© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/13 / 07. Juni 2013

Tänzer zappeln im Treppenhaus
Vorabend einer befürchteten Tetralogie der Langeweile: „Das Rheingold“ an der Oper Leipzig
Sebastian Hennig

Der Vorabend von „Der Ring des Nibelungen“ kann dank seiner durchsichtigen geradlinigen Erzählung und der klangmalerisch beredten Musik auch für Gelegenheitsbesucher eines Opernabends zu einem kurzweiligen Erlebnis werden. Wenn jedoch Aufführung und Inszenierung mißlingen, können zweieinhalb Stunden ohne Pause sich zu einer unabsehbaren Tortur auswachsen. Doch wer hätte letzteres gerade in Leipzig vermutet, zumal das Gewandhausorchester, ein modernes Opernhaus, die Geburtsstadt Wagners und die zeitliche Nähe seines zweihundertsten Geburtstages im Mai dieses Jahres das ganze Gegenteil nahelegen.

Wie liebloser Wille das Unheil heraufführt, davon handelt „Rheingold“. Bar böser Absicht, doch allein mit starkem Willen und großer Attitüde kam eine Aufführung zustande, an der nur wenige tröstliche Einzelleistungen die Aufmerksamkeit zu fesseln vermochten. In erster Linie war das Thomas Mohr, der als Loge sein Debüt in Leipzig gab. Daß gerade die Personifikation der Zwielichtigkeit zum Höhepunkt des Abends wurde, könnte als symptomatisch für die Inszenierung von Rosamunde Gilmore aufgefaßt werden.

Die Londonerin kommt vom Ballett, gründete einst eine eigene Tanz-kompanie, bevor sie sich vom Ruhm der Opernregie verlocken ließ. Ein Dutzend Tänzer verkörpern als unbewußt gebundene Naturwesen heraldisch der Regisseurin mangelndes Vertrauen in die eigenen Einfälle. Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle und Kostümbildnerin Nicola Reichert haben ein zumeist altmodisch-verschnörkeltes Äußeres für die Handlung zubereitet.

Die völlige Unentschiedenheit dieser Inszenierung scheint sich auch den Darstellern und bis in den Orchestergraben mitzuteilen. An keiner Stelle wird die Handlung dramatisch spannend. Einige Effekte sind naturalistisch übertrieben, wie die Jagd im Wasser und der Raub des Goldklumpens, andere ebenso wesentliche Ereignisse bleiben in reizloser Abstraktion befangen. Alberich entwindet sich der gleichen Kellerluke, durch die sich, zu der großartigen Musik der Niederfahrt nach Nibelheim, Loge und Wotan hindurchquetschen müssen und aus der später ebenso glanzlos die versklavten Nibelungen Stiegen mit Gold bergen.

Das Ballett bewegt sich einmal überforciert zur Musik und ein andermal stört es deren Wirkung mit unmotiviertem Gezappel. Leise Stellen der Musik werden hörbar von dem hektischen Getupfe und Getappel der Tänzer begleitet. Auf die erlaubte wie erwünschte Opernhaftigkeit der großen Bühnenfahrten und Wandlungsszenen wurde dagegen ganz verzichtet. Ob Nibelheim oder Walhall, alles spielt in dem gleichen gründerzeitlichen Treppenhaus. Weder Alberichs Verwandlung in Wurm und Kröte noch Erdas mystischem Erscheinen haftet irgend etwas Wunderbares an. Die Rheintöchter haben nichts natürlich Anrührendes. In ihrem glitzernden Dreß und Schnürstiefeln sind sie Zirkusreiterinnen ohne Rösser. Sie dürfen Alberich in einem richtigen Wasserbecken necken. Immer wieder platscht der bäuchlings darein.

Jürgen Linn ist ein imposanter stimmgewaltiger Schwarzalbe. Doch das krawallige und abrupte Gelärme aus dem Graben deckt einige seiner dramatischsten Ausbrüche völlig zu. Sind da eigentlich die Musiker des Gewandhausorchesters zugange? Und sollte Tuomas Pursio wirklich ein geborener Wotan sein, dann steckt er noch in den Windeln. Seine Stimme flattert ohne Gewicht über dem leeren Fundament, welches solchem göttlichen Speerträger gebührte. Der Riesen Anrede „Lichtsohn, leichtgefügter ...“ läßt ironisch darauf beziehen.

1878/79 war in Leipzig die erste szenische Aufführung von Wagners Tetralogie außerhalb Bayreuths zu erleben. Joachim Herz legte knapp hundert Jahre später, 1973 bis 1976, in Leipzig mit seiner Inszenierung die Grundlage für die auf George Bernard Shaw basierende Kapitalismuskritik, die seither viele Darstellungen bestimmt. Den Ruhm dafür erntete allerdings Patrice Chereau 1976 in Bayreuth.

Bis in die Farbabstimmung und die Götterkostüme ist auch der neue Leipziger Ring daran angelehnt. Doch es hätte durchaus einer weiteren Einkehr zu einer unbefangenen Begegnung mit Wagners Vermächtnis bedurft. So hätte man dem, was Fritz Hennenberg in seinem Buch über die Leipziger Oper zu dieser Deutung berichtet, eine zwingende Weiterung für unsere Tage geben können: „Im Ring (...) sieht Herz zum einen die ‘schöne Natur’ repräsentiert, zum anderen die als ‘Schmuck’ umgestaltete, künstlerisch behandelte Natur, zum dritten ein Edelmetall mit dem Charakter des Tauschwerts und schließlich den Universaltauschwert Geld mit allen seinen Folgen bis hin zur Zinsknechtschaft.“

Wenn ein Ring-Zyklus angekündigt ist und schon „Das Rheingold“ so unbeeindruckt entläßt, dann deprimiert der Gedanke an die gewaltigen Ressourcen, die damit verpulvert, die große Chance, die dadurch verschenkt wurde. Das alles geschieht wahrscheinlich mit bestem Willen und Gewissen. Und gerade das ist das Traurigste daran.

Die nächsten „Rheingold“-Vorstellungen in der Oper Leipzig, Augustusplatz 12, finden am 8. und 16. Juni statt. Kartentelefon: 03 41 / 12 61 261

http://oper-leipzig.de

Foto: Stephan Klemm (Fasolt), James Moellenhoff (Fafner), Sandra Trattnigg (Freia), Karin Lovelius (Fricka)

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