© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Der Orden mordlustiger Frauen
Belletristik: Swen Ennullats Thriller „Alpendohle“ führt auf einer abenteuerlichen Tour zu den Kultplätzen des okkulten Deutschland
Ellen Kositza

Ob sich noch jemand an „Die Schwarze Sonne von Tashi Lhunpo“ erinnert? In den 1990er Jahren avancierte dieser mehrfach aufgelegte, unter Pseudonym veröffentlichte Roman zum Kultbuch einer Szene, die man „neoheidnisch“ nennen mag. Ein okkulter Schmöker, der aus einer Verschwörungstheorie eine bizarre Geschichte machte. In deren Zentrum standen neben dem Kampf zweier geheimer Weltmächte sowohl Heinrich Himmlers Wewelsburg (bei Paderborn) mit der in den Boden eingelassenen „Schwarzen Sonne“, einem aus zwölf Sigrunen gefügten Rad, als auch die mythenumwobene Heilige Lanze, die in der Wiener Hofburg ausgestellt ist.

Swen Ennullats literarisches Debüt „Alpendohle“ erinnert in vielfacher Hinsicht an jenen älteren Thriller. Die am wenigsten schmeichelhafte Parallele: Berufene Literaten sind beide Autoren nicht. Ennulat schreibt hölzern, seine Figuren agieren klischeehaft, gerade sogenannte Actionszenen („zweimal hintereinander k.o. zu gehen, war eine völlig neue Erfahrung für Torben“) wirken abgeschmackt, lange Sachtexte werden als Referate eines Gelehrten verkleidet („der Professor kannte anscheinend keine kurzen Antworten auf einfache Fragen“), und was im Rahmen der engeren Handlungskonstruktion nicht paßt, wird kurzerhand passend gemacht.

Einige dieser Mankos erstaunen deshalb, weil der Verlag an zahlreichen Stellen reparierend hätte eingreifen können, indem ein Lektor etwa die dutzendfach genutzte Überleitung „wie dem auch sei …“ umschifft hätte, die Anredepronomen kleingehalten oder für weniger „große Fragezeichen“, die in erstaunten Augen „aufleuchten“ gesorgt hätte. Wie dem auch sei: Dieser Roman sieht sich in einem Genre, in dem Schreibstil, brillante Milieuschilderungen und andere Subtilitäten keine Hauptrolle spielen.

Das Thrillerpublikum sucht eine packende Handlung, Spannung, Sensation. Ennullat, Jahrgang 1976 und ehemaliger Staatsschützer, dient reichlich mit diesen Ingredienzen. Torsten Trebesius, der „einen recht guten Ruf als Reisejournalist genießt“, stößt im Nachlaß seines Großvaters auf eine Ausgabe von „Mein Kampf“. Hitler hat „mit leicht krakeliger Handschrift, die jeden Grafologen sofort zu diversen Deutungen verleitet hätte“, eine persönliche Widmung hineingeschrieben, datiert auf den 30.4.1945: „Die Zukunft des Großdeutschen Reiches liegt in Ihren Händen!“

Was sollte Torbens Großvater mit Hitler zu tun gehabt haben? Torbens Mutter weiß es nicht, ahnt aber, daß ein alter Freund ihres Vaters weiterhelfen könnte. Ob der noch lebt?

Konrad Reiher lebt (aber nicht mehr lange), er kann helfen und verrät Torben ein Geheimnis: Sowohl er als auch Torbens Großvater seien als einfache Soldaten am Tag vor Hitlers Ende in den Führerbunker beordert worden. Vom Großvater weiß er nur, daß der den Bunker in Begleitung eines schmalen, parfümierten Mannes verließ, Reiher selbst hatte den Auftrag, ein Päckchen im Schloß Dammsmühle in Wandlitz abzugeben.

