© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Ordnungsstrafen erhitzen die Gemüter
Belgien: Die Verschärfung des Sanktionsrechts führt zu Willkür, versetzt Jugendliche in Rage und füllt die Stadtsäckel
Mina Buts

Weil er es gewagt hatte, sein Schulbrot auf den Treppen einer Kirche in der flämischen Stadt Mechelen zu verspeisen, wurde ein 17jähriger Schüler zu 100 Euro Geldstrafe verdonnert. Momentan warten 308 Antwerpener ebenfalls auf eine Rechnung von der Stadt – sie hatten übersehen, daß der 1. Mai ein Feiertag ist und ihre Mülltonnen zu früh herausgestellt. Bis zu 250 Euro sind dafür fällig. Möglich sind alle diese Strafen durch das „Gemeindliche Administrative Sanktionsrecht“ (GAS). Illegales Müllabladen, Schmierereien oder auch „Wildpinkeln“ sollen damit verhindert werden.

Jede Gemeinde darf selbst entscheiden, was sie sanktioniert: Verkleiden außerhalb der Karnevalszeit, das Sitzen auf den Rückenlehnen öffentlicher Bänke, offenes Feuer in der Wohnung, Erschrecken der Bürger, Wahrsagerei, Krach und Lärm jeder Art oder auch ein „Klingelstreich“.

Für Entrüstung unter Jugendlichen hat die vergangene Woche vom belgischen Parlament beschlossene Erhöhung der GAS-Strafen auf bis zu 350 Euro bei gleichzeitiger Senkung des Strafmündigkeitsalters von 16 auf 14 Jahre gesorgt. Die Senkung auf 12 Jahre ist ebenfalls schon angedacht. Jugendverbände kritisieren, daß aus Angst vor Strafe jegliche Spontaneität verlorengehe. Das Jugendpresseorgan StampMedia sieht in den städtischen Kontrolleuren gar eine neuerliche „GAStapo“ heraufziehen.

Rechtsmittel gegen die Strafen sind nicht vorgesehen, Widerspruch meist teurer als die Strafe selbst. Als in Gent bei einer gewalttätigen Demonstration 95 linke Demonstranten aufgegriffen und zu einer GAS-Strafe verurteilt worden waren, nahm der sozialistische Bürgermeister der Stadt persönlich alle Bescheide zurück. Aktivisten für die flämische Unabhängigkeit hingegen können in aller Regel nicht auf diese Gnade hoffen – wer gegen den König demonstriert, muß schon mal 150 Euro zahlen, wer einen Sticker klebt bis zu 350.

Mit dem GAS-System gelingt es dem belgischen Staat, die gravierenden Mängel im Justizsystem weiterhin zu kaschieren. „Die Politik muß das Signal geben, daß Kinder nicht inden öffentlichen Raum gehören, sondern nach Hause“, so der belgische Jugend-und Bildungsminister Pascal Smet von den Sozialisten zur GAS-Neuordnung.

Einen lukrativen Nebeneffekt gibt es darüber hinaus. Gerade erst hat der rechtsliberale Antwerpener Bürgermeister Bart de Wever (N-VA) die erwarteten Einnahmen der Stadt aus den Bußgeldern für dieses Jahr um 200.000 auf nunmehr 1,25 Millionen nach oben korrigiert.

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