© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Karlsruher Kapriolen
Das Verfassungsgericht gibt sich als Nebenregierung, kneift aber, wenn es staatspolitisch zur Sache geht
Michael Paulwitz

Wir werden gut von Karlsruhe regiert“ – wenn ein aggressiver Randgruppen-Lobbyist wie der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Volker Beck, solche Sätze von sich gibt, müßten alle Alarmglocken schrillen. Mit seinem Urteil zur steuerlichen Gleichbehandlung von Ehen und homosexuellen Partnerschaften hat sich das Bundesverfassungsgericht zu einer faktischen Nebenregierung aufgeschwungen, die sich als Vollstreckerin eines progressiven Umbaus von Gesellschaft und Rechtsordnung geriert – und das mit einer Konsequenz und Radikalität, die das sonst eher samtpfötige höchste Gericht in staatspolitisch brisanten Fragen regelmäßig vermissen läßt.

Nach der jüngsten Karlsruher Entscheidung sind gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und die Ehe zwischen Mann und Frau nunmehr – mit der einzigen und letzten Ausnahme des gemeinschaftlichen Adoptionsrechts – de facto vollständig gleichgestellt. Weder die Gesetzeslage noch das Grundgesetz selbst, noch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt diese weitgehende Interpretation zwingend her: Das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 hat ein in Rechten und Pflichten der Ehe nachgebildetes, aber von ihr verschiedenes Rechtsinstitut geschaffen; das Bundesverfassungsgericht selbst hat in seiner Entscheidung von 2002 bestätigt und ausdrücklich festgestellt, daß eben deswegen, weil es sich um „etwas anderes“ handle, die Ehe selbst nicht beschädigt werde.

Das Grundgesetz wiederum stellt die Ehe zwischen Mann und Frau als Vorstufe zur Familie eben deshalb unter besonderen staatlichen Schutz, weil sie – wie das Sondervotum zur Karlsruher Entscheidung unterstreicht – zur Sicherung des Fortbestands des Gemeinwesens beiträgt und „Voraussetzung der Generationenfolge und damit der Zukunftsgerichtetheit von Gesellschaft und Staat“ ist. Homosexuelle Partnerschaften leisten beides nicht; auch deshalb besteht kein zwingender Grund, Ungleiches entsprechend dem staatlichen und gesellschaftlichen Interesse nicht weiter ungleich zu behandeln.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zur Anwendung des Ehegattensplittings auf eingetragene homosexuelle Lebenspartnerschaften nichts Geringeres auf den Weg gebracht als eine kalte Verfassungsänderung am Gesetzgeber und am Souverän vorbei. Indem es den Unterschied zwischen Ehen und Lebenspartnerschaften auf die „sexuelle Orientierung“ reduziert, um das Ungleichbehandlungsverbot anwenden zu können, negiert es den besonderen Charakter der Ehe von Mann und Frau als potentielle Fortpflanzungsgemeinschaft und damit als eine der Voraussetzungen, von denen der „freiheitliche, säkularisierte Staat“ – in den prägnanten Worten des früheren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde – zwar lebt, die er aber selbst nicht garantieren kann. Er kann sie nicht erzwingen, sondern allenfalls schützen und privilegieren. Daß viele Ehen heute nicht mehr auf Nachkommenschaft ausgerichtet sind, wie das Verfassungsgericht relativierend anführt, ist ein ernstes Krisenzeichen, aber gerade kein Argument, der Ehe die Privilegien durch beliebige Ausweitung und Verwässerung zu entziehen und auf diese Weise an den Wurzeln des Gemeinwesens herumzusägen.

In Frankreich, wo Millionen gegen die „Ehe für alle“ auf die Straße gehen, hat man dafür offenkundig ein feineres Gespür als hierzulande, wo die Karlsruher Nebenregierung scheibchenweise und ohne große öffentliche Debatte vollendete Tatsachen schafft. Nicht die Gewährung von Steuervorteilen für homosexuelle Partnerschaften an sich ist es wohlgemerkt, die am Fundament von Ehe und Familie kratzt; diese betreffen schließlich nur eine verschwindend kleine Randgruppe und werden in Volumen und Reichweite bedeutungslos bleiben.

Der Sprengstoff liegt in den Begründungen der Verfassungsrichter: Wo es radikalindividualistisch nur noch um persönliche „Orientierungen“ und die Übernahme von „Verantwortung“ im Hier und Jetzt geht und nicht mehr um Ehe und Familie als Keimzelle und Garant des Gemeinwesens, wird man künftig schwerlich nein sagen können, wenn Mohammedaner Steuerprivilegien für Vielweiberei einfordern oder x-beliebige Individuen sich durch Eingehen einer „Lebenspartnerschaft“ Vorteile verschaffen wollen.

Das Bundesverfassungsgericht beruft sich auf den „Willen des Gesetzgebers“ und setzt sich zugleich an dessen Stelle. Tatsächlich exekutiert es eine grün-rote Agenda. Weil diese eine breite mediale Unterstützung genießt, und weil diejenigen, die an sich berufen wären, eine Gegenposition einzunehmen, sich aus Feigheit und Opportunismus hinter den Karlsruher Roben verstecken, geht das Höchstgericht forsch zu Werke: Die steuerliche Gleichstellung wird rückwirkend bis 2001 dekretiert. Nach derselben Logik hätte das Bundesverfassungsgericht nach dem Kippen der Fünfprozenthürde für Wahlen zum Europäischen Parlament eine Wiederholung der vorigen Europawahl anordnen müssen.

Dort aber, wo es tatsächlich nötig wäre, Regierung und Parlament mit Nachdruck in den Arm zu fallen, um fortgesetzte Rechtsbrüche abzustellen, bei der offenkundig rechtswidrigen Euro-Retterei nämlich, da bleiben die Verfassungsrichter untätig und begnügen sich mit wirkungslosen Ermahnungen. Das war so bei den Entscheidungen zu den Griechenlandhilfen und zum ESM, das wird auch beim Urteil zu den EZB-Anleihekäufen so sein, das sicherheitshalber erst nach der Bundestagswahl verkündet wird, auch wenn die Anhörungen jetzt schon gelaufen sind.

„Auch Richter sind feige und opportunistische Menschen“, kommentiert Andreas Unterberger in seinem Blog diesen scheinbaren Widerspruch. Ein konservativer Realist weiß das und erwartet auch von Karlsruhe keine Wunder.

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