Fortan wird Torben dem mysteriösen Inhalt des Päckchens hinterherspüren. Ihm sekundiert ein umstrittener Professor mit Forschungsschwerpunkt Nationalsozialismus. Der Zufall will, daß Professor Meinert gerade seinen Lehrstuhl aufgeben mußte und somit reichlich Zeit hat.

Im weiteren Verlauf der Handlung geht es ein wenig zu wie bei den „Drei Fragezeichen“. Symbolträchtige „Hinweise“ werden aufgespürt, die wiederum Fährten legen zu weiteren Spuren: eine abenteuerliche Tour zu den Kultplätzen des okkulten Deutschland. Ennullat kennt die jeweiligen örtlichen Gegebenheit detailliert. Das ist einigermaßen bestechend, auch die ausholenden historischen Exkurse (zum Holocaustmahnmal, zur SS-Forschungseinrichtung Ahnenerbe, zu den Beginen, zur Rolandsfigur, zur Organisation Todt und vielem mehr) des Professors läßt man sich dann doch gern gefallen.

Von den Externsteinen und dem Sachsenhain geht es in den Südharz nach Questenberg. Weil zu Füßen der mächtigen Queste – einer heidnischen Ritualstätte – in ein Höhlensystem getaucht werden muß, beauftragt Torben einen Schulfreund, der als Tauchlehrer arbeitet. Michael ist nun mit Julia zusammen – ausgerechnet mit Torbens Verflossener, die er immer noch liebt. Diese sich neu anbahnende Liebesgeschichte ist der einzige (und etwas papierne) Grund, warum nun im weiteren, sich zuspitzenden Verlauf zu viert „ermittelt“ wird.

Mit dem Aufenthalt in Questenberg erhärtet sich der Verdacht, daß es einen einflußreichen Kreis gibt, dem das Gestöbere unserer Spürhunde mißfällt, und der vor nichts zurückschreckt, um die Suche zu unterbinden. An der Queste ist es ausgerechnet eine Gruppe Neonazis, die das Leben von Torben und seinen Freunden rettet.

Die weitere Fahrt führt die vier über Halle, Posen, Bad Mergentheim (Residenz des deutschen Ordens), die Walhalla, Wien bis nach Altenburg. Die mysteriösen Feinde – eiskalte, machtbesessene Frauen führen die Regie, eine Handvoll Männer dienen als Schergen – haben Torben und seine Gefährten bald in ihrer Gewalt und zwingen sie, die Suche fortzusetzen. Denn beide Gruppen suchen das gleiche: eine geheime Kartei Heinrich Himmlers.

Jene mordlustigen Frauen, so hat es der Professor beizeiten geahnt, sind Mitglieder einer uralten Geheimgesellschaft, die früher als Hexen verfolgt wurden und heute als einflußreiche Unternehmerinnen und Politikerinnen nach der Weltherrschaft streben. Kurz gesagt: So wie jene Frauen stets Männer benutzten, um ihre verborgene Macht zu stützen, so nutzten sie im Dritten Reich auch Himmlers Ahnenfimmel und seine mystische Neigung für ihre eigenen Zwecke. Klingt abstrus? Findet auch Torben, doch die Indizien fügen sich …

Und sie fügen sich im Rahmen dieser Fiktion sehr trefflich. Mit geschickten Kunstgriffen, angefüttert durch verbriefte historische Ereignisse, zieht Swen Ennullat den Leser – der die Stilblüten bald als Amüsementbonus hinnimmt – in seinen Bann. Glatt jucken die Finger, dem einen oder anderen Baustein hinterherzurecherchieren: War König Heinrichs Mathilde wirklich so mächtig? Und Magda Quandt? Und Eva Braun – eine ganz Ausgebuffte?

Unterm Strich: ein extrem unterhaltsames Buch. Was mehr wäre von einem Thriller zu wünschen?

Swen Ennullat: Alpendohle. Thriller. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, broschiert, 424 Seiten, 12,99 Euro

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