© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/13 / 14. Juni 2013

Grüße aus Warschau
Liebe zur Nation
Thorsten Brückner

Türkei für nur 1.269 Złoty! Es ist schwer, durch Warschau zu schlendern, ohne die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden schießenden Reisebüros zu bemerken. Die Polen haben sich nach jahrzehntelangem Eingesperrtsein im eigenen Land zu einem besonders reisefreudigen Volk entwickelt.

Auch der Wohlstand für Ferienflüge ist mittlerweile vorhanden. Seit Jahren verzeichnet die polnische Wirtschaft konstant hohe Wachstumsraten. An der noch vor zwanzig Jahren brachliegenden Nowy Świat (Neue Welt), die die Altstadt mit dem modernen Stadtzentrum verbindet, reiht sich heute ein Café ans andere.

Ich treffe mich auf eine heiße Schokolade mit meinem Freund Janek am großen Schloßplatz von Warschau, der jetzt, da die ersten Sonnenstrahlen zu spüren sind, bereits von zahlreichen Touristen bevölkert ist. Wir unterhalten uns über die Geschichte unserer beiden Länder. Obwohl Anhänger der liberalen Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Donald Tusk, wird seine Liebe zur polnischen Nation in jedem Satz spürbar.

Anders als manchem Deutschen käme es Janek nie in den Sinn, sein Vaterland vor ausländischen Gästen schlechtzumachen. Von Verbrechen des nationalchauvinistischen Polens der Vorkriegsjahre gegen Deutsche in den nach dem Ersten Weltkrieg abgetrennten Gebieten möchte auch er nichts wissen. Wie die meisten Polen Mitte zwanzig spricht er perfektes Englisch.

Überhaupt ist Warschau heute eine modernere Stadt als Berlin. Die Stadtverwaltung stellt freie W-Lan-Hotspots bereit, an denen viele polnische Jugendliche mit ihrem iPhone stehenbleiben und sich ins Internet einloggen. Auf dem Weg zurück zum Zentralbahnhof gehe ich mit Janek noch in das große Einkaufszentrum „Goldene Terrassen“.

Bei McDonald‘s und Burger King stehen dort ebenso lange Schlangen wie bei den traditionell polnischen Restaurantketten. Ein Beweis dafür, daß sich in Polen Modernität mit Bewahrung der eigenen Kultur selbst im fortschrittlichen Warschau verbinden läßt. Auch am gegenüberliegenden Kulturpalast, dem „Geschenk Stalins an das polnische Volk“, ist der Wandel erkennbar. „Unsere Generation“, meint Janek, „hat das Gebäude inzwischen liebgewonnen.“ Der „Stachel Stalins“, Sinnbild für die sowjetische Besatzung, ist heute ein beliebter Treffpunkt unter Jugendlichen. Übrigens: 1.269 Złoty sind etwa 300 Euro.

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