© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  23/13 / 31. Mai 2013

Ein Mann der Rechten
Bewahrung der europäischen Identität: Ein Nachruf auf den französischen Historiker und Publizisten Dominique Venner
Karlheinz Weissmann

Am 21. Mai hat sich der französische Historiker und Essayist Dominique Venner vor dem Hochaltar der Kirche Notre Dame in Paris erschossen. Ohne Zweifel hätten die meisten Kommentare zu seinem Freitod, das beredte Schweigen oder die Verhöhnung durch die Femen-Aktivistin am folgenden Tag Venner bestärkt in seiner Grundüberzeugung. In seiner Überzeugung, daß unsere Dekadenz unaufhaltsam fortschreitet und der letzte Mensch seine Herrschaft angetreten hat. Das war eine von Nietzsche geprägte Sicht der Dinge, und tatsächlich war der Nietzscheanismus eine Art roter Faden, der das Leben Venners durchzog, seine Überzeugungen prägte und seine Entscheidungen beeinflußte.

Deutlich trat das schon hervor bei seinem Entschluß als ganz junger Mann, den bürgerlichen Lebensweg zu verlassen, Soldat zu werden und sich freiwillig für den Kampfeinsatz in Algerien zu melden. Und der Abschied vom Militär bedeutete keineswegs die Rückkehr in eine von Sekurität und Ruhe bestimmte Existenz. Ganz im Gegenteil, für die folgenden zehn Jahre verschrieb Venner sich dem Aktivismus mit seltener Konsequenz, trat einer vollkommen marginalen politischen Bewegung – der Gruppe Jeune Nation – bei, stieg rasch in deren Führung auf, wo man keinen Gedanken auf die Analyse der Lage oder weltanschauliche Fragen verschwendete, weil die Verteidigung des Vaterlandes und seines „Reiches“ genauso selbstverständlich war wie die Feindbestimmung: Der Feind, das waren die Kommunisten, die das Abendland bedrohten und in Frankreich die Sache des algerischen Unabhängigkeitskampfes unterstützten.

Diese Art von Einsatz hatte ihren Preis: Erste Bekanntschaft mit dem Gefängnis macht Venner, nachdem er am Sturm auf die Zentrale der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) in Paris teilgenommen hatte. Trotzdem wird man sagen müssen, daß er sich in den fünfziger Jahren durchaus noch im Rahmen der Normalität politischer Auseinandersetzungen des französischen Nachkriegs bewegte. Eine Sonderstellung hatte er allerdings wegen seines Interesses am Leninismus als Strategie der Machteroberung, der ausgeprägten Amerikagegnerschaft – die man sonst nur auf seiten der Linken fand –, und dem blanken Haß auf das „Regime“, das heißt die Vierte Republik und deren korrupten Parlamentarismus.

Die Schärfe des inneren Konflikts in Frankreich ist heute nur noch schwer vorstellbar. Oft schien das Land am Rand eines Bürgerkriegs zu stehen. Die Vorstellungen von einem Staatsstreich, die man im Umfeld von Jeune Nation entwickelte, erschienen keineswegs utopisch – vorausgesetzt man fand jenen General, der bereit war, den entscheidenden Schlag zu führen.

Aber es sollte sich zeigen, daß der einzige Militär, der das Format besaß, die Vierte Republik zu erledigen und die Fünfte an ihre Stelle zu setzen, kein Freund der Nationalisten war. Ganz im Gegenteil: de Gaulle bekämpfte die radikale Rechte wie die radikale Linke, erstere vielleicht sogar noch entschlossener, machte die Hoffnung auf eine Verteidigung der nordafrikanischen Gebiete zunichte, unterdrückte einen Putschversuch mit aller Härte, Verbot die nationalistischen Gruppen und ließ ihre Führer festsetzen.

