© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Proteste in der Türkei
Gegen den Sultan
Günther Deschner

Die Demonstrationen gegen den türkischen Premier Recep Erdogan, die vor einer Woche begannen und sich rasch ausbreiteten, sind zweifellos mehr als ein Kratzer am Bild des erfolgreichen, bisweilen größenwahnsinnigen Politikers, der sein Land zur Großmacht erheben will, der es gern hört, wenn man ihn „Sultan“ nennt. Eine erste Niederlage sind sie auf jeden Fall. Ähnlichkeiten zu den „Arabellionen“ sind unübersehbar: Dazu gehören Handys und soziale Netzwerke als Mobilisierungsmedien sowie die Bilder des unsensiblen Vorgehens der Polizei ebenso wie Erdogans erste Reaktion: Wie Mubarak und Assad behauptete auch er, „ausländische Agitatoren“ seien die Drahtzieher.

Doch vorläufig bleiben Unterschiede. Erdogan ist ein durch echte Wahlen bestätigter Mehrheitspolitiker, kein General, der seine Macht einem Militärputsch verdankt. Die Türkei besitzt die Erfahrung von Jahrzehnten parlamentarischer Politik – unvollkommen, gewiß, wie jede Demokratie – aber eben doch ein solider Sockel von demokratischen Vorstellungen, über die arabische Staaten kaum verfügen.

In Sicherheit wiegen kann sich Erdogan aber nicht. Wenn nicht bloß – wie am Taksim – ein Mix aus mittelständischer Jugend und gesitteten Bürgern auf die Straße geht, sondern auch die organisierte Arbeiterschaft, dann ist der Weg zu einer „Turkobellion“ offen. Die politische Situation dafür ist da.

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