© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Liebestod am Badezuber
Deutsche Erstaufführung: Mit der Inszenierung von „Charlotte Corday“ ist das kleine Mittelsächsische Theater Freiberg ein Wagnis eingegangen
Sebastian Hennig

Das Bildnis vom 17. Juli 1793 zeigt ein feines Antlitz mit einem schwärmerischen Zug. Im September des Jahres räsonierte Christoph Martin Wieland in seinem Merkur über die Zulässigkeit der Tat der „Scharlotte Korday“. Die Adlige hatte am Abend des 13. Juli 1793 den Revolutionsführer Jean Paul Marat erstochen. Die Spirale von Terror und Gegenterror, sie beginnt in jenen Jahren in Frankreich, und es setzt sogleich die Rechtfertigungsliteratur dazu ein.

Zu einem großen Musikdrama hat der italienische Komponist und Musikmanager Lorenzo Ferrero die Tat der Corday nicht stilisiert. Das Opernpasticcio, welches er aus dem Stoff gebacken hat, birgt eine Tristan-und-Isolde-Geschichte mit Puccini-Aroma. Das Mittelsächsische Theater versucht sich mit der deutschen Erstaufführung von „Charlotte Corday“. Für ein so kleines Theater stellt das ein größeres Wagnis dar als noch die wildesten Inszenierungen für große Häuser.

Lilia Milek verkörpert Wahn und Leidenschaft der Corday eindrucksvoll. Zum musikalischen Irrlichtern der Ouvertüre funkelt es gefährlich in ihren Augen. Derweil ziehen auf dem Vorhang dahinter allerlei bedrohliche Schattenspiele vorbei. Vor einer schmutziggrauen Trikolore beklagt ein heruntergekommenes Volk: „Unsere Söhne, sie fallen im Kampf.“ Zur Beschwichtigung werden flugs fremde Güter umverteilt. Verdreckte Kinder spielen grausame Revolution unter den wohlgefälligen Blicken derer, die sie zu diesem Spiel inspirierten.

Die schrillen und abgehackten Deklamationen à la Hindemith sind weder sänger- noch hörerfreundlich. Sänger des Ensembles, die wohlklingende Passagen gewöhnlich gut durchstehen, schwimmen zähe gegen den Wind dieser artifiziellen Partitur an. Das wohlwollende Publikum rätselt in der Pause im Programmheft nach dem Sinn des Ganzen. Der Komponist spricht sich über die Bedeutung der Emotion für die Oper aus. Doch die formale Aufgeregtheit bestätigt nicht immer sinnvoll die Handlung. Lorenzo Ferrero war lange Direktor der Arena in Verona und betreute das exklusive Festival in Ravello. Er bekennt: „Ich glaube, daß es ohne Psychologie keine Emotion gibt, und die ist für mich Hauptinhalt einer Oper. Ohne Emotion ist es für mich sinnlos, Musik zu machen.“ Doch das Gestänge der Psychologie sprießt überall dem Korsett seiner konstruierten Emotionalität heraus. Vieles bleibt angestrengt, gewollt und gewaltsam. Das gibt es freilich bei Puccini auch, nur wird es dort in einen ununterbrochen Wohlklang gehüllt, der alles mildert und aussöhnt.

Ferreros Musik bietet eine Mischung zwischen tosenden Effekten und rhythmischem Lärmen; der pumpende Rhythmus soll Dramatik herbeiführen. Dabei kommt immer wieder der hölzerne Text in die Quere. Wie kann ein Satz überzeugend gesungen werden, der lautet: „Es gab viele, die dachten wie ich. Doch dann kam alles anders“? Der Girondist Camille (Christoph Schröter), ein Jugendfreund der Corday, bekundet darin seinen Zweifel und zeichnet die tiefe Resignation an einer Lage, von der ihre Einpeitscher unverhohlen bekennen: „Eine Welt voller Verräter macht zum Schuldigen den, der nicht anklagt.“

Ganoven posieren als Garde eines Terroristen. Marat, der nie um ein Todesurteil verlegen ist, verschont im Angesicht der Corday den Abweichler: „Der ist nicht schuldig, sondern nur nutzlos.“ Sie ihrerseits erstarrt gegenüber Marat und vergißt zunächst den Vorsatz, ihn zu töten. Wie ein Eifersüchtiger steht der Leibwächter Gaston (Guido Kunze) im Hintergrund. Das große Terzett der Unentschlossenheit zum Schluß des zweiten Aktes ist ein Höhepunkt des Stücks.

Eine enteignende, umverteilende Sozialpolitik und neuartiger wilder Prunk bilden das feste Schafott, auf dem jede Diktatur ihre Guillotine sicher installieren kann. Auf burleske Weise drücken die Arbeiter ihre Bekümmernis aus, als sie auf dem Marsfeld den Fahnenflitter für die Revolutionsfeier vom Unwetter verwüstet vorfinden. Ein Betrunkener fühlt sich von dem Spektakel zu hellsichtigen Erwiderungen herausgefordert: „Ihr existiert gar nicht, seid gar nicht da. … Gott liebt nicht die Veränderung. Die alte Ordnung wünscht er sich.“

Die höfische Oper bestand aus Schauspiel mit Gesang, Musik und Ballett. Mit der Verwandlung des politischen Tyrannenmords in eine mystische Liebesgeschichte, wird zugleich dieses Opern-ideal des Ancien régime beschworen. Das Stück siedelt zwischen Operette und Neoklassizismus, ist kunsthandwerklich sauber gearbeitet, doch eine tiefere Berührung durch das zweifellos trächtige Libretto von Giuseppe di Leva stellt sich nicht ein. Das liegt weder an der Inszenierung noch an der Darbietung in Freiberg. Der Abend ist nicht zuletzt eine Lektion in Kulturethnologie. Das Publikum in Deutschland ist eben anders erzogen als in Italien, wo laut Ferrero „Oper mehr als nur Kultur“ ist, „in einem gewissen Sinne Folklore“. Dort muß seine „Charlotte Corday“ dann freilich ganz anders wirken.

Die letzte Vorstellung von„Charlotte Corday“ in dieser Spielzeit am Mittelsächsischen Theater Freiberg, Borngasse 1, findet am 7. Juni statt. Telefon: 0 37 31 / 35 82-0

www.mittelsaechsisches-theater.de

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