Wie für viele Revolutionäre war auch für Venner das Gefängnis eine Art Ersatzhochschule. Und seine Entwicklung während der ersten Phase der Haft entsprach ganz den Erwartungen, die man in einen Mann setzen mußte, der in der Endphase des Algerienkriegs zu den Köpfen der Untergrundbewegung OAS gehört hatte und keine Bereitschaft zeigte, seiner Sache abzuschwören. Im Gefängnis arbeitete Venner unbeeindruckt von allen Fehlschlägen am Plan für einen Umsturz. Erst der Tod seines Freundes Michel Leroy, der einer Femeaktion der OAS zum Opfer fiel, gab den Anstoß für ein Umdenken.

Venner verfaßte einen Text mit dem Titel „Pour une critique positive du nationalisme“ – „Für eine positive Kritik des Nationalismus“. Man würde den Inhalt des schmalen Heftchens allerdings mißverstehen, sähe man darin eine Abkehr vom Grundsatz der Militanz. Nur wandte sich Venner jetzt entschieden gegen den „Revolutionarismus“ der eigenen Seite, die ohne klares Konzept die Führung beanspruchte, die Gefolgschaft erwartete, obwohl sie nichts anderes als Katastrophenpolitik anzubieten hatte, und außerstande war, eine Alternative zur bestehenden Ordnung zu formulieren.

„Keine Revolution ohne Doktrin“ war ein Schlüsselsatz in einem zweiten Text Venners, den er noch in der Haft formulierte und in der Nummer 5 seiner neuen Zeitschrift Europe-Action veröffentlichte. Darin umriß er die Notwendigkeit, eine andere Art von Bewegung – im Grunde: eine andere Art von politischem Stil – zu schaffen, der sich von der Vergangenheitsfixierung der alten Rechten und dem klassischen Patriotismus gleichermaßen fernhielt: ein „europäischer Nationalismus“, antiliberal, antikapitalistisch, antikommunistisch, avantgardistisch und zurückgreifend auf das antike, das heißt: heidnische, Erbe, unter Verwerfung des Christentums und aller seiner „Bastarde“, des Egalitarismus, des Individualismus, des Kosmopolitismus.

Venner brach jetzt mit seinen Kampfgefährten von Jeune Nation, die die Auseinandersetzung auf der Straße gegen die erstarkende Linke fortsetzen wollten, und er erteilte jenem Flügel der bürgerlichen Rechten eine Absage, der war, wie er immer war: „konfus, inkonsequent, oft mythoman, konservativ oder befangen in apokalyptischen Träumereien“.

So mitreißend vieles von dem wirkte, was da programmatisch formuliert wurde, zeigten sich doch rasch die Grenzen des Konzepts: Trotz der Vehemenz seiner Kritik an den „Nationalen“ unterstützt Venner Tixier-Vignancour, den Kandidaten der populären Rechten, womit er genauso scheiterte wie mit dem Versuch einer eigenen Parteiformation, die den bezeichnenden Namen Mouvement Nationaliste du Progrès (MNP) trug: „Nationalistische Fortschrittsbewegung“.

Venner mußte einsehen, daß der Einfluß von Europe-Action auf die Oberschüler und Studenten nicht genügte, um eine schlagkräftige Organisation aufzubauen. Unter seinen Mitarbeitern ragte der junge Alain de Benoist (siehe Interview auf Seite 3 dieser Ausgabe) hervor, der aber rasch eigene Vorstellungen entwickelte, die nicht immer mit denen Venners übereinstimmten.

Nach dem Scheitern des MNP geriet Europe-Action in finanzielle Schwierigkeiten, was Venner im Sommer 1967 den Entschluß erleichterte, die Zeitschrift und das angeschlossene Verlagshaus zu liquidieren. Wenn er betonte, daß er sich damals aus der aktiven Politik zurückgezogen habe, wird man doch hervorheben müssen, daß er den Projekten der „Neuen Rechten“ – die in vielem von Europe-Action vorgeformt waren – immer verbunden blieb und aus der Tatsache nie einen Hehl machte, ein „homme de droite“, ein „Mann der Rechten“, zu sein.

Allerdings konzentrierte er seine Tätigkeit in den kommenden Jahrzehnten auf Arbeitsfelder, die der Metapolitik zuzuordnen waren. Und auch ein Venner feindlich gesonnener Kommentator mußte feststellen, daß man dessen „Arbeit als Historiker den Respekt nicht versagen“ (Jürg Altwegg) könne.

