Wenn jemand käme und denen tatsächlich einen guten Job anböte, würden sie ihn ablehnen.“

Die Jugendlichen hätten sich im Wohlfahrtsstaat eingerichtet, würden lange schlafen und sich schließlich mit ihrer Clique treffen. „Dann sagt irgendwann einer von ihnen: ‘Laß mal was Aufregendes machen.’ Und dann passiert wieder irgend so ein Blödsinn.“ In der Regel nachts oder in den Abendstunden.

Tatsächlich zeigt sich Husby am Morgen von einer anderen Seite. Von den Jugendgangs ist dann nichts zu sehen. Frauen mit Kopftüchern schieben ihre Kinder spazieren. Alte Männer sitzen auf Bänken, genießen nach dem regenreichen Vortag die nun wärmenden Sonnenstrahlen. Es ist die Zeit der Rechtschaffenen, die sich auf dem Weg zur Arbeit befinden oder im Supermarkt einkaufen. Die Jugendbanden werden erst am Nachmittag wieder auf der Bildfläche erscheinen.

In der südwestlich von Stockholm gelegenen Stadt Södertälje hingegen sei es weitaus schlimmer, meint Siham. „Dort existiert eine Jugendmafia, die von neuen ausländischen Zuzüglern Schutzgeld kassiert.“ Wer nicht zahle, müsse mit Ärger rechnen. „Da die Leute neu im Ort sind, lassen sie sich das zunächst gefallen. Später ziehen sie weg und kommen nach Husby oder Rinkeby“, schildert Siham die Situation in einem anderen Ort.

In Norrmalm, einem gutbürgerlichen Stadtbezirk im Zentrum Stockholms bewertet man die Krawalle unterschiedlich. „Die werden ja auch mit ihren Problemen allein gelassen“, entrüstet sich eine etwa 40 Jahre alte Stockholmer Lehrerin. „Das passiert doch nur, weil wir immer nur beschwichtigen und die Taten oftmals ungesühnt bleiben“, redet sich hingegen ein stämmiger, gut zehn Jahre jüngerer Bauingenieur in Rage.

„Wenn wir immer mehr Einwanderer bekommen, ist es nur logisch, daß die Regierung die Sozialleistungen kürzen muß. Und das führt dann zu weiteren Problemen“, meint ein junger Familienvater. „Daß es inzwischen Leute gibt, die Patrouillenfahrten durchführen, um Migranten an Straftaten zu hindern, kann ich absolut nachvollziehen. Mag sein, daß da auch Rechtsradikale dabei sind, wie man es in unseren Medien hört.“ Aber: „Wenn in meiner Nachbarschaft Leute anfangen, Autos abzubrennen, können Sie sicher sein, daß ich auch mit auf Patrouillenfahrt gehe.“

 

Stockholm brennt

Die schwedische Politik hat zurückhaltend auf die Unruhen in Stockholm und anderen Städten reagiert. Der konservative Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt bezeichnete die Krawalle als „Rowdytum“. Gleichzeitig betonte er jedoch, Schweden sei ein Land, das stolz darauf sein könne, „große Gruppen von Menschen aus anderen Staaten“ aufgenommen zu haben. Er kündigte ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Integration an. Die schwedische Polizei konnte seit Beginn der Randale am 19. Mai im Stockholmer Bezirk Husby etwa 60 Personen festnehmen. Die Unruhen hatten sich in der vergangenen Woche auch auf weitere Stadtteile ausgebreitet. Dutzende Polizisten waren durch Stein- und Böllerwürfe verletzt worden. Auch aus Malmö, Göteborg und Uppsala wurden am Wochenende Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Zuwanderern und der Polizei gemeldet.

Foto: Zerborstenes Glas als Folge der Randale: Fotos zu machen wird nicht gern gesehen

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