Tatsächlich hat Venner fast dreißig Bücher zu Fragen der Jagd, zur Waffen-, Militär- und Zeitgeschichte veröffentlicht, außerdem publizierte er Essays, in denen er Struktur, Gesetz und Sinn der Geschichte reflektierte. Obwohl seine Arbeiten außerhalb des akademischen Betriebs standen, erhielt er 1981 den Prix Broquette-Gonin d’ histoire der Académie française für seine Geschichte der Roten Armee; eine breitere Diskussion löst noch einmal 2005 das Erscheinen seines Buches „Histoire critique de la Résistance“ aus, da in ihm der Anteil der politischen Rechten am Widerstand während des Zweiten Weltkriegs hervorgehoben wurde.

Daß die Beschäftigung mit der Vergangenheit für Venner kein Selbstzweck war, konnte man noch deutlicher als an den Büchern an seinen beiden Zeitschriftenprojekten erkennen: Enquête sur l’ histoire (1991–1998) und Nouvelle Revue d’ Histoire (ab 2002). Hier wurde auch das zentrale Interesse Venners erkennbar, die Entstehung und Entfaltung der europäischen Identität nachzuzeichnen und hervorzuheben. Daß er als deren Kern ein selbstbewußtes und faustisches, auf Vernunft und Ehrgefühl beruhendes Menschentum betrachtete, lag angesichts seiner weltanschaulichen Prägung nahe, so wie sich aus diesem Zusammenhang auch seine Überzeugung erklärte, daß die Blüte Europas den Fähigkeiten dynamischer Eliten, nicht anonymen Massen zu verdanken war.

In dieser Überzeugung von der Notwendigkeit des aristokratischen Prinzips kam wieder der erwähnte nietzscheanische Zug seines Denkens zum Tragen, und man wird darin auch das entscheidende Motiv seines Freitods sehen müssen.

Ganz gleich, ob man als Vorbild seiner Tat Seneca oder Montherlant nennt oder seine Verehrer ihn „den Samurai des Abendlandes“ nennen, ausschlaggebend ist, daß Venner seine Tat als „Opfer“ begriff, um den Zerfall Europas aufzuhalten. Man muß dieser Deutung nicht folgen, aber sie paßt doch ohne Fuge in sein Selbstbild.

Die Überzeugung, daß nur eine große Gabe eine größere Gegengabe erwirken kann, ist uralt. Die Römer kannten den Mythos von Marcus Curtius, jenem Patrizier, der sich in voller Rüstung in einen Abgrund stürzte, der mitten in ihrer Stadt klaffte und sich erst wieder schließen sollte, wenn man geopfert hatte, wovon die Existenz Roms abhing; und Marcus Curtius tat, was er tat, weil er glaubte, daß das die virtus – die Tugend der Tapferkeit – eines Mannes sei.

 

Vita: D. Venner (1935–2013)

1935

Dominique Venner wird am 16. April in Paris als Sohn eines Architekten geboren. Sein Vater schließt sich dem Parti Populaire Français Jacques Doriots und später der Kollaboration an. Venner durchläuft eine bürgerliche Ausbildung, deren letzte Station die Ecole supérieure des art modernes ist.

 

1952

Aus „Überdruß an Familie und Schule“ meldet sich Venner mit siebzehn Jahren als Freiwilliger für den Algerienkrieg. Er dient als Unteroffizier in einem Jägerbataillon und nimmt an der Partisanenbekämpfung teil.

 

1955

Am 11. November gründet Pierre Sido die Bewegung „Jeune Nation“ (JN), der sich Venner nach seiner Rückkehr aus Algerien im Oktober 1956 anschließt. Die JN bildet die Speerspitze einer radikalen nationalistischen Bewegung, deren ideologisches Ziel sich aber in der Verteidigung des Kolonialreichs als Ausdruck französischer Größe erschöpft.

 

1957

Aus Enttäuschung über die Tatenlosigkeit der USA im Fall des Ungarnaufstands initiiert Venner vor der US-Botschaft in Paris eine Kampagne zum Abzug der Vereinigten Staaten aus Europa, die in der antikommunistischen Rechten großes Aufsehen erregt. Venner wird mehrfach festgenommen wegen Beteiligung an gewalttätigen Aktionen. Er erklärt die Schriften Lenins zu seiner bevorzugten Lektüre und verlangt den Aufbau einer nationalistischen Kaderpartei nach bolschewistischem Muster.

 

1959

Mit der Gründung des Parti Nationaliste kommt zu einem entsprechenden Versuch, der aber im Strudel der Algerienkrise scheitert. Venner schließt sich der OAS – Organisation Armée Secrète an, die die Aufgabe Französisch-Algeriens auch mit Gewalt verhindern will.

 

1961

Nach dem gescheiterten Militärputsch in Algerien wird Venner wegen Unterstützung der OAS verhaftet. Im Gefängnis schreibt er eine geheime Abhandlung über die Möglichkeiten des Staatsstreichs.

 

1962

Der Fememord an seinem Freund Michel Leroy durch die OAS führt bei Venner zu einer grundsätzlichen Korrektur seiner Anschauungen. Er verfaßt eine Broschüre, in der er den „Revolutionarismus“ verwirft und die Notwendigkeit des Kampfes um die Kultur, genauer: die intellektuelle, von der Linken beanspruchte, Deutungshoheit, betont.

 

1963

Venner gründet die Zeitschrift Europe Action. Sie folgt einer Linie, die gleich weit entfernt ist von den Vorstellungen der katholischen und royalistischen Rechten wie vom Nationalismus Sidos. Ihr „europäischer Nationalismus“ bekennt sich zum antiken und heidnischen Erbe. Zu Venners wichtigsten Mitarbeitern gehört der junge Alain de Benoist.

 

1966

Venner und Benoist unterstützen den Mouvement National du Progrès, der aber erfolglos bleibt. Sie resignieren vor der Möglichkeit, politischen Einfluß durch Wahlen zu gewinnen, kehren aber auch nicht in die Reihen der Aktivisten zurück, die den Kampf um die Straße gegen die „gauchistes“ führen wollen, die im Vorfeld des Pariser Mai erstarken.

 

1967

Venner und Benoist trennen sich. Benoist bereitet die erste Nummer von Nouvelle Ecole vor und konzentriert seine Energie auf die Organisation einer „Neuen Schule“. Venner versucht ähnliches mit einem Institut d‘ études occidentales (IEO) und der Zeitschrift Cité-Liberté.

 

1971

Venner muß das Scheitern des Projekts IEO einsehen und zieht sich aus der politischen Arbeit im engeren Sinn zurück. Er beginnt mit der Veröffentlichung von Büchern zur Waffen-, Militär- und Zeitgeschichte, außerdem publiziert er Essays, in denen er Struktur, Gesetz und Sinn der Geschichte reflektiert.

 

1981

Obwohl Venners Arbeiten zwar Publikationserfolge sind, aber im akademischen Diskurs unbeachtet bleiben, erhält er den Prix Broquette-Gonin d‘ histoire der Académie française für seine Geschichte der Roten Armee.

 

1992

Venner ruft die Zeitschrift Enquête sur l‘ histoire ins Leben, die erste Ausgabe befaßt sich mit der „französischen Identität“.

 

1995

Eine breitere Diskussion löst noch einmal das Erscheinen seines Buches „Histoire critique de la Résistance“ aus, da in ihm der Anteil der politischen Rechten am Widerstand während des Zweiten Weltkriegs hervorgehoben wird.

 

2002

Nach dem Ende der Enquête sur l‘ histoire gründet Venner die alle zwei Monate erscheinende Nouvelle Revue d‘ Histoire, die sich aus nonkonformistischer Sicht mit geschichtlichen Themen beschäftigt und zu seinem bevorzugten Publikationsforum wird.

 

2013

Venner beendet sein Leben am 21. Mai, indem er sich vor dem Hochaltar der Kirche Notre-Dame in Paris erschießt. Er will seine Tat als Fanal verstanden wissen, um Franzosen und Europäer aufzurütteln, die vor den Gefahren der Islamisierung und der Zerstörung der Familie die Augen verschließen.

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